Auf die krumme Tour: Der tägliche Einzelfall
NARBONNE - Die 95. Tour de France hat ihren dritten Doping-Fall. Auch der zweifache Etappensieger Riccardo Ricco hat mit EPO gedopt. Nach dem Befund brach beim Team Gerolsteiner Jubel aus.
Donnerstagfrüh war der Nächste dran. Nach Manuel Beltran am vergangenen Freitag und Moises Dueñas Nevado am Mittwoch holten sich die Gendarmen gestern Riccardo Ricco. Sein positiven Dopingbefund kam freilich genauso überraschend wie Heilig Abend am 24. Dezember.
DER FALL
Auf seiner Homepage nennt sich Ricco selbst die „Kobra“. Die hat sich nun selbst vergiftet. Nach der vierten Etappe, dem Zeitfahren vor zehn Tagen, war Ricco positiv auf EPO getestet worden. Der Zweite des Giro d’Italia mit Marco Pantani als großem Vorbild hatte bereits für Spekulationen gesorgt, weil er in den Pyrenäen so dominiert hatte. „Das war ziemlich überzeugend“, tönte er über sich selbst. Sein Doping war aber vor allem ziemlich dämlich. Wie bei Beltran und Dueñas auch, und doch war gestern alles anders. Weil es nun einmal keinen Spanier erwischte. Weil die Polizei Ricco nicht wie Beltran und Dueñas im Hotel festnahm, sondern am Mannschaftsbus. Weil sich Riccos Mannschaft „Saunier Duval“ noch gestern vormittag von der Tour zurückzog, anders als „Liquigas“ (Beltran) und „Barloworld“ (Dueñas), die ihrer Fahrer munter weiter radeln lassen.
Völlig bizarr, dass Patrice Clerc, der Organisationschef der Tour, weiter systematisches Doping bei den Fahrern leugnet und stattdessen sagte: „Für uns ist das ein weiterer von isolierten Fällen.“ Ein Einzelfall. Der tägliche Einzelfall.
DAS MITTEL
Positiv getestet wurde Ricco auf „Cera“ (Continuous Erythropoiesis Receptor Activator), ein EPO-Derivat der so genannten dritten Generation. Ein Mittel, das bisher nur schwer nachzuweisen war, da es dem vom Körper selbst produzierten EPO-Hormon zu sehr ähnelte. „Da sah man bisher kaum den Unterschied“, so Dopingfahnder Helmut Pabst zur AZ. Doch ein neues verfeinertes Verfahren lässt nun auch die auffliegen, die sich Cera injizieren.
Gut für den Doper war bisher, dass man sich von Cera nicht so viel spritzen musste, da schon weniger reichte, um mehr rote Blutkörperchen zu produzieren. Dumm nur, dass Cera länger im Körper bleibt und sich nicht so schnell verflüchtigt wie konventionelles EPO (ein bis zwei Tage). „Die Haltbarkeit bei Cera“, so der Kölner Doping-Analytiker Mario Thevis, „ist zehn bis 14 Tage.“ Bei Ricco ist das Verfallsdatum inzwischen überschritten.
DIE REAKTIONEN
Dopingfahnder Pabst zweifelte einmal mehr an der Intelligenz dopender Radler: „Man fragt sich echt, wie dämlich kann man eigentlich nur sein.“ Von „Zügen der Selbstzerstörung“ im Radsport sprach DOSB-Chef Thomas Bach. „Ein Umdenken bei allen Beteiligten hat nicht stattgefunden, es wird mit Dreistigkeit weitergedopt. Erschreckend. Fassungslos zeigte sich auch CSC-Profi und Fahrer-Sprecher Jens Voigt, „gestern der eine Trottel (Dueñas, d. Red.) und jetzt der. Die tun uns richtig weh.“ Beim Team „Gerolsteiner“ dagegen herrschte große Freude. Am Sonntag wäre Gerolsteiner-Profi Sebastian Lang beinahe ins gepunktete Trikot des besten Bergfahrers gefahren, wenn ihn nicht 1000 Meter vor der Ankunft auf dem Aspin Ricco überholt hätte. Es wäre Langs größter Karriere-Erfolg gewesen, so herrschte nun zumindest Genugtuung. „Bei uns brach lauter Jubel aus“, sagte Teamchef Hans-Michael Holczer und ergänzte ernst: „Jetzt könnte es dramatisch werden. Ich gehe davon aus, dass Ricco nicht der letzte Dopingfall bleiben wird.“ Eine realistischere Einschätzung als die von Monsieur Clerc.
DIE FOLGEN
Riccardo Ricco musste gestern zum Verhör, gegen ihn wird nun strafrechtlich ermittelt. Massive Konsequenzen muss Moises Dueñas befürchten. In seinem Hotelzimmer fand die Polizei ein wahres Doping-Arsenal. Spritzen, Nadeln, Transfusionsbeutel. Allein dafür drohen im fünf Jahre Haft.
Fraglich, ob das andere Fahrer wirklich abschreckt. Die dämlichen Trottel sicher nicht. Florian Kinast
- Themen:
- Polizei
- Thomas Bach
- Tour de France