Anna-Maria Rieder: Das Wunderkind mit der Kämpferseele - Medaillenhoffnung bei den Paralympischen Spiele

Die 18-jährige Anna-Maria Rieder, WM-Dritte im Slalom, fährt als Medaillenhoffnung zu den Paralympics – dabei hatte sie von Geburt an eigentlich keine Chance. "Es macht mich sehr stolz"München -
Thomas Becker |
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Startet mit Medaillenchancen bei den Paralympischen Spielen in Pyeongchang: Anna-Maria Rieder.
dpa Startet mit Medaillenchancen bei den Paralympischen Spielen in Pyeongchang: Anna-Maria Rieder.

Die 18-jährige Anna-Maria Rieder, WM-Dritte im Slalom, fährt als Medaillenhoffnung zu den Paralympics – dabei hatte sie von Geburt an eigentlich keine Chance. "Es macht mich sehr stolz"München -

Pyeongchang - Der 2. Februar 2018 war ein besonderer Tag für Anna-Maria Rieder. An diesem Tag erfuhr die junge Frau, dass sie demnächst nach Südkorea reisen würde – als Mitglied der Deutschen Paralympischen Mannschaft. Dabei musste die halbseitig gelähmte Skifahrerin vom RSV Murnau, die bei der Weltmeisterschaft im Vorjahr überraschend Bronze gewonnen hatte, zunächst um ihre Teilnahme zittern.

Der Deutsche Behindertensportverband hatte für das Talent einen zusätzlichen Startplatz beantragt, den das Internationale Paralympische Komitee an jenem 2. Februar bewilligte – sehr zur Freude von Anna-Maria, die die Frohe Botschaft per WhatsApp von Bundestrainer Justus Wolf im St.-Irmengard-Gymnasium in Garmisch-Partenkirchen erreichte.

"Eine gute Entscheidung, zumal Anna-Maria aufgrund ihrer Platzierungen im Slalom in dieser und in der vergangenen Saison nicht ohne Medaillenchancen nach Pyeongchang reist", sagte Wolf. Anna-Maria Rieder ist also dabei, wenn die deutsche Paralympics-Mannschaft ab dem 9. März bei den Winterspielen antritt.

Bei ihrer Geburt wog Anna-Maria gerade mal 722 Gramm

Soweit der Sport. Der 2. Februar 2018 war für Rieder aber auch aus einem ganz anderen Grund ein besonderer Tag: Es war ihr 18. Geburtstag – und dass sie den erleben würde, war lange Zeit alles andere als klar. Denn als Anna-Maria im Klinikum Garmisch-Partenkirchen auf die Welt kam, wog sie gerade mal 722 Gramm. Drei Stück Butter wiegen mehr. Ein hochkritisches Frühchen, 25. Woche. Überlebenschancen: sehr gering. Die Ärzte machten den Eltern wenig Hoffnung. Unmittelbar nach der Geburt musste die Kleine auf die Intensivstation verlegt werden. Als Mama Marion und Papa Max sie tags darauf besuchen wollten, war Anna-Maria weg – sie war kurzfristig ins Klinikum Großhadern transportiert worden, mit dem Notfall-Helikopter.

Sechs Wochen verbrachte sie auf der Frühchen-Intensivstation, hatte Hirnblutungen, musste mehrfach operiert werden, wurde zwei Monate lang komplett beatmet, weil die Lunge noch nicht ausreichend ausgebildet war. Sauerstoffhilfe brauchte sie weitere vier Monate, eine Magensonde sogar noch zwei Monate länger, da die Flüssigkeitsaufnahme nicht funktionierte. Die Lage war so desparat, dass die Ärzte bereits vorschlugen, den Pfarrer kommen zu lassen, damit der kleine Erdenbürger noch getauft wird. Das Ausrufezeichen steht bis heute für Anna-Marias Leben Doch die Eltern entschieden sich dafür, für und mit ihrer Tochter zu kämpfen. Auch als Anna-Maria nach vielen Wochen zurück in die Kinderklinik nach Garmisch-Partenkirchen kam, wusste niemand verlässlich zu sagen, wie und ob sie sich entwickeln würde. Gemeinsam mit Krankenschwestern und Physiotherapeuten versuchte man nun, die Kleine aufzupäppeln. Mutter Marion erinnert sich an einen denkwürdigen Morgen, als in der Klinik am Inkubator ein Zettel klebte: "1500 Gramm", stand darauf, dazu ein Smiley samt Ausrufezeichen.

Und so stand und steht bis heute das Ausrufezeichen für das Leben von Anna-Maria Rieder, mit diesem einen Wort davor: Kämpfen! Als sie die ersten Monate zum Erstaunen aller Wissenschaftler überstanden hatte, hieß die Diagnose: halbseitige Lähmung links – eine sogenannte Hemiparese. Dabei kommt es zur unvollständigen Halbseitenlähmung, bei der nur einzelne Muskelgruppen (zum Beispiel die Muskulatur eines Arms oder eines Beins) betroffen sind. Bei Anna-Maria ist es bis heute der linke Arm, der ihr nicht vollständig gehorcht.

Den Eltern – sie Skitrainerin, er Trainingswissenschaftler und Trainer am Olympiastützpunkt in Garmisch – kam ihr Wissen zugute, und so trainierten sie tagtäglich mit ihrer Tochter. Heute bemerkt man als Außenstehender kaum etwas von ihrer körperlichen Beeinträchtigung – mal davon abgesehen, dass sie auf der Piste in der linken Hand keinen Skistock trägt. Erstaunlich sind auch ihre Hobbies: Longboarden und Einradfahren. Gehen lernte das junge Mädchen aus Oberammergau mit zwei Jahren – und schon ein halbes Jahr später stand sie erstmals auf Skiern.

Der Schnee ist ihr Lieblingselement. Sie sagt: "Schon seit ich laufen kann, will ich mich bewegen und draußen sein. Als ich vier war, wollte ich mit zum Skitraining." Zunächst trainierte sie beim TSV Oberammergau, später beim SC Garmisch und fuhr die gesamte Kinder- und Schüler-Rennserie des Skigau Werdenfels. Mit 14 sah sie im Fernsehen die Skirennen der Paralympics in Sotschi und kam auf die Idee, selbst im paralympischen Sport zu starten. Seit 2016 wird sie von der Sporthilfe gefördert. Ihr Lebensmotto: "Der Fleißige wird mehr Erfolg haben" Zuletzt waren ihre Leistungen sehr beachtlich: Im Januar 2017 schaffte sie es beim Weltcup der Damen in Kranjska Gora (Slowenien) zum ersten Mal aufs Podest: zwei Mal Dritte, ein Mal Erste! Bei der Weltmeisterschaft in Tarvisio (Italien) zehn Tage später gewann sie im Slalom Bronze, und ein knappes Jahr später, kurz vor Weihnachten, machte sie sich nach mehreren Europacupsiegen selbst das schönste Geschenk: Mit zwei zweiten Plätzen im Slalom von Kühtai (Österreich) knackte sie die Paralympics-Norm.

"Es macht mich sehr stolz, mit der paralympischen Nationalmannschaft zu trainieren", sagt das jüngste Mitglied des Teams, "es gibt nichts Besseres, als bei perfektem Schnee und Wetter Rennen zu fahren oder zu trainieren." Fast philosophisch wird es dann, wenn sie über ihr Lebensmotto spricht: "Der Talentierte kommt leichter nach oben, aber der Fleißige wird mehr Erfolg haben." 

Lesen Sie hier: Athletensprecherin zu Russland-Kurs: "Schäme mich"

 

 

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