BigMäc, der Kaiser von New York

Er ist eigentlich nur noch TV-Kommentator –und dennoch der heimliche Star der US Open:John McEnroe, mittlerweile 51 Jahre alt, hat sich vom Flegel zum Meinungsmacher gemausert.
NEW YORK Die exklusive Kommentatoren-Box im Arthur Ashe-Stadion hat so imperiale Ausmaße, dass John McEnroe darin automatisch wie ein römischer Kaiser ausschaut. Und wenn der Großmeister des TV-Talks in den Circus Maximus des Tennis hinunterblickt und seine ätzenden Urteile fällt, dann fehlt eigentlich nur noch die cäsarenhafte Geste vor aller Augen: Daumen hoch oder runter für die US-Open-Gladiatoren.
„John ist der heimliche Star dieses Turniers. Der Mann, der die meisten aktiven Profis in den Schatten stellt", sagt McEnroes alter Erzrivale Jimmy Connors, der dieser Tage für den kleinen Kabelsender „TennisChannel“ im Einsatz ist. Einmal, im letzten Jahr, erlebte Connors die ultimative Schmach: Für seinen neuen Arbeitgeber musste er da im Garten der Spielerlounge McEnroe zur Lage der Tenniswelt interviewen. Natürlich genoss BigMäc die mittelschwere Demütigung des alten Straßenkämpfers in vollen Zügen, das Ende des Gesprächs besorgte der Rüpel von einst mit den Worten: „Das war’s. Danke schön.“
Diese beiden US-Open-Wochen sind wie ein einziger Rausch für den früheren Krawallmacher, der beim Gastspiel des Wanderzirkus in seiner Heimatstadt die Debatte diktiert. Was der geläuterte Oberflegel McEnroe sagt, hat den Charakter einer Regierungserklärung: Er ist unerklärter Kaiser und Präsident der Karawane, die vor den Toren des Big Apple gastiert, im Billie Jean King Tennis Center zu Flushing Meadow.
McEnroe spricht über alles und jeden, 16 Stunden pro Tag, auf allen Sendern und Kanälen. So umfassend ist der 51-jährige Rebell als Meinungsmacher am Mikrofon beschäftigt, dass die Londoner „Times“ spöttelte, „die Zahl der Auftraggeber McEnroes übersteige die der Ehemänner von Elizabeth Taylor bei weitem“. McEnroe ist ein fast manischer Malocher, der sich weder als Vorzeigefigur der ATP-Seniorentour noch als Häuptling aller TV-Experten mit irgendwelchen Kompromissen zufriedengibt: „Wenn ich etwas mache, dann nur zu 100 Prozent. Sonst wäre ich nicht John McEnroe", sagt der grau gewordene Künstler, „ich bin ein Arbeitstier. Wenn ich mich auf die faule Haut legen würde, würde ich verrückt."
Wie wenig Nachsicht er mit Zeitgenossen hat, die nicht wie er „ständig ans Maximum gehen“, demonstrierte er einst auch als amerikanischer Davis-Cup-Chef. Als die Spieler nur mäßig interessiert ihre Einsätze bestritten, schmiss BigMäc erbost die Brocken hin, denn „für mich war es immer eine patriotische Pflicht, für Amerika zu spielen“.
Der drahtige Champion selbst ist körperlich bestens in Schuss, er trainiert ja auch jeden Tag bei jedem Wetter seine Stunden auf dem Court ab. Bald will er seine Engagements im Circuit der Ehemaligen aber doch beenden, „denn da rücken jetzt Leute nach, die zehn oder zwanzig Jahre jünger sind als ich – mit denen will ich mich nicht messen".
Doch bei lukrativen Schaukämpfen wird er weiter aufschlagen, der einmalige Schläger-Typ, der zu gerne einen Job als Commissioner des Welttennis angenommen hätte. Aber die Personalie McEnroe war nicht durchsetzbar. Aus Angst vor radikalen Reformen, die der New Yorker anstoßen wollte?
„Die Saison im Tennis", sagt McEnroe, „ist viel zu lang. Schauen Sie sich nur an, wie viele Spieler mit Bandagen rumlaufen, wie viele ihre Matches gar nicht beenden können." Rafael Nadal sei mit seinen Blessuren nur ein Indiz dafür, „dass der zu volle Kalender die Besten beschädigt". Warum ihn das alles nicht kalt lässt? „Weil ich Tennis noch genau so liebe wie am ersten Tag, an dem ich einen Schläger in der Hand hatte.“
Jörg Allmeroth