"Bolt ist halt ein Showman"
AZ: Herr Hary, Sprint-Superstar Usain Bolt macht weiter seine Faxen. Dabei wurde er über die 100 Meter zur Lachnummer. Da wurde der große Gold-Favorit aus Jamaika nach einem Fehlstart disqualifiziert. Was war der erste Gedanke, der Ihnen, dem einst schnellsten Mann der Welt, durch den Kopf schoss?
ARMIN HARY: So albern es klingen mag, ich dachte mir: Kennt der die Regeln nicht? Das ist schier unglaublich. Ich bin zwar kein Freund dieser neuen Regel, dass jeder Fehlstart zur Disqualifikation führt, aber sie existiert nunmal, und somit muss sich jeder dran halten. Auch Herr Bolt. Er hat gegen den einzigen Mann der Welt verloren, der ihn zur Zeit besiegen kann: sich selbst.
Wie hat Ihnen denn Bolts Show vor dem Rennen gefallen, als er erst nach links auf die Konkurrenten zeigt, dann nach rechts und jeweils den Kopf schüttelt – so nach dem Motto, die haben keine Chance gegen mich...
Mir liegt diese Art nicht. Ich war früher nicht so, ich wäre heute nicht so, aber das muss jeder selber wissen. Die Grenze zwischen Selbstbewusstsein, dass man zwingend braucht, und Arroganz ist fließend. Er ist halt ein Showman und wenn die Welt das sehen will, wenn der Kommerz nur dann funktioniert, wenn ich mich so präsentiere, warum sollte er es nicht tun? Dass er damit viele auch vor den Kopf stößt, ist da selbstverständlich.
Er hat ja einiges gutzumachen in den am Wochenende ausstehenden Sprintbewerben.
Das kann man so sehen, ich habe dazu ein paar andere Gedanken.
Dann lassen Sie mal hören...
Ich bin mir nicht so sicher, dass er im 200-Meter-Finale antreten wird. Mehr will ich im Moment dazu nicht sagen.
Klingt sehr kryptisch. Wie groß sind Ihre Zweifel, dass die Fabelweltrekorde des Herrn Bolt wirklich nur – wie er behauptet – durch den Genuss der jamaikanischen Yam-Wurzel, einer Art Schmerzwurz, geschuldet sind und nicht irgendwelchen verbotenen Substanzen?
Ich möchte eines vorweg schicken: So lange er nicht positiv getestet wurde, muss er als unschuldig gelten. Dass er aus einem Land stammt, in dem es mit den Dopingkontrollen nicht gerade eng gesehen wird, steht auf einem anderen Blatt. Es ist sicher so, wenn man die Zeiten von Bolt sieht, dass man seine Zweifel hat. Das geht nicht nur mir so.
Würde man Bolt positiv testen, dann...
...wäre das fast der Tod der Leichtathletik. Zumindest medial gesehen. Aber das dürfte einen nicht davon abhalten, durchzugreifen. Ich habe schon immer gesagt, man muss gegen Doper rigoros vorgehen. Jeder, der erwischt wird, müsste lebenslang gesperrt werden. Ohne Chance auf Begnadigung. Was glauben Sie, was los wäre, wenn dann bei Olympia gleich 20 Athleten oder so gesperrt würden? Dann würde sich ganz schnell keiner mehr trauen, zu diesen Mitteln zu greifen. Ich sehe das als die einzige Chance an, dass wir dieses Gift von unseren Kindern fernhalten.
König Fußball ist dauerpräsent, die Leichtathletik eher eine Randerscheinung der modernen Sportwelt.
Das ist unglaublich traurig. Früher, da haben die Leute gesagt: Olympia geht erst richtig los, wenn die Leichtathleten starten. Heute interessiert das kaum noch einen. Dabei wäre es so leicht, etwas zu tun. Es ist doch kein Geheimnis, wie und wo man die entsprechenden Athleten findet. Die kommen aus den benachteiligten Schichten der Gesellschaft, das war bei mir nicht anders.
Für Sie war der Sport der Weg aus dem sozialen Elend.
Ja, es war der einzige Weg. Heute ist das nicht anders. Der Sport ist eine Flucht, aber auch ein Ausweg. Ich versuche mit der Armin-Hary-Förderung, Talenten zu helfen. Sie glauben gar nicht, was ich jeden Tag für eine Armut sehe. In Deutschland! Es kann doch nicht sein, dass drei Millionen Kinder in Deutschland keinen Sport betreiben können, weil sie einfach zu arm dafür sind! Da fehlt es an allem: der Buskarte, um zum Training zu fahren, an Schnürsenkeln. Wenn ich dann sehe, wofür alles Geld verpulvert wird, dann könnte ich wirklich weinen.
Sie bekommen so gut wie keine Unterstützung aus der Politik oder der Wirtschaft.
Was ich kriege, sind viele Versprechen. Aber wenn es darum geht, zu seinem Wort zu stehen, dann ist alles vergessen. Aber ich habe eben keine schönen Posten zu vergeben.
Etwa im Aufsichtsrat, mit dem man sich schmücken kann...
Das sind Ihre Worte. Ich sage nur, es muss möglich sein, dass wir unseren Kindern mehr geben als den Fernseher oder Computer, um sie ruhig zu stellen. Welches Kind hat denn keinen Spaß an der Bewegung, welches Kind läuft nicht gerne durch die Gegend? Das muss man fördern. Natürlich entstehen dadurch nicht reihenweise Olympiasieger, aber auf jeden Fall tun wir unseren Kindern und der Gesellschaft etwas Gutes.
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