"Autos? Schlimmer als Steilhänge"
Sébastien de Sainte Marie ist einer der besten Steilhang-Skifahrer der Welt. Hier erklärt er, warum er sein Metier nicht als Extremsport empfindet – und was seine Ängste sind.
Herr de Sainte Marie, erzählen Sie uns etwas über ihre Leidenschaft Steilwand-Skifahren: Sie steigen auf einen Berg, suchen sich den steilsten Hang und brettern hinunter? Ein kurzes Vergnügen…
SEBASTIEN DE SAINTE MARIE: So könnte man es sagen. Die meiste Zeit davon ist harte Arbeit. Und dann: wow. Dann geht's ein paar Sekunden runter. Aber dafür mach ich es!
Im Oktober 2011 wollten Sie im Himalaya die Westseite des Shishapangma (8027 Meter) herunterfahren, kehrten aber um. Was ging schief?
Die ganze Tour war ein Chaos: Die Lage war dort nach Erdbeben und Schneestürmen zu unruhig, es donnerten ständig Schnee- und Steinlawinen runter. Überall waren hohe Schnee-Verwehungen und darunter Blankeis, einfach unüberwindbar. Meine Ski, die im Hochlager deponiert waren, wurden von einer Lawine mitgerissen. Es war sehr deprimierend, dass es nicht geklappt hat. Aber ich konnte noch auf 7000 Meter aufsteigen und mit den Ski meines Fotografen eine Abfahrt über 1100 Meter machen.
Und sind heil angekommen?
Ja! Ich habe es schon genossen, aber ich musste an meine Grenzen gehen. Ich war total platt. Ganz ehrlich: Ich habe nicht gewusst, dass die Bedingungen so schwierig sind. Das nächste Mal werde ich mich noch besser vorbereiten.
Schon sehr extrem, was Sie da machen.
Ich sehe das nicht als Extrem-Sport. Was ist überhaupt extrem? Ich bin nur ein Mensch, der in die Berge geht. Ich brauche das, so kann ich mich ausdrücken. Ich könnte niemals in einer großen Stadt leben. Das wäre für mich extrem. In den Bergen bin ich frei.
Naja, Sie begeben sich freiwillig in Lebensgefahr…
Gut, ein Adrenalin-Junkie bin ich schon. Aber: Gefährlich kann es auch woanders werden. Ich fühle mich am Berg wohl, ich weiß, was ich mir zutrauen kann und ich habe selbst die Kontrolle über mich. Das ist in einem Flugzeug anders, oder in einem Auto. Ich fahre nicht gerne und habe nicht einmal eines.
Sie haben also in einem Auto mehr Angst als am Steilhang?
Das klingt vielleicht komisch, aber es ist so. Aber eine Sache, vor der ich mich an einer Steilwand fürchte: Wenn ich nicht weiß, wie der Schnee ist. Ich versuche immer, mich gut auf eine Abfahrt vorzubereiten, aber manchmal weiß man es trotzdem nicht. Am Shishapangma bin ich in eine Lawine geraten, aber hatte Glück und keine größeren Verletzungen.
Was waren bis jetzt Ihre Highlights in den Bergen?
Ich mache das schon seit 14 Jahren und habe viele schöne Orte gesehen. Anfang 2013 bin ich die Nordflanke des Pilates runtergedüst, das war spitze. Und Chamonix in Frankreich ist ein toller Ort. Die Leute dort sind nett, man kann sich über die Lage am Berg gut informieren. Dann fährt man mit der Seilbahn hoch und schon geht's runter. Ein tolles Skigebiet, alles kompakt. Und jede Menge Steilhänge!
Wie steil sind denn die Hänge, die Sie bezwingen?
Die steilsten haben zwischen 45 und 50 Grad Gefälle, das ist hardcore. Am Gspaltenhorn (Berner Alpen, nahe de Sainte Maries Wohnort Lausanne, Anm. d. Red.) bin ich 1800 Höhen-Meter gefahren, da hat der Schnee nur so ins Gesicht geblasen. Supercool!
Geht Ihre Frau Juliette auch so locker mit Ihren waghalsigen Ausflügen um?
Mittlerweile schon. Sie will nur, dass ich ihr Bescheid sage, wenn ich gut runtergekommen bin, ihr ständig Nachrichten schicke. Wenn ich das mache, ist es okay. (lacht)
Welche Anforderungen braucht es, um an Steilwänden fahren zu können?
Man muss schon ein sehr sicherer Skifahrer sein und mit hartem Schnee und Eis klarkommen. Da braucht es langjährige Erfahrung. Sprünge sollte man schon sicher stehen können. Man muss aber kein Didier Cuche sein.