Busemann: "Die anderen zittern, wenn sie Harting nur sehen"

Vor dem Start der Leichtathletik-WM in London spricht Zehnkampf-Ikone Frank Busemann in der AZ über die Form des Diskus-Riesen, die deutschen Chancen und den Abschied von Wunderläufer Bolt.
von  Interview: Matthias Kerber
Robert Harting jubelt über sein Olympia-Gold in London.
Robert Harting jubelt über sein Olympia-Gold in London. © dpa

Frank Busemann (42) gewann bei Olympia 1996 in Atlanta sensationell die Silbermedaille im Zehnkampf, bei der WM 1997 holte er Bronze. Der frühere Anti-Doping-Vertrauensmann des DOSB arbeitet als TV-Experte.

AZ: Herr Busemann, fünf Jahre nach den Olympischen Spielen kehrt die Leichtathletik mit einer WM nach London zurück. Damals feierte man die Spiele als farbenfrohes, sauberes Fest des Sports, nach den Enthüllungen der letzten Jahre weiß man, wie dopingverseucht die Veranstaltung war.
FRANK BUSEMANN: Wer damals alles abgefeiert hat, ohne zu hinterfragen, hat nie den Glauben an die Märchen seiner Kindheit verloren. Aber: Keiner hat sich wahrscheinlich das Ausmaß vorstellen können, in dem systematisch gedopt, also beschissen wurde. Eigentlich haben wir, die weiter an den sauberen Sport glauben und glauben wollen, immer die Hoffnung gehabt, dass es diese Enthüllungen geben würde. Ich bin mir zwar nicht sicher, dass man diesen Sumpf jemals ganz trockenlegen kann...

Da schau her, Frank Busemann zitiert einen der Slogans von US-Präsident Donald Trump!
Hilfe! Ich entschuldige mich hiermit in aller Form und werde gleich alles tun, um das Niveau wieder anzuheben. Aber Spaß beiseite: Ich bin weiter überzeugt, dass es die sauberen Athleten gibt und sie haben es verdient, dass man ihretwegen die WM schaut. Hätte ich den Glauben nicht mehr, dann würde ich auch nicht mehr zur WM als Experte fahren, dann würde ich sagen, macht eure Doping-Spiele ohne mich. Ich bin vollkommen sicher, dass es Athleten gibt, die ohne jedes Doping Weltklasseleistungen bringen. Ich kann keinem verdenken, der das nicht mehr glaubt, aber ich habe diesen Glauben noch.

Die Tour de France wird auch wieder geschaut.
Nicht von mir (lacht). Ich glaube, man muss eine gute Balance finden. Man muss die Leistungen respektieren, die stimmig sind, aber auch hellhörig sein, wenn es zu Leistungsexplosionen kommt, die mit dem natürlichen Menschenverstand nicht mehr zu erklären sind. Dann muss man hinterfragen – ohne aber gleich den anklagenden Finger zu erheben.

Kommen wir zu den deutschen Athleten. Was trauen Sie denen bei der WM zu?
Es ist schwierig. Bis auf die Speerwerfer Thomas Röhler und Johannes Vetter, die eine Bank sind, sind alle anderen eher unter dem Motto "kann, aber muss nicht" einzuordnen. Die Speerwerfer müssen, die dominieren alles, wenn die nicht mit Gold nach Hause kommen, wird jeder daheim sagen: Mensch, haben die verkackt. Auch bei Frauen-Speerwurf oder im Mehrkampf, sowohl der Männer als auch der Frauen, könnte es unter normalen Umständen klappen. Aber normale Umstände gibt es im Sport eigentlich eher selten.

Was trauen Sie Kugelstoß-Ass David Storl zu?
Das wird schwierig für ihn. Selbst, wenn er seine Bestweite der Saison stößt, kann es gut sein, dass er nur Vierter wird. Eigentlich musst du schon so 22 Meter stoßen, aber er ist jetzt auch keine 20 mehr, wo ihm ein Stoß mal schnell rausrutscht und man nicht wusste, wo der eigentlich herkommt. Aber wir reden hier immer noch vom Storl, der ist erst geschlagen, wenn alle Kugeln nach den sechs Stößen in der Wiese liegen, vorher ist der nicht geschlagen. Das Gleiche gilt auch für …

Robert Harting?
Genau. Von den Leistungen her ist eine Medaille eher unwahrscheinlich. Aber der Robert ist eben eine brutale Wettkampfsau. Vor dem zittern ja schon alle Konkurrenten, wenn er nur die Arena betritt, wenn sie ihn überhaupt nur sehen. Er hat diese Aura, diese Ausstrahlung. Von ihm stammt ja auch mein absoluter Lieblingsspruch: 90 Prozent sind Kopfsache, der Rest ist mental. Und er ist ein Mentalmonster. Immer noch.

Kann man diese mentale Stärke lernen?
Ich denke, nur zu einem kleinen Teil. Zu 95 Prozent hat man das. Oder eben nicht. Du wirst nie aus einem Nervenwrack einen Pokerspieler in der Arena machen. Du kannst weder die anderen noch dich selber auf lange Sicht blenden.

Die WM wird auch die letzten großen Rennen von Jamaikas Wunderläufer Usain Bolt. Was trauen Sie ihm noch zu?
Wenn er an den Start geht, dann wird er auch eine Siegchance haben. Wenn nicht, dann wird er sich noch eine Verletzung abholen. Er wird es sich nicht antun, bei seinen letzten Rennen vorgeführt zu werden.

Wo würden Sie ihn denn in der Historie der Leichtathletik-Sprinter einordnen?
Auf dem Papier ist er der Beste der Welt. Er hat den Weltrekord, acht Olympia-Siege, elf Weltmeister-Titel. Dass im Sprint ganz grundsätzlich ein Fragezeichen dabei ist, ist klar. Aber Bolt wurde nie positiv getestet, also ist er der Beste. Auf dem Papier. Wer sollte es auch sonst sein? So ziemlich alle anderen Kandidaten sind ja schon des Dopings überführt.

Einer seiner Konkurrenten ist mal wieder der mehrfach überführte Doper Justin Gatlin.
Wenn ich den schon sehe, schwillt mir der Kamm, weil er auch noch immer so auf Unschuldslamm macht. Ja, jeder hat eine zweite Chance verdient, das stimmt, aber keine vierte. Bei dem wird mir echt übel. Und zwar jedes mal, wenn ich ihn sehe. Ich habe eine üble Gatlin-Allergie.

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