Brähmer: Immer auf die Wunde!

Die brutale Seite des Boxens: Jürgen Brähmer gewinnt seinen WM-Kampf gegen einen quasi Einäugigen – ohne Mitleid. Und der chancenlose Gegner lügt, um sich weiter verprügeln zu lassen.  
von  Matthias Kerber

Die brutale Seite des Boxens: Jürgen Brähmer gewinnt seinen WM-Kampf gegen einen quasi Einäugigen – ohne Mitleid. Und der chancenlose Gegner lügt, um sich weiter verprügeln zu lassen.

Rostock - Das Gesicht war zu einer fast grotesken Fratze entstellt. Das rechte Auge von Ex-Weltmeister Enzo Maccarinelli sah aus, als habe er sich ein riesiges Osterei unter die Haut geschoben, dazu war die Gesichtshälfte im Kieferbereich schwer verschwollen. Doch der Walliser weigerte sich aufzugeben im WM-Fight gegen Titelträger Jürgen Brähmer. Stattdessen belog er sogar den ihn mehrfach untersuchenden Ringarzt Walter Wagner. Der fragte Maccarinelli, ob er aus dem Auge noch etwas erkennen würde. Die Antwort lautet jedes mal: „Ja, ich sehe alle Schläge gut.“

Eine Lüge, wie der Walliser später zugab. „Ich konnte gar nichts mehr sehen. Ich habe gelogen.“ So nahm dieser Kampf seinen brutalen Lauf – von der ersten Runde an, in der der 33-Jährige die Verletzung erlitten hatte, bis zur sechsten Runde, als ihn sein Trainer Gary Lockett endlich aus dem Kampf nahm. Es war ein Kampf, in dem sich der Boxsport, der sich gerne in Deutschland durch die Protagonisten Henry Maske und Wladimir und Vitali Klitschko als Gentlemansport präsentiert, von seiner animalischsten Seite zeigte. Brähmer gab unumwunden zu, dass er keinMitleid empfunden hätte. Im Gegenteil: „Ich wollte immer auf die Verletzung hauen, damit die Wunde größer wird.“

Lockett offenbarte nach dem Fight, dass es um die Gesundheit Maccarinellis nur in zweiter Linie gegangen sei. „Die meisten Leute hatten doch vorher gesagt: Das ist Enzos letzte Möglichkeit, einen WM-Titel zu holen. Die wollte ich ihm nicht nehmen.“

Der Ringrichter sah lange weg, ehe er den Ringarzt konsultierte, der schickte Maccarinelli jeweils zurück in die Ringschlacht. „Er war weder schutzlos noch unkoordiniert“, sagte Ringarzt Wagner der AZ, „außerdem gibt es genug Beispiele, dass Boxer mit solchen Verletzungen noch gewonnen haben.“

Dariusz Michalczewski kämpfte 2002 gegen Richard Hall mit zwei zugeschwollen Augen. Als er seinem Trainer Fritz Sdunek sagte, dass er nichts mehr sieht, befahl der nur: „Dann hau ihn um!“ Er tat es. Graciano Rocchigiani schaffte 1991 gegen Alex Blanchard einen K.o.-Sieg mit geschlossenem Auge.

Maccarinell boxte als Einäugiger weiter. „Ich würde nie aufgeben!“, sagte er. Wie wenig Wert er auf seine Gesundheit legt, zeigte sich nach dem Fight erneut. Wagner hatte nach der Nachuntersuchung die Überführung Maccarinellis ins Krankenhaus arrangiert, da er auch einen Bruch des Augenhöhlenbogens befürchtete. Doch Maccarinelli lehnte ab. Wagner: „Leider habe ich keine Möglichkeit, ihn zu zwingen.“

Das ist sie, die andere Seite des Boxens: Die brutale, die animalische, die gefährliche – und manchmal die unverantwortliche.
 

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