AZ-Interview mit Henry Maske zum Tod von Rocchigiani

In der AZ erweist Box-Ikone Maske seinem einstigen Kontrahenten Rocchigiani, der am Montag verunglückt ist, die letzte Ehre.
von  Matthias Kerber
"Es war der wahrscheinlich intensivste Kampf meiner Karriere", sagt Maske (r.) über den Fight mit Rocchigiani, der am Montag bei einem Autounfall verstorben ist.
"Es war der wahrscheinlich intensivste Kampf meiner Karriere", sagt Maske (r.) über den Fight mit Rocchigiani, der am Montag bei einem Autounfall verstorben ist. © dpa

Der jetzt 54-Jährige Henry Maske prägte als "Gentleman-Boxer" den deutschen Boxsport der 90er Jahre. 1995 bestritt er zwei epische Ringschlachten gegen Graciano Rocchigiani, den zweiten Kampf in der Münchner Olympiahalle, die er beide gewann. Rocky verstarb am 1. Oktober bei einem Autounfall.

AZ: Herr Maske, Ihr großer Widersacher Graciano Rocchigiani ist Montagnacht bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Was sind die ersten Worte, die Ihnen in den Kopf kommen, wenn Sie, der Gentleman-Boxer, an Rocky denken?
HENRY MASKE: Fairer Sportsmann! Bei aller Härte, die er hatte, hat ihn in meinen Augen besonders ausgezeichnet, dass er immer absolut fair und ehrlich war. Ich bin mir sicher, dass er mir zum Beispiel nie absichtlich einen Tiefschlag verpasst hätte. Ich weiß, dass diese Einschätzung vielleicht dem entgegenläuft, was die Leute, die ihn nicht kannten, mit ihm vordergründig in Verbindung bringen: Aber das war er für mich – ein fairer Sportsmann.

Maske: "Graciano war nicht nur ein Gegner für mich"

Bei all dem, was uns sicher getrennt und auch unterschieden hat, waren wir uns im Kern viel ähnlicher und näher, als sich die Menschen vorstellen können. Graciano war ganz sicher nicht nur ein Gegner für mich, sondern einer der wichtigsten Gegner. Es war sicher so, dass es Zeiten gab, in denen wir uns eher aus dem Weg gegangen sind, aber ich bin froh, sagen zu können, dass wir uns nach den Kämpfen auch als Menschen sehr nahe gekommen sind. Unsere Beziehung war immer von allerhöchstem gegenseitigen Respekt geprägt.

Wie gehen Sie ganz persönlich mit seinem Tod um?
Ich muss zugeben, es ist sehr schwierig zu akzeptieren, dass er jetzt so – viel zu früh – aus dem Leben gerissen wurde. Ich habe erst vor kurzem einen Freund, der genau im gleichen Alter war, verloren. Er hatte eine sehr lange, schwere Krankheit und hat sich dann entschieden, das Leid für sich zu beenden und aus dem Leben zu scheiden. All diese Gefühle sind jetzt wieder hochgekommen. Ich hatte wirklich weiche Knie, als ich von dem Unfalltod von Rocky gehört habe – und die habe ich auch immer noch.

Maske beschreibt Kampf gegen Rocky als den intensivsten seines Lebens

Wie haben Sie Rocchigiani als Gegner erlebt?
Schon in der ersten Sekunde des ersten Kampfes habe ich gespürt, was da auf mich zukommt. Ich sage es ja gerne: In den zwölf Runden eines Kampfes – und mit Graciano hatte ich ja zwei Fights – lernt man sich als Mensch besser kennen, als man andere Personen in einem ganzen Leben kennenlernt, weil man eben den Kern, die Substanz eines Menschen in dieser Extremsituation erfährt.

Keiner von uns wollte verlieren, aufgeben, man hat sich hochgeschaukelt und in sich eine Kraft gefunden, von der man vielleicht vorher gar nicht wusste, dass man sie hat. Ich war in den letzten Runden gegen Rocky wirklich mausetot. Ich hatte keinerlei Kraft mehr, aber er hatte auch nicht mehr die Power, um mich auszuknocken. Es war der wahrscheinlich intensivste Kampf meiner Karriere, ich war zwei Mal am Boden.

In der neunten und der zwölften Runde.
Genau. Und ich bin mir sicher, dass er so gehofft hat, dass ich nicht mehr hochkomme. Aber irgendwie habe ich es geschafft. Das sind Grenzerfahrungen, die einen verbinden. Rocchigiani ist ein wichtiger Teil meiner Lebensgeschichte und er ist auch Teil von mir.

Umstrittenes Urteil im ersten Kampf

Das Urteil im ersten Kampf, den Sie gewonnen haben, war umstritten, es gab in der Halle nicht wenige Pfiffe.
Das stimmt, das habe ich auch wahrgenommen, obwohl ich im Ring das Gefühl hatte, dass er das Urteil so akzeptiert. Aber da es eben umstritten war, habe ich mich auch entschieden, dass es einen Rückkampf geben soll. Und das gegen den Rat von Wilfried Sauerland und Manfred Wolke.

Ihr Manager und Ihr Trainer.
Genau. Sie wollten das Risiko nicht. Aber ich wollte es, brauchte es. Das war ich Graciano schuldig, aber auch mir.

Sauerland meinte nach dem ersten Kampf in pathetischen Worten, dass dies der Fight gewesen sei, in dem Sie zum Mann geworden seien.
Auf einer gewissen Ebene stimmt das, auch wenn man sich über die Wortwahl streiten kann. Wie gesagt, man erfährt in solchen Situationen auch viel über sich. Und ohne diesen Kampf, ohne Rocky wäre ich wohl nicht der Boxer geworden, der ich wurde. Erst nach dem Kampf, bei dem ich in Dortmund weit weg von den neuen Bundesländern angetreten bin, wurde ich in Gesamtdeutschland akzeptiert.

Gegenseitiger Respekt zweier Box-Größen

Ohne Rocky wären Sie nicht zum deutschen Box-Heroen geworden?
So seh ich das, ja. Im Vorfeld des Kampfes war es irgendwo das Duell Wessi gegen Ossi. Danach sahen es alle nur noch als den Kampf Rocchigiani – Maske. Da hat sich was bewegt in den Köpfen. Es hat mich ungemein Freude, dass ich später erleben durfte, dass der Respekt, den ich für ihn hatte, er auch für mich hatte.

Wir haben uns nicht andauernd getroffen, unsere Lebenswege sind doch in sehr unterschiedliche Richtungen gegangen, aber wann immer wir uns getroffen haben, hatten wir diese spezielle Verbindung. Es war mir auch sehr wichtig, dass wir unseren 50. Geburtstag zusammen gefeiert haben. Er hatte ja am 29. Dezember Geburtstag, ich am 6. Januar. Ich habe am 10. dann in Rust gefeiert. Am Vormittag des Zehnten hat er noch angerufen und gesagt, er könne nicht kommen. Ich habe dann auf ihn eingeredet und er ist erschienen, was mir wirklich wichtig war. Und es hat ihm auch sehr gut gefallen.

"Er war immer ein Mann der Extremen"

Wie haben Sie seinen Absturz Anfang diesen Jahrtausends erlebt? Er soll ja auch jetzt bei dem Unfall, bei dem er überfahren wurde, schwer betrunken gewesen sein.
Es tat weh, zu hören, was da passiert mit ihm. Es war sicher so, dass er im Leben seine Nerven nicht immer so im Griff hatte, dass er nicht die besten und klügsten Entscheidungen getroffen hat, das hat er ja auch immer zugegeben. Er hat durch das Boxen sicher so viel Geld verdient, dass es leicht hätte reichen müssen. Er war immer ein Mann der Extreme. Er hat nicht immer das getan, was das Beste für ihn gewesen wäre. Aber auch das hat zu ihm dazu gehört, das war ein Teil seines Charmes, seiner Aura, seiner Ausstrahlung.

Ich glaube, dass er letztlich auch ein Mensch war, der – wie die meisten von uns – von seinem Umfeld geliebt werden wollte. Manchmal hat er das nicht erfahren und dann eben Entscheidungen getroffen, die schlecht für ihn waren. Er war ein knallharter Kerl, aber mit einem großen Herzen und einer verletzlichen Seele. Aber für mich bleibt er vor allem als herausragender Boxer und Gegner und als ein feiner, immer ehrlicher Mensch in Erinnerung. Ich vermisse ihn jetzt schon. Und ich kann nur hoffen, dass seine Familie mit diesem schweren Verlust zurechtkommt. Wenn ich irgendwie helfen kann, bin ich jederzeit dazu bereit.

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