Bolt: Der Außerirdische
Der Weltrekord-Sprinter selbst sieht seine Grenze erst bei 9,40 Sekunden. Die Welt verneigt sich bereits jetzt: „Usain läuft auf dem Mars, alle anderen auf der Erde“.
BERLIN War alles nicht so gewollt? War der Fabel-Weltrekord nur ein Versehen? „Ich hatte nicht vor, Weltrekord zu laufen. Ich wollte nur gewinnen“, sagte Usain Bolt, nachdem er auf der blauen Plastikbahn im Berliner Olympiastadion seinen genau einen Jahr alten Rekord aus Peking pulverisiert hatte.
9,58 Sekunden hatte Bolts 100-Meter-Quicky gedauert. 41 Schritte hatte der 23-Jährige benötigt, um seine alte Bestmarke um elf Hundertstel zu unterbieten, in der Spitze hatte er eine Geschwindigkeit von 44,72 Stundenkilometer erreicht. So schnell war noch nie ein Mensch. Und das alles geschah nur aus Versehen? „Ich hatte es für möglich gehalten, schneller als 9,69 Sekunden zu laufen, aber dafür brauchte ich das perfekte Rennen“, sagte Bolt.
Doch das dürfte entweder untertrieben sein oder einer seiner berüchtigten Witze. Denn Bolts Berliner Rekordlauf war bei weitem nicht perfekt. Beim Start war der 1,96-Meter-Riese aus Jamaika nur der sechstschnellste, 20 Meter vor dem Ziel hatte er schon sein Tempo wieder verlangsamt. Aber immerhin war er, wohl zum ersten Mal in seinem Leben, das Rennen zu Ende gesprintet und hatte nicht schon – wie in Peking – 20 Meter vor dem Ziel gejubelt.
Und doch wirkte Bolts Lauf auch dieses Mal so souverän und locker, dass kaum jemand daran zweifeln dürfte, dass auch dieser Fabel-Rekord nicht lange Bestand haben dürfte. „Wir müssen all das, was wir über menschliches Leistungsvermögen wissen, überdenken. Ich habe früher über Fantasie-Zeiten von 9,5 Sekunden gesprochen. Er hat Fantasie Realität werden lassen“, meinte Ato Boldon, der Weltmeister über 200 Meter von 1997.
Biomechaniker und Mathematiker haben errechnet, dass ein Mensch die 100 Meter im Idealfall in 9,48 Sekunden laufen könnten. „Dann ist ein Mensch am Ende seiner physischen Möglichkeiten“, sagt Mark Denny, der 2008 die letzte große Studie zu diesem Thema veröffentlicht hat. Übrigens ganz unabhängig davon, ob die Athleten dopen oder nicht. Auch Doping, zumindest nicht das Doping, das wir heute kennen, kann die physikalischen Grenzen des menschlichen Körpers nicht austricksen.
Bolt offenbar schon.
Und er glaubt das auch selbst. „Ich glaube, dass es bei 9,40 Sekunden irgendwann zu Ende geht“, sagte er. Wobei: „Man weiß nie, was morgen geschieht“, sagt er. Wegen Bolt müssen wohl bald die Gesetze der Physik umgeschrieben werden. Zumindest, wenn man diesen Bolt als Menschen betrachtet. Und das fällt tatsächlich schwer. „Usain läuft auf dem Mars, alle anderen auf der Erde“, sagte der dreimalige US-Weltmeister Maurice Greene. Und ergänzte: „Mit seinen 22 Jahren lernt er gerade erst laufen.“ Bolt werde sich noch steigern. Auch die Presse überschlug sich mit Superlativen: „Bolt ist ein Außerirdischer. Mit einem unglaublichen Weltrekord geht der Jamaikaner in die Geschichte ein“, schrieb der „Corriere dello Sport.“ Auch die „Times“ bemühte das Bild mit dem Außerirdischen: „Nun haben wir endlich eine Antwort: Sie ist immer noch elektrisierend, sie kommt immer noch von einem Mann von einem anderen Stern.“
Ist Usain Bolt also gar nicht von dieser Welt?
Auf jeden Fall ist er ein menschliches Phänomen, ein Übersprinter, der vor seinen Rennen Chicken Nuggets in sich hineinstopft und sich, wie die französische Zeitung „Le Parisien“ schreibt, „ mit einer guten Portion Humor ernährt“.
Denn Bolt gewinnt nicht einfach nur, er zelebriert seine Siege und Weltrekorde. Davon wird sich die Welt am Donnerstag wieder überzeugen können, wenn das Finale über 200 Meter ansteht. Die 19,30 Sekunden von Peking, da sind sich alle Experten einig, werden Berlin nicht überleben.
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