AZ-Reportage: Die irre Tour von Ultramarathon-Mann Florian Neuschwander

Zwei Orte, ein Name, ein Ziel: Florian Neuschwander wagte den Ultralauf von der Schweiz nach Bayern - zwölf Marathons in sieben Tagen. Warum? "Weil ich es liebe", sagt er. Die AZ hat ihn ein Stück begleitet.
von  Thomas Becker
Von Laufen nach Laufen: Der Ultramarathonläufer Florian Neuschwander (l) läuft von der Schweiz bis nach Bayern.
Von Laufen nach Laufen: Der Ultramarathonläufer Florian Neuschwander (l) läuft von der Schweiz bis nach Bayern. © Phil Pham / Red Bull Content Pool

Natürlich ist Florian Neuschwander nicht ganz normal. Welcher Ultraläufer ist das schon? Der 31-Jährige sagt: "Ultralauf ist nicht gleich Ultralauf. Bei Läufen zwischen 50 und 70 km weiß ich, was mit meinem Körper passiert. Ich laufe seit 23 Jahren. Wenn ich alles zusammenzähle: mehr als drei Mal um die Welt. Aber in kurzer Zeit so viel habe ich auch noch nie gemacht. 540 km und 9.000 Höhenmeter in einer Woche: Das ist auch für mich Neuland."

Von Laufen nach Laufen: Zwei Marathons pro Tag

Das war vor dem Start, vor dem Projekt "Von Laufen nach Laufen laufen", also von Laufen in der Schweiz nach Laufen in Deutschland an der Grenze zu Österreich. Der irre Plan: mehr als zwei Marathons pro Tag, über Stock und Stein, bei Regen und Kälte, sechs Tage hintereinander. Klingt verrückt, ist es auch. Warum der das macht? "Weil ich es liebe", sagt er mit seiner ansteckend guten Laune.

Wobei ihm die zwischendrin auch mal abhanden kam. Aus den geplanten sechs Etappen wurden am Ende doch sieben - aber wer will ihm das verdenken? Nun, eine gebe es da vielleicht schon, meint der Mann mit dem Old-School-Schnauzer: "Meine Freundin hat gemeint, ich soll mal zusehen, dass ich heim komme. Ich will sie und unsere Tochter ja nicht so lange warten lassen."

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Neuschwander ist ein Lauf-Verrückter. Als Kind hat der nun in Inzell lebende Saarländer Tennis gespielt, absolvierte mit 15 seinen ersten Wettkampf - ein 2km-Nikolaus-Straßenlauf - ohne Training. Die Distanzen wurden lang und länger: 2018 lief der gelernte Einzelhandelskaufmann beim Western States Endurance Run in den USA seinen ersten 100-Meiler. Er gewann den Wings for Life World Run seines Sponsors Red Bull, und in dessen Trainingscenter in Thalgau stellte er im Februar einen Weltrekord über 50km auf einem Laufband auf.

Neuschwander verbrennt 9.000 Kalorien am Tag

Nun also die Laufen-Story. Die Idee hatte er schon vor Jahren, aber immer kam irgendein Ultralauf dazwischen. "Jetzt zieh' ich das durch", sagt er, "aber nochmal mach' ich das nicht!"

Wer in dieser Woche mit ihm reden wollte, konnte mitlaufen, musste aber so fit wie der Nordische Kombinierer Vinzenz Geiger oder Eishockey-Crack Konny Abeltshauser sein, um ein paar Kilometer mithalten zu können. Ansonsten: Interviews vom Fahrrad aus. Oder ihn bei einer Mittagspausen-Pizza abpassen.

Tag fünf, Murnau: Vor einer Pizzeria klebt sich Neuschwander die Zehen ab, bevor die Quälerei weitergeht. 9.000 Kalorien verbrennt er an einem Tag: "Das kann man sowieso nicht aufnehmen", sagt er, "ich ballere rein, was geht. Aber irgendwann bin ich halt satt." 57 Kilo wiegt er - abends nur noch 54. "Dann fress' ich mir nochmal zwei, drei Kilo an."

"Ist das noch Allgäu?"

Zwei harte Berge stehen ihm heute im Weg, bis nach Gmund am Tegernsee will er kommen. "Ich kenne die Gegend gar nicht. Ist das noch Allgäu?", fragt er. Ist es nicht, vielmehr tiefstes Oberbayern. Seine Tracking-Uhr zeigt ihm den Weg an, und da hat er sich die Direttissima ausgesucht: "Weil's kürzer ist. Aber es waren dann doch viel mehr Höhenmeter als gedacht. In der Schweiz, gleich am ersten Tag, war das ein Marathon mit 1.700 Höhenmetern, fast nur Trails. Ich dachte: 'Ach du Scheiße, was hab ich mir da denn ausgedacht?' Aber es gibt halt kein Zurück mehr."

Und so rennt er auch in Murnau der Uhr nach, was nicht immer klappt: Plötzlich steht er vor einer finsteren Treppe, die in ein Restaurant führt, wo es wieder Pizza gäbe, aber die hat er ja schon im Bauch. Zurück geht's im Laufschritt durch die Fußgängerzone, quer durch die Live-Aufzeichnung irgendeines TV-Teams und über schmale Spazierwege raus aus der Stadt, Richtung Riegsee, in seinem Rücken die schneebedeckten Berge des Karwendel - Ultra Running vor Ultra-Kulisse.

Zwei Tage später hat die Qual ein Ende, nach insgesamt 549,91 km. Die 38 km vom Ziel in Laufen bis nach Hause zu Frau und Kind in Inzell legte Neuschwander dann ausnahmsweise nicht per pedes zurück: Der Ultra-Mann ließ sich mit dem Auto heimfahren. Einfach so.

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