AZ-Interview mit Hans-Joachim Stuck: "Vettel hat mehr Rennfahrerblut in sich als andere"

AZ-Interview mit Hans-Joachim Stuck: Der 71-Jährige ist eine deutsche Rennfahrerlegende. Er fuhr in der Formel 1, DTM und bei Le Mans.

AZ: Herr Stuck, Sebastian Vettel ist am Sonntag sein letztes Rennen in der Formel 1 gefahren. Hinterher haben die Kollegen Spalier gestanden und sich von ihm verabschiedet. Ein besonderer Moment?
HANS-JOACHIM STUCK: Ich habe noch nie erlebt, dass ein Fahrer so verabschiedet wurde. Was die Kollegen Sebastian geboten haben, zeugt davon, wie sie ihn schätzen, respektieren und seine Leistung anerkennen.
Sebastian Vettel gehört zu den besten Formel-1-Fahrern der Welt
Lewis Hamilton hat ein paar Tage vor dem Rennen eine Party für ihn veranstaltet.
Partys hat es immer gegeben. Aber dass sich die Fahrer auf der Start- und Zielgeraden aufstellen und ihn abklatschen und umarmen, das ist einmalig.
Wie groß ist der Rennfahrer Sebastian Vettel einzuordnen?
Er steht definitiv auf einer Ebene mit Ayrton Senna, Nelson Piquet, Niki Lauda, Sebastian Vettel, Michael Schumacher – da ist er mit dabei. Von den früheren Fahrern noch Jackie Stewart, aber er hat schon nicht mehr den Stellenwert.

In den vergangenen zwei Jahren bei Aston Martin hatte Vettel längst nicht mehr die Erfolge und Strahlkraft. Hätte er früher aufhören sollen?
Nach seiner Zeit bei Red Bull hat er mit Ferrari eine Herausforderung gesucht. Denn ein WM-Titel mit Ferrari ist schon etwas wert. Bei Red Bull bedeutet er auch einiges, aber Ferrari ist einfach Ferrari. Der Traum ging leider nicht in Erfüllung. Ich muss aber besonders an ihm wertschätzen, dass er danach bei Aston Martin weitergemacht und sie vorangebracht hat. Denn Aston Martin hat sicher kein Spitzenauto. Das hat Nico Rosberg zum Beispiel nicht gemacht. Er hat auf seinem Höhepunkt aufgehört. Da sieht man, dass Sebastian Vettel noch mehr das Rennfahrerblut in sich hat als andere.
Hans-Joachim Stuck: "Ich habe nie richtig aufgehört"
Wie hat Vettel Aston Martin vorangebracht?
Er ist ja vergangenes Jahr sogar einmal Zweiter geworden. Das muss erst einmal jemand nachmachen. Jetzt sind ihm andere Dinge wichtiger, vor allem die Familie.
Was wird er die nächsten Wochen tun?
Sebastian hat ja viele Hobbies, er wandert gern, ihm wird sicher nicht langweilig.
Wie war das bei Ihnen, als Sie aufgehört haben?
Ich habe ja nie richtig aufgehört, ich bin bis letztes Jahr regelmäßig Rennen gefahren – und werde es auch wieder tun.
Wird Vettel irgendwann ein Comeback feiern? "Wenn er will, findet er einen Platz"
Hamilton hat gesagt, er glaubt an ein Vettel-Comeback.
Ich glaube auch, dass wir ihn nochmal sehen werden. In seinem Alter, mit seiner Veranlagung und seinen Möglichkeiten glaube ich, dass er schnell merkt, was ihm fehlt. Er muss ja nicht zurück in die Formel 1, es gibt andere Rennserien, die zu ihm passen würden. Wenn er will, findet er einen Platz.
Stichwort Formel E.
Diese Rennserie passt vielleicht besser zu seiner umweltbewussten Richtung. Es ist eine interessante Alternative, auch wenn ich nicht glaube, dass sie die Formel 1 in absehbarer Zeit ersetzen wird. Vielleicht engagiert er sich auch mehr in der E-Mobilität, da wird mit Wasserstoff, E-Fuels, synthetischen Fuels einiges auf uns zukommen und wichtig werden.
Vettel hat zuletzt oft auf den Klimawandel aufmerksam gemacht, sich fürs Fahrradfahren ausgesprochen, Umweltbelastungen durch die Formel 1 angeprangert. Ist sein Verhalten als Rennfahrer heuchlerisch?
Nein, ich glaube ihm das. Dazu passt ja, dass er jetzt aussteigt. Das Problem liegt auch bei der Formel 1. Ich habe kürzlich mit FIA-Präsident Mohammed bin Sulayem gesprochen und ihn gefragt: Warum fährt die Formel 1 nicht ab kommender Saison mit synthetischen Kraftstoffen? So kann man einen vernünftigen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Von daher verstehe ich Sebastian. Wenn er seine Haltung konsequent durchzieht – Chapeau.
Was hat der gesagt?
Bin Sulayem konnte mir die Frage auch nicht richtig beantworten. Die Formel 1 muss in vielem aufpassen. Der Cost Cap kann zum Beispiel auch nicht funktionieren. Wir brauchen ein klar definiertes Reglement. So funktioniert der Motorsport in den USA auch. Allein den Kostendeckel zu kontrollieren, kostet Unmengen an Geld.
"Mick Schumacher wäre bei Mercedes gut aufgehoben"
Hinzu kommt, dass neben Vettel auch Mick Schumacher die Formel 1 verlässt.
Als feststand, dass Haas mit ihm nicht weitermacht, dachte ich mir, dass das ein guter Neuanfang sein kann. Im Team ist die Harmonie kaputt. Das ist kein Drama. Wenn er bei Mercedes unterkommt, hat er eine tolle Chance sich zu beweisen, um wieder in ein Team zu kommen. Wie ich Toto Wolff (Teamchef bei Mercedes, d. Red.) kenne, wird er alles tun, um das möglich zu machen. Dort wäre er gut aufgehoben.
Mit Nico Hülkenberg ist noch ein deutscher Fahrer dabei, der aber nie ein Superstar war. Es gibt kein deutsches Rennen mehr. Was bedeutet das für die Formel 1 in Deutschland?
Ich hoffe, dass einige endlich aufwachen. Wir brauchen Nachwuchsfahrer. Es kann heute nicht mehr sein, dass ein Junior Kart im Jahr 507.000 Euro kostet. Wer soll das bezahlen? Das können sich nur sehr wenige leisten. Industrie und Verband sollten die Jugend mehr fördern – und eine neue Nachwuchsserie einrichten zwischen Kart und Formel 2. Daran müssen wir arbeiten.