AZ-Interview: Ein Gentleman und ein erbärmlicher Gegner

München - Der 51-Jährige löste in den 90er Jahren den Box-Boom in Deutschland aus, er war von 1993 bis 1996 Weltmeister im Halbschwergewicht. 2007 bestritt er einen Comebackkampf gegen Virgil Hill, den er gewann. Vor dem großem WM-Fight zwischen Wladimir Klitschko und Tyson Fury spricht er in der Abendzeitung über das Duell.
AZ: Herr Maske, am Samstag verteidigt Weltmeister Wladimir Klitschko seinen Titel gegen den britischen Herausforderer Tyson Fury. Von was sind Sie, Deutschlands Box-Legende, denn mehr beeindruckt: Furys boxerischen Fähigkeit oder seinem losen Mundwerk, mit dem er den Kampf promotet?
HENRY MASKE: Wenn Sie mich so direkt fragen: Mich beeindruckt bei Fury beides nicht. Das Einzige, was mich an ihm beeindruckt, ist seine Größe.
Er misst 2,07 Meter.
Ja, aber dafür kann er ja nichts, das wurde ihm von der Natur mitgegeben.
Würden Sie Fury als boxerisch limitiert betrachten?
Ja. Man sieht ihm an, dass er das Boxen nicht mit der Muttermilch aufgesogen hat. Gute Boxer sind fast alle im Kindesalter ins Gym gekommen, haben die Kunst des Boxens gelernt und sind dann gewachsen. Sie waren aber bereits Boxer. Dann gibt es die Gruppe derer, die man aufgrund ihres Körpers entdeckt hat. Die groß und stark waren und wo sich dann ein Trainer gedacht hat: Den kann man zu einem Boxer machen. Diesen Kämpfern fehlen aber die prägenden Jahre. So sehe ich Fury. Es ist nicht so, dass er die Feinheiten dieses Sports verinnerlicht hat. Er ist, was seine Koordination betrifft, eher minderbegabt. Da fällt mir ein Vergleich ein.
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Wir lauschen.
Wenn man sich die Basketballer von vor dreißig Jahren in Erinnerung ruft und mit denen von jetzt vergleicht, sind da Welten dazwischen. Früher musste man vor allem groß sein, die Koordination ließ zu wünschen übrig. Die aktuellen Basketballer sind unglaubliche Athleten, fast Artisten, die eine Körperbeherrschung haben, die ihresgleichen sucht.
Das heißt, Sie würden Fury mit einem Basketballer von vor dreißig Jahren vergleichen?
So sieht es aus.
Klitschko wird gegen Fury auf jeden Fall seine Taktik umstellen müssen. Ein, zwei Schläge, dann Klammern und Drauflegen, wird gegen den größeren Fury nicht funktionieren.
Richtig. Ich muss sagen, ich bin neugierig darauf, wie er den Kampf angeht. Ich denke, er wird sich Zeit nehmen und mit seiner Führhand Rammstöße setzen und sich Fury vom Leib halten. Der boxt ja noch nicht einmal wie ein großer Mann. Er macht sich klein, geht in die Halbdistanz. Aber ich bin sicher, da wird er sehr schnell feststellen, was bisher noch jeder früher oder später realisieren musste, der sich mit Klitschko den Ring teilte: Das ist eine andere Klasse, ein anderes Niveau. Das ist ein Bollwerk und die Schläge bereiten richtig Schmerzen.
In seinem letzten Kampf gegen Bryant Jennings sah Klitschko, der im März 40 wird, relativ schwach aus. Merkt man ihm das Alter langsam an?
Ich denke nicht. Vor erst einem Jahr hat er gegen Kubrat Pulev geboxt. Das war ein Gegner, dem wir alle zugetraut haben, dass er Klitschko vielleicht nicht schlagen kann, aber ihm zumindest vielleicht gefährlich werden kann. Wladimir hat aber von der ersten Sekunde diesen Fight angenommen und den vielleicht besten Kampf der Karriere abgeliefert. Es ist ja schon so, dass er in normalen Kämpfen – zumindest für das geübte Auge – zuweilen eine Unsicherheit ausstrahlt, die er als Champion seiner Klasse nicht nötig hat. Aber gegen Pulev war das anders. Da habe ich mir gesagt: Ja, jetzt hat er auch diesen Aspekt des Boxsports gemeistert. Da hat er einen weiteren Baustein für seine eigene Legende abgeliefert.
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Immerhin heizt Fury den Kampf gewaltig an.
Absolut. Und ich bin sicher, dass sich keiner darüber mehr freut als Wladimir. Boxen ist ein Geschäft. Je mehr Ballyhoo, desto besser für den Kampf. Da kann sich Wladimir, der – obwohl er sich da ja auch etwas geöffnet hat – nicht der bedingungslose Showman ist, zurücklehnen und den anderen machen lassen. David Haye hat es mit seinen Provokationen ja vorgemacht, Fury macht es nach.
Hoffentlich wird der Kampf nicht ähnlich antiklimatisch ...
Es war so, dass wir uns alle mehr versprochen haben nach den Sprüchen. Fakt ist aber, dass Haye im Ring eher wie ein Mäuschen aufgetreten ist.
Auftritte im Batman-Kostüm hin oder her: Furys Aussagen zu anderen Dingen überschreiten alle Grenzen. Er hetzte in einem wirren Interview in England gegen Homosexuelle.
Ich finde das Niveau, auf dem sich Fury bewegt, erbärmlich. Solche Entgleisungen sind der Grund dafür, dass die große Öffentlichkeit vor 1990 in Deutschland nichts, aber auch gar nichts mit Boxen zu tun haben wollte. Von solchen Leuten wollte man sich – zu Recht – fernhalten. Was die Boxer mit all ihren Tiraden nicht verstehen, ist, dass der Weg zurück in die öffentliche Ächtung ein sehr steiler ist und ganz schnell geht. Hier fehlt mir der Respekt. Der Respekt vor dem Gegner, der Respekt vor den Menschen ganz generell. Respekt vor der Sportart verbieten solche Aussagen. Die Boxer heute profitieren alle davon, dass wir den Sport in den 90er Jahren aus dem Zwielicht geholt haben. Sie haben die Verantwortung, ihn so zu behandeln, dass er nicht um 25 Jahren zurückgeworfen wird.
Sie wirken richtig wütend.
Ja. Ich mag es, wenn Leute wie Klitschko das Boxen prägen, Klasse einbringen, eben Gentleman sind.