Angst: Tabu? Schwäche? Lebensretter!

Extrem-Bergsteiger Alexander Huber und ein missverstandenes Gefühl: Warum Angst anzunehmen ein Zeichen von Stärke ist.  
Julian Galinski |
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Alexander Huber im Gespräch mit AZ-Redakteur Julian Galinski.
Matthias Eicher Alexander Huber im Gespräch mit AZ-Redakteur Julian Galinski.

Extrembergsteiger Alexander Huber und ein missverstandenes Gefühl: Warum Angst anzunehmen ein Zeichen von Stärke ist. 

Free Solo in anspruchsvollem alpinen Gelände zu klettern, das lässt sich nur schwer mit anderen sportlichen Leistungen vergleichen. Das Leben hängt buchstäblich an den eigenen Fingerspitzen, der einzige Weg, dem Tod zu entkommen, führt über pfenniggroße Tritte. Ohne Seil und Sicherungsgeräte gibt es nur den Mensch, die Felswand, die Route auf den Gipfel – oder den Absturz.

Menschen, die so etwas tun, müssen komplett angstbefreit sein, ganz sicher.

Im Gegenteil. „Menschen, die keine Angst haben, sind Hasardeure“, sagt Extrem-Alpinist Alexander Huber (44), eine Hälfte der „Huberbuam“ und Pionier des Free-Solo-Kletterns. „Am Berg den Helden zu spielen, ist vollkommen falsch. Angst ist kein Zeichen von Schwäche. Es ist ein Zeichen von Stärke, Angst zuzugeben und sich ihr offen zu stellen.“

Vor seiner Free-Solo-Begehung der Direttissima an der großen Zinne in den Dolomiten, machte Huber in der Nacht kein Auge zu. Den ersten Besteigungsversuch ohne Seil, er hatte die legendäre Route zuvor gesichert praktisch auswendig gelernt, brach er nach wenigen gekletterten Metern ab. Hunderte von Metern überhängender Dolomit, zitternde Finger, zweifelnder Kopf. Extreme Angst. „Aber genau dieses Eingeständnis hat mir die Kontrolle zurückgegeben“, sagt Huber. Im zweiten Anlauf durchklettert er die Route problemlos.

Nicht gegen seine Angst, sondern mit der Angst, das ist Huber wichtig zu betonen. „Angst zu haben ist stigmatisiert“, sagt Huber, „Wer zugibt, dass er Angst hat, ist ein Loser, ein Weichei“ Gegen diese Wahrnehmung kämpft er an. „Die Leute können oft gar nicht glauben, wenn ich ihnen erzähle, dass ich Angst habe“, sagt Huber.

Der 44-Jährige kennt nicht nur die Angst vor dem Absturz, sondern auch die Angst als Krankheit. „Ich hatte richtige Existenzangst“, sagt Huber. Er verdient sein Geld vor allem mit Vorträgen über seine Bergtouren und Expeditionen, die selbst wiederum Geld kosten. Ein gescheitertes Unternehmen entzieht der nächsten Vortragsreihe die Grundlage. Huber begann zu zweifeln, musste kurzfristig auch Schulden machen. „Der Leistungsdruck hat mich gelähmt“, sagt er. Die Berge, eigentlich Quell der Lebensfreude, wurden zum Quell größter Sorgen. „Ich wollte nicht mal mehr was mit meinen Freunden unternehmen, alles, was mit Bergsteigen zu tun hatte, wurde mir zur Last“, sagt Huber.

Er suchte sich professionelle psychologische Hilfe. „Ich kann das nur jedem raten, der in einer ähnlichen Situation ist“, sagt Huber. „Wenn der Körper krank ist, geht man zum Arzt. Und genauso sollte man vorgehen, wenn die Psyche krankt.“ Huber hat sich mit seinen Ängsten auseinandergesetzt, nun hat er ein Buch darüber geschrieben, um aufzuklären, und Mut zu machen.

Mut zur Schwäche, die gar keine ist. Denn gerade im Freizeit-Alpinismus hat sich eine gefährliche Risiko-Toleranz entwickelt. Die Berge sind zum Abenteuerspielplatz geworden. „Das Handy hat die Menschen leichtsinnig gemacht“, sagt Huber, das trügerische Bewusstsein, doch von überall einen Notruf absetzen zu können. Es gibt ein Überangebot an Informationen zu Touren, Outdoor-Ausrüstung ist für jedermann zu kaufen. „Entscheidend ist aber die Erfahrung am Berg“, sagt Huber. „Ein guter Bergsteiger entwickelt sich in ganz kleinen Schritten weiter.“

Ein guter Bergsteiger weiß, dass ein strategischer Rückzug die cleverster aller Entscheidungen sein kann, weil er sein Können und seine Umwelt richtig einschätzen kann.

Ein guter Bergsteiger sucht die Begegnung mit der Angst, weil er weiß, dass sie sein Ratgeber ist, die Sinne schärft, dass sie sein Lebensretter sein kann. „Es gibt kein anderes Gefühl, dass so intensive Momente erzeugt wie die Angst. Die Angst überwunden zu haben, schafft die großartigsten Erinnerungen“, sagt Alexander Huber.

Und einen Satz, der die geläufige Wahrnehmung von Angst vollkommen auf den Kopf stellt: „Sie bereichert mein Leben.“

Alexander Huber: „Die Angst, dein bester Freund. Ecowin Verlag, 192 Seiten, 19,95 Euro. ISBN-10: 3711000363

 

 

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