Australian Ofen
Die größte Hitze seit mehr als 100 Jahren schafft im australischen Melbourne auch die allergrößten Tennis-Stars.
MELBOURNE In den Fünf-Uhr-Nachrichten hatte Victorias Ministerpräsident John Brumby gerade die Bevölkerung vor der „extremen, vielleicht sogar tödlichen Gefahr“ durch die größte Hitzewelle seit 100 Jahren gewarnt, da hatten die brutalen Temperaturen im National Tennis Center zu Melbourne bereits ein sportliches Opfer gefunden. 1:2-Sätze und 1:2-Spiele lag Titelverteidiger Novak Djokovic im Backofen der Rod Laver-Arena zurück gegen Amerikas Ballermann Andy Roddick, als der Serbe dem eigenen Trauerspiel ein bitteres Ende machte: Von Krämpfen geschüttelt, von Schwindel und Kopfschmerzen gepeinigt, von der Hitze in einem feuerrot angelaufenen Gesicht gezeichnet, gab der Champion des Jahres 2008 die Viertelfinalpartie auf.
„So hatte ich mir meine letzten Minuten in Melbourne wirklich nicht vorgestellt. Aber du kannst nicht deinen Körper besiegen“, sagte Djokovic später niedergeschlagen. Sein Zwangsabschied ohne verlorenen Matchball warf erneut einen Schatten auf das Grand-Slam-Spektakel, das seine Besten in erbarmungslosen Bedingungen ans körperliche Limit schickt. „Unter den Spielern gibt es massive Unruhe“, sagte Djokovic, „das Wetter, der Zeitplan, der Termin des Turniers, da gibt es viel Gesprächsbedarf.“
Dabei steht Melbourne das Schlimmste noch bevor. Wenn die Meteorologen Recht behalten, wird die Hauptstadt Victorias bis zum Samstagabend die anhaltendste und gefährlichste Hitzewelle seit 1908 erleben. 41 Grad im Schatten sind angekündigt. Über den großen Plätzen werden deshalb ausnahmsweise die Dächer geschlossen – gemäß einer „Sonderregel für extreme Hitze“, um die Spieler vor „körperlichen Schäden“ zu bewahren. Australien Ofen.
Melbourne macht einmal mehr seinem Ruf als das unwägbarste und schwierigste aller vier Major-Turniere zweifelhafte Ehre: Seit dem Halbzeit-Wochenende erleben frustrierte Fans immer wieder Spieler, die in der Hitze kapitulieren und völlig erschöpft das Handtuch werfen.
Schon in der ersten Turnierwoche mussten die Profis Wüstenhitze mit über 40 Grad aushalten, auf dem Centre Court wurden in Bodennähe sogar über 64 Grad gemessen. Wenigstens die dunklen Rauchwolken der großen Buschbrände sind 2009 (anders als im Vorjahr) noch nicht über das National Tennis Center gezogen - aber viel angenehmer sind die Spielbedingungen deshalb nicht in Melbourne, das sich einst mit dem Titel als lebenswerteste Stadt der Welt schmückte.
Die Turnierbosse machen den Profis das Leben zusätzlich schwer. Trotz massiver Kritik halten die australischen Tennis-Verantwortlichen an ihren langen Nachtshows fest. Im vergangenen Jahr spielten Lleyton Hewitt und Marcos Baghdatis ihr Drittrundenmatch bis 4.41 Uhr in der Früh, in der Nacht zum Australia Day 2009 hatte Djokovic bis 2.30 Uhr gebraucht, um den Zyprioten Marcos Baghdatis zu bezwingen. Genau wie Hewitt im Vorjahr hatte Djokovic im nächsten Spiel nichts mehr zuzusetzen. „Erholen kannst du dich nicht wirklich. Du kommst um 5 Uhr ins Bett, bist den ganzen nächsten Tag kaputt, so kaputt, dass du nicht mal trainieren kannst“, sagte Djokovic.
Hewitt hatte die späten Ansetzungen vor Jahresfrist als „sportfeindlich“ gegeißelt: „Es macht keinen Sinn, regelmäßig nach Mitternacht zu spielen. Außerdem ist das Stadion nur noch halb voll.“
In seinen Glanzzeiten war oft Andre Agassi der einzige Profi, der in der Tennis-Folterkammer Melbourne wirklich fit war - ganz einfach, weil er es sich leisten konnte, nur noch bei ausgewählten Turnieren zu spielen und lange Ruhepausen einzulegen. Doch wer bis in den November bei Spitzenwettbewerben engagiert ist, bei WM und Daviscup, für den reicht die Winterunterbrechung von fünf, sechs Wochen oft nicht zur Regeneration aus - der kann nicht reif sein für diese Grand Slam-Strapaze.
Jörg Allmeroth
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