Ballack: Mehr Trenker als Lenker
Er hat enttäuscht bei seinem Comeback in der DFB-Elf. Michael Ballack war danach wenigstens selbstkritisch. "Der Trend zeigt nach unten" - Hat da etwa schon der Abstieg begonnen?
Er genoss die Pfiffe. Und provozierte damit noch mehr davon. Als Michael Ballack drei Minuten vor Schluss des EM-Testländerspiels in Wien ausgewechselt wurde, stolzierte er mit betont lässiger Attitüde extra behäbig zur Seitenlinie. Die österreichischen Fans pfiffen den DFB-Kapitän nieder – und der Chelsea- Star grinste sich eins.
Weil er und seine Mannschaft beim 3:0 gegen den 90. der Fifa-Weltrangliste noch einmal davon gekommen waren. Trotz eines Fehlers, den man nur dann macht, wenn man überheblich auftritt und die Ansprache des Trainers übergeht. „Wir haben einen aggressiven und bissigen Gegner unterschätzt“, sagte Ballack später mit anklagender Miene und betonte lehrerhaft: „Unsere Spielweise hat etwas mit unserer Einstellung zu tun.“
Als Lautsprecher aufgefallen
Eine Binsenweisheit. Aber hat nicht der Kapitän, gerade wenn er nach fast elfmonatiger Verletzungspause sein Nationalelf- Comeback feiert, eine professionelle Einstellung selbst in einem EM-Test vorzuleben?
Ballack fiel auf in seinem 78. Länderspiel. Doch nicht als Ideengeber und Initiator des deutschen Spiels, eher als Lautsprecher. Besonders in der ersten Hälfte reklamierte er immer wieder Kleinigkeiten beim Schiedsrichter, legte sich mit Gegenspielern – etwa mit Roland Linz – an.
Krankl: "Ballack war eine Gemeinheit"
„Die Deutschen waren überheblich und haben bei weitem nicht überzeugt“, lästerte Cordoba-Legende Hans Krankl und personifizierte: „Allen voran Michael Ballack – er war in der ersten Halbzeit eine Gemeinheit.“
Ein Anführer, der Kleinkriege ohne Blick fürs Wesentliche führte. Er verteidigte sein Revier, ohne mit Leistung voranzugehen. „Die Deutschen haben mich enttäuscht“, kommentierte Österreichs Ex- Torjäger Toni Polster, „vor dem Seitenwechsel war das Stehfußball. Wirklich schlecht.“ Mit Kapitän Ballack als Stehgeiger.
Ein Alpinist im Retro-Look
Seinen besten Auftritt hatte der Chelsea-Star in den letzten Tagen am Montag, als die Nationalspieler sich in einem Frankfurter Studio bei einem Werbespot für Generalsponsor „Mercedes“ verkleiden durften. Das Motto des Drehs: Bundestrainer Löw und seine Spieler als Alpinisten im Retro-Look.
Kapitän Ballack machte einen auf Bergführer mit angeklebtem Schnauzer. Doch angesichts seiner Leistung in Wien war er mehr Trenker als Lenker, am Rosenmontag wirkte er authentischer als am Aschermittwoch auf dem Platz.
Ballacks Gipfel liegt in Wien
Der Südtiroler Luis Trenker (1892-1990) war Bergführer, Skilehrer und Architekt, hatte seine größten Rollen als Schauspieler in „Der Berg des Schicksals“ und „Kampf ums Matterhorn“. Auch Ballack will auf den Gipfel, der EM-Gipfel liegt in Wien – im Ernst- Happel-Stadion wird am 29. Juni das Finale ausgetragen.
Doch bis Turnierbeginn muss er wieder der von Löw so dringend ersehnte Leader werden. „Das war noch nicht der Ballack, den wir bei der Europameisterschaft brauchen, obwohl er in der zweiten Halbzeit stärker wurde“, kritisierte ihn Franz Beckenbauer. Sich eingeschlossen war Ballack wenigstens selbstkritisch: „Wir dürfen nichts schön reden – der Trend zeigt nach unten.“ Hat da etwa schon der Abstieg begonnen?
Patrick Strasser