Angeliques neues Leben
New York staunt über die nächste aufstrebende deutsche Tennisspielerin: Seit die Kielerin Kerber Training und Essgewohnheiten umgestellt hat, läuft’s. Bei den US Open steht sie im Viertelfinale
NEW YORK Als die deutsche Mädelscombo vor drei Jahren einmal zu einem Trainingslager in Doha weilte, stand am letzten Tag ein Gruppenfoto der Reisegesellschaft an. Andrea Petkovic, die Darmstädter Frohnatur, stellte sich am Brunnen des Ritz Carlton-Hotels frech und dominant in die Mitte, daneben platzierten sich ebenso selbstbewusst Sabine Lisicki und Julia Görges. Angelique Kerber aber stellte sich, bescheiden lächelnd, diskret an den Rand.
Es war ein Foto mit Symbolwert. Denn Angelique Kerber, die Sensations-Viertelfinalistin bei den US Open, war jahrelang nicht gerade mittendrin im lustigen Haufen der deutschen Tennisfrauen. Sie galt als Spielerin, die Schwierigkeiten hatte, ihr großes Talent auf den Centre Courts einzusetzen. Als Spielerin, die im Widerstreit der Gefühle immer zwischen Deutschland, ihrem Geburtsland, und Polen, der Heimat ihrer Eltern, hin- und herschwankte.
Auch die hartnäckigen Irritationen zwischen BundestrainerinBarbara Rittner und der Kerber-Familie hatten ihren Ursprung in diesem Konflikt – die DTB-Frau hatte das Gefühl, dass die Kielerin sich nicht klar zum deutschen Team bekennen wollte. „Es gab tatsächlich mal die Überlegung, dass ich für Polen spiele”, sagt die 23-Jährige, „aber das ist jetzt erledigt. Ich will für Deutschland an den Start gehen.”
Und dass sie für das deutsche Nationalteam eine weitere Bereicherung wäre, daran kann kein Zweifel bestehen. Die gebürtige Bremerin mit Wohnsitz Kiel tritt in New York fast irritierend selbstsicher auf, wirkt drahtig und gut austrainiert. Und wo sie früher ängstlich ihre Aufgaben absolvierte, zeigt sie nun auch die großen Emotionen und ballt die Faust, so wie am Sonntag im Spiel gegen die unorthodoxe Rumänin Monica Niculescu. „Ich bin sicher, dass Angie bald unter den Top 30 steht”, sagt Andrea Petkovic, „sie ist die nächste von uns, die oben dabei sein wird.” Auch Bundestrainerin Rittner freut sich: „Sie hat gesehen, was sie mit konsequentem Training erreichen kann. Ihr Auftritt hier ist klasse.”
Die neue deutsche Welle, die Petkovic 2010 mit ihrem Achtelfinal-Vormarsch in New York auslöste, ist – mit Verzögerung – nun auch bei Kerber angekommen. Entscheidend für den Aufschwung war deren Entscheidung, als neuen Trainingsschwerpunkt die Offenbacher Akademie von Alexander Waske und Rainer Schüttler zu erwählen. Was auch bedeutete, dass Vater Slavo nur noch als Berater und nicht mehr als Trainer im Spiel ist. Fürs Coaching ist der Cheftrainer der Akademie Benjamin Ebrahimzadeh verantwortlich – ein Motivationskünstler. „Angelique macht gerade einen großen Karriereschritt", sagt Ebrahimzadeh, „sie hat zuletzt unglaublich hart trainiert. Es ist ein Traum, dass sie so schnell den Lohn bekommt."
20 höchst intensive Trainingseinheiten hatte Kerber seit Mitte Juli pro Woche in Offenbach absolviert, meist gemeinsam mit Andrea Petkovic. „Ich war fix und fertig, aber die Maloche hat sich gelohnt”, sagt Kerber. Sogar die tropische Hitze in New York lässt die Kielerin kalt. „Die Fitness ist der Schlüssel zu allen Erfolgen hier”, sagt Kerber, die auch ihre Ernährungsgewohnheiten umgestellt hat: „Süßigkeiten habe ich mir verboten."
Dafür sind die Erfolgsmomente umso süßer, die in New York den dicksten Preisscheck in Kerbers Karriere gesichert haben – 225000 Dollar fürs Erreichen der Runde der letzten Acht, in der sie auf die Italienerin Flavia Pennetta trifft. „Die Geschwindigkeit, mit der es nach vorne geht, ist kaum zu glauben”, sagt Kerber, die in Paris und Wimbledon in Runde eins gescheitert war. Die Vergangenheit habe sie abgehakt. Da folgt sie ihrem Lebensmotto: „Immer nach vorne schauen, nie zurück."
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