AZ-Interview: Ex-Mercedes-Sportchef Norbert Haug über Weltmeister Lewis Hamilton
Norbert Haug (64) war von 1990 bis 2012 Mercedes-Motorsportchef und mitverantwortlich für die Formel-1-Teams von McLaren und Mercedes. Heute arbeitet er unter anderem als Motorsportexperte für die ARD.
AZ: Herr Haug, Sie kennen Lewis Hamilton schon seit Ihrer gemeinsamen Zeit bei McLaren. War es damals absehbar, dass Hamilton die Formel 1 später so dominieren würde?
NORBERT HAUG: Mercedes arbeitet mit Lewis Hamilton seit dessen zwölften Lebensjahr zusammen. Lewis wurde genauso wie Nico Rosberg in einem gemeinsam mit unserem Partner McLaren beauftragten Kart-Juniorteam professionell gefördert, das war vor 17 Jahren. Beide hatten den Traum, es in die Formel 1 zu schaffen – und hätten sie den nicht gehabt, hätten wir sie bestimmt nicht gefördert. Aber zu behaupten, wir hätten damals schon gewusst, dass beide Weltmeister werden würden und Lewis bis heute gar Vierfach-Weltmeister, wäre gänzlich unangemessen. Was beide aus ihrem Potenzial gemacht haben, verdanken sie ihrem Talent, ihrem Willen – und vor allem der Unbeirrbarkeit, dank harter Arbeit an sich und ihre Teams zu glauben.
Wie würden Sie Hamiltons Charakter von damals beschreiben?
War er schon der Showman, wie man ihn heute kennt? Das öffentlich gezeichnete Bild entspricht nicht nur in Hamiltons Fall meist nicht der Realität. Lewis ist in allererster Linie ein harter Arbeiter, mit Show-Talent wird man nicht vierfacher Formel 1-Weltmeister.
Ist Ihrer Meinung nach Hamilton der reifere Fahrer als Sebastian Vettel – oder hat er nur das bessere Auto?
Die Entscheidung über den WM-Titel 2017 hätte auch zu Sebastian Vettels Gunsten ausfallen können. Ein Schaden und zwei Crashs weniger, und die Punktetabelle hätte schon ganz anders ausgesehen. Den Konjunktiv gibt es aber in der Realität nicht – erst recht nicht in der Formel 1. Lewis und sein Silberpfeil-Team haben insgesamt die bessere Arbeit abgeliefert als Ferrari und Vettel.
Haug: "Die Teamleitung ist extrem gefordert"
Also profitierte Hamilton auch von der starken Arbeit seines Teams?
Sehr, aber Hamilton machte letztlich den Unterschied, wie die Platzierung seines Teamkollegen Valtteri Bottas zeigt, der absolut gleiche Voraussetzungen hatte, und zwei Rennen vor Saisonende hinter Vettel klassiert ist.
Und wie sehr profitiert Mercedes von der Aufbauarbeit seit 2010 mit Ihnen, Michael Schumacher oder Nico Rosberg?
Darüber nachzudenken, ist müßig. Die Beteiligten wissen dies sicher richtig einzuschätzen, ohne treffsicheren Schritt eins wird ein treffsicherer und erfolgreicher Schritt zwei umso schwieriger, das gilt in der Wirtschaft genauso wie im Sport. Was aber zählt, ist die konsequente Umsetzung und Weiterentwicklung der vorhandenen Voraussetzungen, und das hat das Silberpfeil-Werksteam nun viermal in Folge mit bestmöglicher Trefferquote geleistet.
Ist Hamilton eigentlich ein Teamplayer? Sowohl bei McLaren mit Fernando Alonso, als auch bei Mercedes mit Rosberg hatte er Probleme mit gleichgestellten Piloten neben sich.
Wer nicht Teamplayer ist, wird nirgendwo anhaltenden Erfolg haben. Wenn der eigene Teamkollege der einzige ernsthafte Rivale beim Kampf um den Weltmeistertitel ist, wird's innerhalb des Teams zwischen den Fahrern phasenweise auch mal rustikaler und die Teamleitung ist extrem gefordert. Uns hat der Kampf zwischen Alonso und Hamilton bei McLaren Mercedes 2007 den WM-Titel gekostet, beide Fahrer hatten am Ende jeweils einen Punkt weniger auf dem Konto als der lachende Dritte Kimi Räikkönen im Ferrari. Die aktuellen Silberpfeile haben das besser geregelt: Vier Jahre, drei Titel für Hamilton, einer für Rosberg.
Haug: "Alsonso gehört zweifellos zu den allerbesten Fahrern"
Bleibt Mercedes mittelfristig unschlagbar oder lernen Ferrari und Red Bull aus ihren Fehlern und holen auf?
Es wurde in der laufenden Saison ja deutlich enger zwischen den drei Teams, natürlich wünschen sich die Fans, dass sich dieser Trend fortsetzt und die Formel 1 fortlaufend spannender wird. Wer nun aber glaubt, dass sich die Mercedes-Jungs nach vier in Folge gewonnenen Titeln in die Hängematten legen und die Winterzeit mit Schulterklopfen überbrücken werden, wird beim ersten Grand Prix im nächsten Jahr etwas anderes erleben. Niemand weiß besser als sie, dass die Konkurrenten näher rücken. Ziel nach Titel vier ist Titel fünf. Und den zu holen, wird womöglich noch herausfordernder als die vier vorausgegangenen.
Mercedes-Talent Pascal Wehrlein steht vor dem Aus in der Formel 1. Hat Mercedes da vielleicht im Nachwuchsprogramm etwas falsch gemacht, hätte man Wehrlein statt Valtteri Bottas verpflichten sollen?
Wenn von zwei Fahrern im Team einer den Weltmeistertitel holt und der andere zwei Rennen vor Schluss die Chance hat, Zweiter in der Endabrechnung zu werden, kann man in der Fahrerwahl nicht viel falsch gemacht haben. Womöglich hätte Pascal Wehrlein Gleiches, Ähnliches oder gar Besseres leisten können als Valtteri Bottas. Ich bin überzeugt davon, dass sich die Teamleitung nicht gegen Wehrlein, sondern für die nach ihrer Einschätzung bestmögliche Aufstellung entschieden hat. Wehrlein hat seit Jahren große Unterstützung von Mercedes erhalten und bekommt oder holt sich bestimmt weitere Chancen.
Auch Fernando Alonso kennen Sie von früher, wie haben Sie sein "Leiden" bei McLaren verfolgt? Und denken Sie, er hat mit dem Renault-Antrieb wieder eine Chance?
Fernando Alonso hat 2007 bei McLaren Mercedes seinen Titelgewinn selbst vertan, das ist bekannt. Danach scheiterte er zweimal knapp bei Ferrari. Er gehört zweifellos zu den allerbesten Fahrern im Feld und könnte statt Doppel- auch schon Fünffach-Weltmeister sein. McLaren-Renault und Alonso müssen 2018 liefern, also siegen – nichts anderes haben sie ja schon angekündigt.
Lesen Sie hier: GP von Brasilien - Darüber wird im Fahrerlager gesprochen