Armstrong gedemütigt: Er hakt Toursieg ab
VERBIER - Der Amerikaner hat am Berg gegen seinen Teamkollegen Alberto Contador keine Chance. "Ich habe gelitten!" Der Sieger legt nach: "Armstrong war mein Idol, aber heute war er nur ein weiterer Rivale."
Und plötzlich, da sah Lance Armstrong, der gnadenlose Tourminator, nur noch wie ein ganz normaler Mensch aus. Das Trikot weit aufgerissen, der Kopf tief gesenkt und das Gesicht schwer gezeichnet: Wie ein angeschlagener Boxer quälte sich ein gedemütigter Lance Armstrong über den Zielstrich. In der Höhenluft von Verbier hat der siebenmalige Tourchampion den „Kampf der Generationen“ und damit wohl auch die 96. Tour de France gegen seinen elf Jahre jüngeren und wie entfesselt fahrenden Rivalen Alberto Contador verloren. Der Texaner erlebte 1456 Tage nach seinem letzten Triumph in Paris eine der bittersten Stunden seiner Karriere. „Ich habe gelitten. Ich war schon am Beginn des Anstiegs am Limit. Ich konnte Albertos Antritt nicht folgen. Er ist der beste Fahrer im Feld. Ich bin stolz auf ihn“, gestand Armstrong seine Niederlage gegen den Spanier ein, der zum Sieg auf der 15. Etappe und ins Gelbe Trikot gestürmt war. Von einem achten Toursieg war nicht mehr die Rede, ab sofort ist der zweite Platz in Paris das Ziel für den 37-Jährigen.
"Armstrong war mein Idol, aber heute war er nur ein weiterer Rivale"
Armstrong musste sogar weitere Rivalen wie Andy Schleck (Luxemburg), der in Verbier 43 Sekunden hinter Contador Zweiter wurde, oder Bradley Wiggins (Großbritannien) ziehen lassen und belegte nur den neunten Platz. Der Rückstand zu Contador betrug am Ende 1:35 Minuten, in der Gesamtwertung sind es nun 1:37 Minuten. „Ich bin glücklich über das Ergebnis. Ich habe das Maximum gegeben“, sagte Contador und beantwortete die Frage nach der Kapitänsrolle im Astana-Team auf dem Rennrad: „Die Situation spricht für mich.“ Danach huldigte er den Amerikaner: „Armstrong war mein Idol, aber heute war er nur ein weiterer Rivale. Es ist eine Ehre für mich, dass er jetzt für mich arbeitet.“
5,7 Kilometer vor dem Ziel der ersten Alpen-Etappe über 207,5 km von Pontarlier nach Verbier war die zweiwöchige Lance-Armstrong-Show vorbei. Mit einer seiner gefürchteten Blitzattacken ließ Contador den Texaner quasi am Berg stehen. Gedemütigt konnte Armstrong dem kleinen Spanier, der mit einem Lächeln auf den Lippen zum großen Triumphator avancierte, nur noch hinterherschauen. So ging ein schwarzes Tour-Wochenende, an dem eine Zuschauerin tragisch starb und ein Luftgewehr-Angriff für Aufsehen gesorgt hatte, mit einem sportlichen Glanzlicht zu Ende. Damit dürfte Contador, der den Italiener Rinaldo Nocentini an der Spitze der Gesamtwertung ablöste, den Grundstein zu seinem zweiten Tour-Triumph gelegt haben. Hinter Contador und Armstrong liegt Wiggins (1:46) auf dem dritten Platz. Andreas Klöden (Cottbus), der in Verbier knapp vor Armstrong ins Ziel kam, ist als Vierter 2:17 Minuten zurück bester Deutscher. Für den deutschen Youngster Tony Martin ging die Triumphfahrt in weiß erwartungsgemäß zu Ende. Der Columbia-Profi konnte das Tempo der Favoriten ebenfalls nicht mitgehen, verlor 2:13 Minuten und musste die Führung in der Nachwuchswertung Andy Schleck überlassen.
Nichts zu sehen war von Milram-Kapitän Linus Gerdemann, der über vier Minuten kassierte und noch hinter seinem Teamkollegen Peter Velits (Slowakei) das Ziel erreichte. „Runter mit den Masken“, forderte die französische Sporttageszeitung L'Equipe am Sonntagmorgen, nachdem sich die Favoriten zwei Wochen lang fast nur belauert hatten. So lief es zunächst auch bis zum 8,8 km langen und durchschnittlich 7,5 Prozent steilen Schlussanstieg nach Verbier hinauf. Einträchtig fuhren die Favoriten Seite an Seite über vier Bergwertungen der dritten und einer der zweiten Kategorie, ehe es doch noch zum großen Showdown in Verbier kam.
Schweigeminute für tödlich verunglückte Zuschauerin
Vor dem Start in Pontarlier hatte das Peloton zunächst eine Schweigeminute eingelegt. Am Samstag war bei einem tragischen Unfall eine 61-Jährige Frau ums Leben gekommen. Die Zuschauerin war beim Wechseln der Straßenseite frontal von einem Polizeimotorrad, das mit rund 90 km/h unterwegs war, erfasst worden. Nach ersten Ermittlungen habe trotz der hohen Geschwindigkeit kein Verschulden des Polizisten vorlegen. „Die Unvernunft des Opfers war wohl die Ursache für das Drama“, sagte Alexandre Chevrier, der stellvertretende Staatsanwalt von Mülhausen. Demnach habe die Frau kurz vor dem Eintreffen des Pelotons die Straße bei Wittelsheim überquert und nicht auf das Motorrad geachtet. Anschließend rutschte das Gefährt noch in zwei weitere Zuschauer hinein, beide schweben aber nicht in Lebensgefahr. Ein 61-jähriger Mann erlitt einen Beinbruch. Eine 36-jährige Frau, die ihr einjähriges Baby auf dem Arm trug, wurde mit einer Nackenverletzung ebenso ins Krankenhaus eingeliefert. Der Motorradfahrer klagte über Rückenschmerzen. Am Freitag hatte erst der Luftgewehr-Angriff auf den dreimaligen spanischen Weltmeister Oscar Freire und den Neuseeländer Julian Dean für Aufregung gesorgt. Freire wurde beim Anstieg zum Col du Bannstein am Oberschenkel, Dean am Zeigefinger der linken Hand getroffen. Beide konnten die Tour aber fortsetzen. Die Polizei fahndet nach zwei Jugendlichen im Alter von 16 oder 17 Jahren. Bevor der Schlagabtausch in den Alpen weitergeht, legt die Tour am Montag einen Ruhetag ein. Am Dienstag folgt die 16. Etappe über 159 km von Martigny nach Bourg-Saint-Maurice. Dabei sind unter anderem der Große und der Kleine St. Bernard-Pass zu bewältigen.
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