Alte Scheunen brennen gut

"Klasse 30 plus": Es ist die „Generation Aprés Boris“, die einerseits von einem in Deutschland noch nie dagewesenen Tennis-Boom gepampert wurde - andererseits jedoch auch unter der Bürde des glorreichen Drei-Gestirns Boris & Steffi & Stich schwer zu tragen hatte.
von  Abendzeitung
*  Gunther Beth, Schauspieler &  Autor („Der Neurosen-Kavalier“, „Trau keinem über 60!“) lebt in München. Seit 2004 ist er Wimbledon-Kolumnist der AZ
* Gunther Beth, Schauspieler & Autor („Der Neurosen-Kavalier“, „Trau keinem über 60!“) lebt in München. Seit 2004 ist er Wimbledon-Kolumnist der AZ © AZ

"Klasse 30 plus": Es ist die „Generation Aprés Boris“, die einerseits von einem in Deutschland noch nie dagewesenen Tennis-Boom gepampert wurde - andererseits jedoch auch unter der Bürde des glorreichen Drei-Gestirns Boris & Steffi & Stich schwer zu tragen hatte.

Letzte Woche hat mir mein Freund Gerd Günter Reinhard geschrieben. Gerdi, mit dem ich einst die Junioren-Doppel-Konkurrenz im L.T.S.V., einem kleinen, aber feinen Tennisclub im Norden Hamburgs, gewonnen habe. Er spielt noch immer dort, und da er nun mal das Champions-Gen in sich trägt, wird er, so wie es aussieht, mit seiner Mannschaft bei den Punktspielen in die 2.Division aufsteigen, nunmehr in der „Klasse 70 plus“. Eine Liga, die ihm das Siegen insofern noch erleichtert, „da nun die jungen 65er nicht mehr gegen uns antreten dürfen und speziell mir einen erheblichen Altersbonus verschafft, da ich hier dank meines ungewöhnlichen Geburtstermins (31.12.1940) als jüngster Spieler in ganz Deutschland gelten kann.“

Und wie sieht die Sache aus bei unseren deutschen Wimbledon-Oldies aus der Altersklasse „30 plus“? Es ist die „Generation Aprés Boris“, die einerseits von einem in Deutschland noch nie dagewesenen Tennis-Boom gepampert wurde - andererseits jedoch auch unter der Bürde des glorreichen Drei-Gestirns Boris & Steffi & Stich schwer zu tragen hatte. Aber der „Tommynator“ Haas (32) und „Kiwi“ Kiefer (33) kämpften sich in ihrer Karriere immerhin auf die Weltranglistenplätze 2 und 4 - und der „Shaker“ Schüttler schaffte es 2003 sogar bis ins Finale der Australian Open, in dem er gegen Andre Agassi verlor. In Wimbledon erreichte er im vorletzten Jahr sensationell das Halbfinale (Endstation Nadal). Das hat im vergangenen Jahr auch Haas geschafft (Endstation Federer), aber nun ist er nach seiner Hüftoperation im Frühjahr noch immer außer Gefecht. Nicolas Kiefer war 1997 als „heißer Geheimtip“ hier ins Viertelfinale gestoßen und scheiterte an ... Boris

Becker, der sich mit knapp dreißig in der Schlußkurve seiner Karriere befand - so wie Kiefer heute. Die gestrengen Herren des Wimbledon-Kommitees, die in diesem Jahr zum erstenmal ihren einheimischen Spielern wegen erwiesener Unfähigkeit keine einzige Wild Card gewährt haben, bedachten aber noblerweise Kiwi damit. Hat aber leider nichts genützt: Gegen den Spanier David Ferrer hatte er gestern nicht den Hauch einer Chance und mußte mit 4:6, 2:6, 3:6 die Segel streichen. Und wer bleibt uns nun noch erhalten? Wieder mal Rainer Schüttler, mit inzwischen 34 der älteste Profi unter den Top 100. Doch wer seinen überzeugenden Erstrunden-Sieg mit 6:2, 6:2, 6:3 über den favorisierten Russen Dimitri Tursunow gesehen hat, wird sich nicht wundern, wenn er die erste Woche Wimbledon überstehen sollte.

Aber wie lange können, wie lange wollen sich unsere drei Jungsenioren noch den Strapazen aussetzen und sich mit ständig nachrückenden Jungstars messen? - „Solange ich sie noch ärgern kann“ sagt Haas. „Solange ich noch mithalten kann“sagt Kiwi. Und für Schüttler ist „Das Wichtigste, daß der Kopf voll da ist, die Beine schnell sind und das Feuer noch brennt.“

Alte Scheunen brennen ja bekanntlich besonders gut - da muß man nur an Jimmy Connors denken (mit seinen 108 Turniersiegen noch immer unerrreicht). Ich kann mich noch haargenau an sein Viertelfinale 1991 bei den US Open erinnern: Nach 281 Minuten Thriller-Tennis geschah das Unglaubliche: Jimmy Connors (damals 39), als „Tennis-Opa“ belächelt, schlug seinen 14 Jahre jüngeren Gegner Aaron Krickstein. „Jimbo“ verlor 4 Kilo, sein Körper war am Ende, aber der Wille hatte gesiegt - und sein letzter Punkt war ein Matchball für alle, die nicht glauben wollen, daß sie mit 40 schon zum alten Eisen gehören. Alter spielt sich nur im Kopf ab -und Gewinnen macht sowieso immer Spaß.. Fragen Sie nur meinen Freund Gerdi!

Gunther Beth

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