„Brutale Ernüchterung“

Tommy Haas scheidet nach fünf dramatischen Sätzen bei den US Open in der ersten Runde aus. Die Niederlage trifft ihn hart – nun trit
von  Jörg Allmeroth

Tommy Haas scheidet nach fünf dramatischen Sätzen bei den US Open in der ersten Runde aus. Die Niederlage trifft ihn hart – nun tritt er wohl aus der deutschen Davis-Cup-Mannschaft zurück.

Der Außenplatz 17 im Grand Slam-Reich von New York ist der Geheimtipp der Tennis-Fans. Er erinnert an die Stierkampf-Arena von Roland Garros, dieser schlichte Rundbau, in dem die Fans ganz dicht an den Grand Slam-Schlachten dran sind und die Euphorie und das Elend in den Augen der Kämpfer erspähen können.
Am Mittwochabend sahen sie an diesem Gladiatoren-Schauplatz einen Tommy Haas, der am Ende eines dramatischen Fünf-Satz-Thrillers vor Erschöpfung fast umgefallen wäre, bevor er doch beim Turnier seiner Tennisträume eine fatale Erstrunden-Niederlage einsteckte und sein Alter spürte. „Es tut schon richtig weh, so zu verlieren. Das ist ein schwerer Tag“, sagte Haas nach der 6:3, 6:4, 4:6, 5:7, 3:6-Niederlage gegen den Letten Ernests Gulbis.
Fast alles hat Haas in 15 Turnierjahren schon erlebt im wild-verrückten Kosmos der US Open, grandiose Siege im Tiebreak des fünften Satzes oder die Bitterkeit des späten Scheiterns. Doch der Knockout in der Auftaktrunde 2012 gehörte zu den härtesten Nackenschlägen, die Haas hinnehmen musste bei seinem Heimspiel – ein fatales Scheitern beim Jubiläum von 50 Major-Auftritten.
Was als Krönung dieses erstaunlichen Comebacks in der Weltspitze gedacht war, endete in einem Alptraum der vergebenen Chancen – der 34-Jährige verspielte in dem 224-Minuten-Drama alles. Die Macht auf dem Court, den Sieg - und die Chance, endlich einmal bis zum Finalwochenende zu bleiben. „Das ist schon eine brutale Ernüchterung jetzt“, sagte der vergrämte Haas, „aber so hart kann Tennis eben sein.“
Monatelang hatte Haas sich in der Weltrangliste beharrlich nach oben gekämpft, große Gegner geschlagen, in Halle im Finale sogar einmal Roger Federer. Das Ziel, das er immer vor Augen hatte, waren die US Open – für die härteste und schillerndste Grand Slam-Herausforderung wollte er bereit sein, sich eine günstige Ausgangsposition verschaffen für den Titelkampf. Tatsächlich trat er als gesetzter Spieler an, doch das Pech, das ihn in seiner Karriere so treu und zuverlässig begleitet hatte, blieb ihm treu.
Gulbis, der Milliardärssohn aus Riga, gehört zu den unberechenbarsten Kantonisten des Wanderzirkus, ein Mann, dem der Ruf einer Wundertüte vorauseilt, einer, der gern zwischen Genie und Wahnsinn schwankt. Man wisse nie, sagte selbst Haas vor dem Match, „was einen gegen ihn erwartet“. Zwei Sätze lang wirkte Gulbis nicht gerade wie ein Favoritenschreck gegen den tüchtigen Comeback-König Haas, doch als sich der urplötzlich flatterhafte Deutsche bei einer 3:2-Führung im dritten Satz teils haarsträubende Fehler leistete, nutzte der Lette mit großer Könnerschaft die Gunst des Augenblicks. Mit jeder Minute verschwand die Überlegenheit von Haas, am Ende taumelte er nur noch wie ein angezählter Boxer durch die Arena. „Wenn du so verlierst, kannst du das nicht einfach vergessen. Das beschäftigt dich noch ein paar Tage“, sagte Haas hinterher.
Beschäftigt hat sich Haas auch mit Frage, ob er noch einmal für Deutschland im Davis Cup antreten möchte. „Ich muss mir das gut überlegen", sagte er. Doch es hörte sich an, als habe er diese Überlegungen längst abgeschlossen. Man darf nicht davon ausgehen, dass er wieder antritt.

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