Box-Weltmeister und Grenzgänger: Die bizarre Welt des Tyson Fury

"Wenn ihm der Boxsport genommen wird, erlebt er seinen 30. Geburtstag nicht": Die AZ erklärt die bizarre Welt des Box-Weltmeister Tyson Fury, der an Depressionen leidet und Kokain genommen hat.
Matthias Kerber |
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Faxenmacher: Bei Pressekoferenzen präsentiert Tyson Fury schon mal seinen Schwabbelbauch: "Ich bin ein fettes Schwein!".
dpa Faxenmacher: Bei Pressekoferenzen präsentiert Tyson Fury schon mal seinen Schwabbelbauch: "Ich bin ein fettes Schwein!".

Der Weltmeister im Schwergewicht ist der große Zeh Gottes – so sinnierte der legendäre US-Schriftsteller und Box-Enthusiast Norman Mailer († 2007) über den faustkämpfenden Meister aller Klassen. Tyson Fury, der im November 2015 in einer der größten Box-Sensationen der letzten Jahrzehnte Wladimir Klitschko aller WM-Titel entledigt und ihn so des Gottes-Zeh-Status’ beraubt hat, fühlt sich nur noch wie der Dreck unter dem Zeh. "Ich hasse Boxen", sagte Fury, "ich hasse, was dieser Sport mir angetan hat."

"Ich bin mit Fury durch"

Oder er auch dem Boxsport. Ein ungeklärter Dopingbefund aus dem Jahr 2015, nun der Nachweis von Kokain bei einem Test am 22. September. "Ich finde es nur noch beschämend. Ich bin mit Fury durch", sagte Box-Experte Axel Schulz, der selber drei Mal um die WM im Schwergewicht geboxt – und jeweils verloren – hat, der AZ, "ich persönlich will Fury im Ring eigentlich nicht mehr sehen. Dafür hat er zuviel kaputtgemacht. Das war alles unwürdig."

Das Rematch gegen Klitschko hat Fury zwei Mal platzen lassen. Auch der 40-Jährige will sich nicht länger mit Fury auseinandersetzen. "Er ist für uns kein Thema mehr. Wir schauen jetzt nur noch nach vorne", sagte Klitschko-Manager Bernd Bönte. "Wladimir will noch in diesem Jahr wieder um die WM boxen." Möglicher Gegner: der Brite Anthony Joshua, Weltmeister der IBF.

Lesen Sie hier: Fury "nahe daran, an allem zu zerbrechen"

Fury hat viele Gesichter. Er ist der Mann mit dem skurrilen Humor, der im Batman-Kostüm zu Pressekonferenzen erscheint. Oder dort seinen Schwabbelbauch präsentiert. Aber er ist auch der Mann, der schwere mentale Probleme hat. Seit seiner Kindheit leidet er an Depressionen und einer bipolaren Störung. Der 28-Jährige, dem aufgrund des Kokainbefundes nun eine mehrjährige Sperre droht, kämpft im Moment gegen sich selbst, gegen seine Dämonen. "Ich habe gerade erst mit ihm gesprochen. Tyson ist im Moment an einem sehr, sehr dunklen Ort. Ich kenne Tyson schon mein ganzes Leben", sagte sein langjähriger Freund, der britische Mittelgewichtsboxer Billy Joe Saunders, "wenn ihm jetzt der Boxsport genommen wird, dann wird er seinen 30. Geburtstag nicht erleben."

Furys Humor: Der Boxer erscheint als Batman verkleidet auf einer Pressekonferenz. Foto: dpa

Rücktritts-Posse von Fury

Der dunkle Ort, an dem sich Tyson befindet, ist sein Kopf. In seiner Familie gibt es viele Fälle von Depressionen. Wie verwirrt, wie durchgeknallt Fury, der einer irischen Familie, die sich einst mit Bloßen-Faust-Kämpfen den Lebensunterhalt verdient hat, entstammt und der sich stolz "Gypsy King" ("Zigeunerkönig") nennt, ist, zeigen seinen Aktivitäten auf Twitter. Nach Bekanntwerden des Kokainbefundes veröffentlichte er eine Fotomontage, auf der sein Kopf auf das Bild des Drogenkönigs Tony Montana aus dem Film "Scarface" transferiert ist. Vor Tyson: ein Berg Kokain auf dem Tisch. In einem Interview mit dem Rolling Stone gestand Fury schließlich seinen exzessiven Alkohol- und Kokainkonsum ein. Ohne die Drogen sei es für ihn nicht möglich gewesen, weiterzuleben. (Mehr zum Rolling-Stone-Interview finden Sie hier)

Tyson Fury präsentiert sich in einer Fotomonatage auf seinem Twitter-Accoount als Drogenkönig Tony Montana. Foto: Twitter GYPSYKING

Zwei Tage später verkündete er in einer vor Kraftausdrücken strotzenden Erklärung seinen Rücktritt: "Boxen ist die armseligste Beschäftigung, mit der ich je zu tun hatte. Ein Haufen Sch***e! Ich bin der Größte! Aber ich bin zurückgetreten! Leckt mich!" Stunden später die Rolle rückwärts des 2,09-Meter-Kolosses: "Hahaha! Glaubt ihr wirklich, dass ihr den Gypsy King so leicht loswerdet? Ich bin der Größte – und ich bleibe! Sobald es mir besser geht, werde ich verteidigen, was mir gehört: den Schwergewichts-Thron!" Wieder zwei Stunden später sagte er: "Gute Nachrichten! Ich kriege jetzt die nötige Hilfe, ich werde stärker zurückkommen. Gott ist groß!"

In einem

Brite mit schwieriger Kindheit

In Behandlung war Tyson schon öfter. Denn der Mann, der gerne mit abstoßenden Kommentaren schockt, etwa Homosexuelle mit Pädophilen gleichsetzte, versucht seine Seele hinter der Maske der Härte zu verstecken. "Wir haben in unserer Familie nie über Probleme gesprochen: Mum und Dad haben nur gestritten, sich geschlagen", gestand Fury, der mit zehn Jahren die Schule verließ, einst, "bei uns sagt man nicht, was einem nicht passt, man schlägt zu."

Der Vater saß im Knast, weil er seinem ehemals besten Freund in einer Schlägerei das Auge mit dem Finger ausgestochen hatte, sein Onkel und Trainer Peter Fury hatte laut "Daily Mirror" einen großen Drogenring (vor allem Amphetamine) am Laufen, den er noch aus dem Knast heraus dirigierte. Tysons Mutter war 14 Mal schwanger, nur vier Kinder überlebten. "Ich hatte eine kleine Schwester, sie hat nur ein paar Tage überlebt. Ich war neun Jahre, als ich an ihrer Beerdigung teilnahm. Das hinterlässt Narben."

Narben, die 2014 aufbrachen, als Tysons Frau Paris, die im fünften Monat schwanger war, eine Fehlgeburt erlitt. Tyson Fury leidet an extremen Stimmungsschwankungen. "Ich wache auf und fühle mich super, am Nachmittag plagen mich Selbstmordgedanken", sagte Tyson vor dem angesetzten Rematch gegen Klitschko, das im Oktober steigen sollte. "Ich weiß selber nicht, wer ich bin. Ich weiß nicht, wer ich in der nächsten Minute sein werde." Ein ewiger Grenzgänger.

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