Armin Hary: "Usain Bolt hat die Leichtathletik fast allein am Leben erhalten"

Armin Hary spricht über den Abschied des Topstars und das Abschneiden der deutschen Sprinter. Für gedopte Sportler fordert er zehn Jahre Sperre – mindestens: "Dann würde es sich keiner mehr trauen."
von  Matthias Kerber
Armin Hary sieht den großen Verdienst Usain Bolts für die Leichtathletik und wünscht dem jamaikanischen Superstar einen goldenen Abschluss.
Armin Hary sieht den großen Verdienst Usain Bolts für die Leichtathletik und wünscht dem jamaikanischen Superstar einen goldenen Abschluss. © dpa/AZ

Der jetzt 80-Jährige Armin Hary war der erste Mensch der Welt, der die 100 Meter in 10,0 Sekunden gelaufen ist. Bei Olympia 1960 in Rom gewann er die Goldmedaille über 100 m und in der Staffel. Ein Jahr später beendete er seine Karriere.

AZ: Herr Hary, was wünscht der einst schnellste Mann der Welt dem jetzigen Weltrekordhalter Usain Bolt für seinen allerletzten Start bei einem Großereignis? Er tritt ja am Samstag bei der WM nochmal in der Staffel an.
ARMIN HARY: Ich wünsche ihm, dass er einen goldenen Abschluss seiner großen Karriere kriegt, dass er noch ein letztes Mal ganz oben auf dem Podest steht. Das hat er sich verdient. Er hat ja unbeschreiblich viel für unseren Sport getan. Man muss ja nicht drumherum reden: Hätte es Bolt nicht gegeben, dann wäre die Leichtathletik schon seit Jahren mausetot. Bolt hat mit seinen Leistungen, seiner Art, seiner Person die Leichtathletik doch fast ganz alleine am Leben erhalten. Das muss man ihm hoch anrechnen. Auch wenn er natürlich Glück hatte, dass er zu einer Zeit aktiv war, als die Bahnen für seinen Körper- und Lauftyp gebaut wurden.

Zu Ihrer Zeit, auf Aschenbahnen, hätte er sich fast eingegraben.
(lacht) Er hätte es sicher schwer gehabt, aber damit will ich nichts von ihm wegnehmen. Er kann wirklich laufen. Auch wenn man schon gesehen hat, dass ihm nach all den Jahren, die er ganz oben war, die Lockerheit, die ihn so lange ausgezeichnet hat, jetzt abhandengekommen ist. Der Körper sagt ihm eben, dass es Zeit ist, zu gehen.

Waren Sie traurig, dass er über die 100 Meter nur den dritten Rang belegt hat?
Traurig will ich nicht sagen, ich hätte es ihm gegönnt. Aber alles hat seine Zeit. Und eine Bronzemedaille ist ja auch wirklich nicht zu verachten. Er hat alles rausgeholt, was er noch in seinem Körper hatte.

Gefällt Ihnen die Show, die er abzieht?
Die Leute wollen das sehen. So sind die Zeiten heute. Mir hätte man es damals übelgenommen, wenn ich nur eine Ehrenrunde gedreht hätte. Aber Bolt macht das sehr gut, er passt mit seiner Art perfekt in diese Zeit. Er nutzt all das perfekt aus und macht das auch noch auf eine recht sympathische Art.

Wäre diese Form des Entertainments etwas für Sie gewesen?
Es war nicht meine Art, aber man kann alles lernen. Für Geld macht man viel. Wenn die Leute das sehen wollen, bitte. Ich hätte mich schon dran gewöhnt. (lacht)

Aber dass der bereits mehrfach überführte Doper Justin Gatlin der der neue Weltmeister ist, dürfte sie traurig stimmen.
Nicht traurig, es macht mich wütend. Das geht gar nicht. Aber ich muss mich da selber zurückpfeifen, sonst explodiere ich hier. Nur so viel: Ich habe immer lebenslange Sperren für Doper gefordert, ohne zweite Chance! Das war vielleicht zu viel, aber zehn Jahre müssten es mindestens sein. Jetzt sind die doch teilweise nach sechs Monaten wieder da. Die lachen doch nur darüber! Was glauben Sie, wenn alle Finalisten überführt und für zehn Jahre gesperrt würden, was dann los wäre? Dann würde in fünf Jahren keiner mehr über Doping reden, weil es sich keiner trauen würde. Das regt mich fast so auf wie etwas anderes bei dieser WM.

Lassen Sie hören!
Die Leistungen der deutschen Sprinter.

Das wäre unsere nächste Frage gewesen.
Das ist doch alles beschämend! Ich schäme mich für diese Leistungen. Die Mädels, das hat ja alles gepasst, aber die Männer? Es kann doch nicht sein, dass man sang- und klanglos im Vorlauf ausscheidet!

Sie reden von Julian Reus, der immer wieder gute Leistungen bringt, aber bei großen Wettkämpfen versagt.
Ach, hören Sie mir auf! Die deutschen Sprinter sollen doch zu Hause bleiben und nur in Deutschland laufen. Bei uns früher gab es einen Spruch, wenn einer immer nur daheim – unter welchen Umständen auch immer – Leistung gebracht hat, dann haben wir gesagt, dass dessen Zeiten wohl mit der Kirchturmuhr gestoppt wurden. Vielleicht gibt es die immer noch. Ich mag diese Einstellung nicht. Wenn ich schon höre, dass die zufrieden sind, wenn sie in den Endlauf kommen, das verstehe ich nicht. Sind die zu faul, um richtig zu trainieren? Für mich ist das mehr Urlaubmachen als Wettkämpfe bestreiten. Dabeisein ist nicht alles, nur Gewinnen ist das. Und nach drei Läufen sind sie schon müde. Wir haben damals elf Rennen in drei Tagen bestritten – nicht drei. Und dann waren sie auch noch 30 Mal im Trainingslager.

Was sagen Sie zu der Kritik von Matthias Bühler an der Sportförderung, die so gering wäre, dass er damit nicht in den USA trainieren kann?
Das ist der falsche Ansatz. Erst mal sollte man Leistung bringen, dann gefördert werden! Die wissen alle gar nicht, wie gut es ihnen geht. Ich will gar nicht so viel über mich reden, denn um mich geht es nicht, aber ich bin mit elf Mark in der Tasche damals nach Amerika gegangen. Ich hatte gar nichts und niemanden, der mich gefördert hat.

Sie sind gegangen, weil Sie, wie Sie mal sagten, in Deutschland "fast zerstört" worden wären.
Es war schwierig. Ich war nie ein Querulant. Ich hatte nie Probleme damit, mich einzuordnen. Da können sie jeden fragen. Aber ich hatte immer ein Problem, mich unterzuordnen. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Diesen Befehlston, den habe ich nie ertragen. Die Funktionäre damals waren eben noch von einer anderen Zeit geprägt. Aber meine Zeit in Amerika hat mich auch fast zerbrochen. Das war die härteste Zeit meines Lebens, das wünsche ich keinem.

Was war denn das schlimmste Erlebnis dort?
Der Hunger. Das ist alles, was ich dazu sagen will – und werde. Diese Erlebnisse sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.

Lesen Sie hier: Die Leichtathletik sucht den neuen Superstar

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