„Bald arbeiten hier 600 Leute“
GARMISCH-PARTENKIRCHEN - Der große AZ-Report aus Garmisch-Partenkirchen: Am Montag in einer Woche beginnt die Ski-WM – hier erklärt Rennleiter Stefan Stankalla, mit welchen Tücken die Organisatoren noch zu kämpfen haben.
„Zefix, diese Italiener! Schon wieder die falschen Zäune!“ Andi Fischer und Stefan Stankalla schütteln die Köpfe. Als ob man sonst nichts zu tun hätte. Aus der Spur bringt das die beiden keinen Zentimeter. „Da musst’ flexibel reagieren, wenn die Lieferung oder der LKW nicht so kommt wie er soll“, meint Stankalla, Rennleiter der Frauen-Wettbewerbe an der Kandahar, „wir machen jeden Tag einen Plan, was am nächsten Tag passieren muss - aber wenn ein halber Meter Neuschnee oder sonstwas dazwischen kommt, muss man alles wieder umschmeißen.“
Eine Woche vor Beginn der Ski-WM ist in Garmisch „geplantes Improvisieren angesagt“, wie Stankalla seinen Tagesablauf nennt. Vor ein paar Jahren gehörte der 35-Jährige zu den besten deutschen Abfahrern, wurde mal Weltcup-Fünfter und –Neunter, hier in Garmisch, vor zehn Jahren. Jetzt rutscht er mit Sicherheits-Chef Andi Fischer zum hundertsten Mal die Kandahar runter, um weitere Details zu besprechen: Wie sichern wir den Kasten da drüben? Wieviel A- und B-Netze brauchen wir am Trögl-Hang? Und wohin soll die Ski-Doo-Flotte die falschen Zäune bringen?
Eine WM stellt an Organisatoren und Pistenchefs andere Anforderungen als ein Weltcup-Wochenende. „Das geht bei der Präparierung los“, erklärt Stankalla, „die Piste muss zwei Wochen halten, für Abfahrt, Super G und Riesenslalom, bei unterschiedlichstem Wetter.“ Seit Montag sind die Standard-Tonihütten-Abfahrt sowie Teile der Kandahar-Strecken für den Publikums-Skilauf gesperrt. Der jüngste Wärme-Einbruch verursachte Mehrarbeit. Stankalla erklärt: „Es musste wieder künstlich beschneit und der neu aufgebrachte Schnee verteilt werden.“ Wasser drauf, glatt ziehen, durchfrieren lassen – so entsteht ein 30 Zentimeter dicker Grundstock, der je nach Wetterlage für den jeweiligen Wettkampf rennfertig präpariert wird.
Gerade war ein Delegierter des Weltskiverbandes FIS da, sagt Stankalla, „deren Anforderungen müssen wir am Berg umsetzen“. Der FIS-Mann war zufrieden: „Was Schnee, Grundpräparation und Aufbau angeht, stehen wir gut da“, sagt Stankalla. Zu tun gibt es noch genug: Allein mehr als 25 Kilometer Zaun werden in der kommenden Woche entlang der Strecke gebaut. „Bald arbeiten 600 Leute hier auf der Kandahar“, sagt Stankalla.
1248 freiwillige Helfer haben sich beim Volunteers-Beauftragten Michael Burghardt gemeldet, ein wichtiger Mann für Stankalla: „Zu dem kann ich sagen: ,Ich brauch’ morgen hundert Leut’, und dann stehen die da.“ Die Touristen müssen ab nächster Woche über die Olympia-Piste oder den Kochelberg ins Tal fahren.
Am Start deutet noch wenig auf eine WM hin. „Das Starthäuschen kommt nächste Woche - mit dem Heli“, erzählt Stankalla. Ein Sponsor aus Ingolstadt hat sich eingebildet, für jede Disziplin eine Start-Box in der firmeneigenen Corporate Identity zu basteln und auf den Berg zu fliegen. 1750 Kilo wiegt ein jedes.
Unten im Ziel ist man schon recht weit: Tribüne und VIP-Zelte stehen; der Fan-Park mit diversen Standln wächst. Kurz vor der Ziellinie passiert man sozusagen vermintes Gelände: das rund 20x40 Meter große Grundstück eines mittlerweile weltbekannten, sehr entschlossenen Olympia-Gegners. Nur gut, dass er nicht so viel gegen die WM hat.
Am anderen Ortsende sieht es noch mehr nach Aufbau aus. Im Zielraum des Gudibergs, wo die Slalom-Medaillen vergeben werden, steht zwar die Tribüne, doch nebenan im Ski-Stadion geht es zu wie auf der Großbaustelle: mächtige Kräne, schweres Gerät, heftiger Gabelstapler-Verkehr, ein paar Meter neben der Pferdetränke, dem Schild „Droschken frei“ und dem „Faiker-Standl“, wo Murmeltiersalbe im Angebot ist. Dort, wo an jedem Neujahrsmorgen mehr als 20000 Fans den Skispringern zujubeln, steigt am übernächsten Montag die Eröffnungsfeier. Sie verspricht aufwändig zu werden, mit Laser-Projektionen auf den Aufsprunghügel und allem Pipapo. Schließlich wird das Fernsehen live drauf sein.
Die Feier hat nur einen Haken: Sie verursacht, dass die weltbesten Slalomfahrer vor nur 11000 Zuschauern fahren – anstatt vor womöglich doppelt so vielen. Allein die Warteliste für Tickets für Felix Neureuthers Wettkampf am letzten WM-Tag nähert sich dem fünfstelligen Bereich. Beim Weltcup-Finale im vergangenen März sausten die Athleten mitten im Skistadion ins Ziel, und jeder, der dabei war, bekommt noch heute ein Leuchten in die Augen, wenn er von der Stimmung erzählt.
Gabi und Stefan Leitner zum Beispiel. Drei, vier Riesenslalomschwünge entfernt betreiben sie ihr Radl-Bistro, das seit zweieinhalb Jahren zugleich das Maria-und-Susanne-Riesch-Fanklub-Lokal ist. Man kennt sich: Papa Riesch hat sein Büro im Stockwerk drüber. Leitner stöhnt: „Wir kennen ja den Auflauf vom Neujahrsspringen. Aber was hier seit Dienstag an LKWs durchrauscht...“ Auch während der WM dürfte es heftig werden, fürchtet er: „Die Lieferanten dürfen nur bis morgens um sieben rein, danach sind die Straßen gesperrt.“ Doch wenn am Schluss die Richtigen gewinnen, wird dieser Ärger und auch der über italienische Zaunlieferanten längst vergessen sein.
Thomas Becker
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