Interview

Alpinchef Maier im AZ-Interview: "Balsam auf viele Wunden"

DSV-Alpindirektor Wolfgang Maier spricht über die gelungene WM in Cortina und rechnet mit der Corona-Politik der Regierung ab.
von  Thomas Becker
Erfolgsteam, überraschendes: Bei der WM in Cortina d'Ampezzo gab es für den DSV viel zu feiern, so wie hier Andreas Sanders Silbermedaille in der Abfahrt.
Erfolgsteam, überraschendes: Bei der WM in Cortina d'Ampezzo gab es für den DSV viel zu feiern, so wie hier Andreas Sanders Silbermedaille in der Abfahrt. © picture alliance/dpa/APA

München - Der Berchtesgadener Wolfgang Maier ist seit 2006 der Alpindirektor des DSV und war zuvor neun Jahre Frauen-Bundestrainer. Ein AZ-Interview.

AZ: Herr Maier, die Saison liegt in den letzten Zügen. Dank Mütze sehen wir im Fernsehen nie, wie viele graue Haare dazugekommen sind. Wie hinüber sind Sie nach diesem Corona-Winter?
WOLFGANG MAIER: Hinüber bin ich nach keiner Saison, weil ich meinen Job gerne mache. Es war natürlich eine besondere Saison, weil man nie wusste, wie lange und in welchem Umfang wir unseren Sport noch ausführen dürfen. Trotz all der Tests wussten wir nie, ob jemand infiziert ist, und das hat schon eine gewisse Form von Stress mit sich gebracht.

Kein Corona-Fall: "Bis auf die Augen sind die Athleten komplett eingepackt"

Im Vergleich zu anderen Sportarten ist der Ski-Tross gut durch den Winter gekommen.
In der Weltcup-Mannschaft Alpin hatten wir bis heute keinen Fall. Wir haben auch sehr diszipliniert gelebt, soziale Kontakte runtergefahren, waren wenig zu Hause, sind überwiegend in der Bubble geblieben.

Der Berchtesgadener Wolfgang Maier ist seit 2006 der Alpindirektor des DSV und war zuvor neun Jahre Frauen-Bundestrainer.
Der Berchtesgadener Wolfgang Maier ist seit 2006 der Alpindirektor des DSV und war zuvor neun Jahre Frauen-Bundestrainer. © picture alliance/dpa

Auch in den anderen Teams gab es kaum Fälle.
Anfang der Saison ein paar aus verschiedenen Nationen. Das sind ja alles gesunde, austrainierte, junge Menschen, die bei ihrem Sport an der frischen Luft sind, beim Sport selbst gibt es eh keinen Kontakt, und bis auf die Augen sind die Athleten komplett eingepackt.

Alpinchef Maier über die Planungsunsicherheit während der Corona-Pandemie

Wie sind Sie in der Planung mit dieser Ungewissheit umgegangen?
Man kann entweder nur Probleme sehen oder lösungsorientiert unterwegs sein. Wir haben zusätzliches Personal an das Team gebracht, das das Covid-Thema bearbeitet, so dass alle getestet werden. Wir haben gar nicht mit dem Thema gehadert, sondern versucht, das so positiv wie möglich zu gestalten - alles andere zieht nur runter, ist leistungshemmend. Mit Verschiebungen von Rennen haben wir als Outdoor-Sportler genug Erfahrung.

Während die Profis einigermaßen normal trainieren konnten, saß der Nachwuchs auf dem Trockenen. Was haben die Kids den ganzen Winter über gemacht?
Nichts. Die gleichen Hygienekonzepte wie für die Weltcup-Mannschaften haben wir auch an den Nachwuchs-Stützpunkten auf- und den Behörden vorgestellt - aber das interessiert leider keine politische Führung. Ich finde es absolut unverantwortlich, dass wir Kinder monatelang einsperren. Ich möchte mal sehen, wer das überzogene Vorgehen gegenüber den Kindern am Ende verantwortet. Bei all unseren Bemühungen ging es nicht um den Spitzensport, sondern um Kinder des Alters U12, U10 und darunter. Es ist unglaublich, was man mit dem Sportverbot den jungen Menschen angetan hat. Österreichs Präsident sagte, er habe 120.000 bis 150.000 Kinder in den Wintersport gebracht - wir in Deutschland nicht mal 200! Weil man nicht berücksichtigt, dass es nicht nur Covid gibt, sondern dass diese jungen Menschen auch einen Lebensraum brauchen. Und den Jungen gehört nun mal die Zukunft.

"Alle Länder haben bessere Lösungen für den Sport für Kinder gefunden"

Wie wirkt sich das verlorene Jahr für den Nachwuchs aus?
Wir werden extrem abgehängt im Vergleich zur internationalen Konkurrenz! Alle Länder haben bessere Lösungen für den Sport für Kinder gefunden. In Österreich liefen die Lifte, in der Schweiz durften Kinder, ohne einem Kader anzugehören bis 16 Jahre Skifahren. Die Skandinavier haben nur nach außen dichtgemacht, aber der Sport wurde massiv unterstützt - weil Sport eine Lösung für das Problem ist! Nur in Deutschland gab es eine festgefahrene Ansicht, die nur aus Verboten, aber ohne Lösungen besteht. Das hat massive Konsequenzen, nicht nur im Sport.

Sportmöglichkeiten für Kinder? Nicht mit Markus Söder.
Sportmöglichkeiten für Kinder? Nicht mit Markus Söder. © picture alliance/dpa

Die da wären?
Rückgänge in den Landessportverbänden. In den letzten Monaten wurden mehr als 40.000 Austritte in den ostdeutschen Sportverbänden gemeldet. Sportereignisse wie die WM in Cortina, diese wunderschönen Bilder, die guten Ergebnisse der deutschen Mannschaft: Das hätte positive Auswirkungen auf den Sport gehabt.

Maier freut sich über "außergewöhnlich gute WM" in Cortina

Bei allem Ärger: Wie zufrieden sind Sie mit den sportlichen Leistungen Ihrer Athleten?
Wir hatten eine außergewöhnlich gute WM, aber deutliche Defizite bei den Frauen. Wir sind gerade nicht besser, was nicht heißt, dass wir keine Zukunft haben. Wir haben eine Leistungsdelle, sind aber nicht aussichtslos abgeschlagen. Erfreulich ist das Speed-Team der Männer, obwohl wir unsere Galionsfigur Thomas Dreßen die ganze Saison über nicht dabei hatten. Dazu Linus Straßer, Alex Schmid und Stefan Luitz, die prinzipiell eine gute Performance hatten, auch wenn es immer besser sein könnte. Wir waren in allen Disziplinen bei den Top Ten, mit Ausreißern nach oben und unten. Aber wir sehen auch das Potenzial, wo wir uns verbessern können: mehr Konstanz, mehr Podien, nicht nur zwischen Platz acht und 20 landen, sondern öfter in den Top 8.

Andreas Sander gewinnt WM-Silbermedaille in der Abfahrt

In Cortina müssen Sie doch fast jeden Abend mit einem seligen Lächeln ins Bett sein, so viele Knoten wie dort nach vielen Jahren geplatzt sind.
Wir hatten in der Vergangenheit WMs und Olympische Spiele, wo uns viel aufgegangen ist, zuletzt war es magerer als wir uns das vorgestellt haben. Man muss sehen, wo wir mit unseren Möglichkeiten international stehen. Man misst uns immer mit Österreichern, Schweizern und Italienern, den besten Nationen der Welt - die haben einfach andere Reservoirs, andere Möglichkeiten. Was hat Deutschland an Skigebieten, in denen wir trainieren können? Ein schmaler Streifen vom Allgäu bis nach Berchtesgaden. Das war's.

Umso schöner, wenn die Geduld, die man zum Beispiel mit Andreas Sander hatte, bei einer WM belohnt wird.
Das war für alle Fans Balsam auf viele Wunden, auf viel Kritik, die man über Jahre einstecken musste. Kritisiert ist schnell. In welchem anderen Sport messen sich jedes Wochenende die besten Athleten des Planeten? Die Leistungsdichte ist bemerkenswert.

Von Ski-Kommentatoren Neureuther und Rebensburg  bekommt Maier fast nichts mit

Apropos Arbeitgeber: Bekommen Sie an der Piste die TV-Kommentatoren Neureuther und Rebensburg mit?
Kaum. Aber der Felix hat immer noch sehr viel Kontakt zu uns. Wir hatten immer ein sehr gutes Verhältnis. Mit der Vicky bin ich immer eine sehr saubere Linie gefahren. Wir hatten Meinungsverschiedenheiten, aber das gehört im Spitzensport dazu. Ohne Reibung bewegt sich nichts. Ich finde, bei beiden spürt man, dass eine Wertschätzung für die Mannschaft vorhanden ist. Die wissen, wie hart das Geschäft ist, wie schwierig es ist, einen Sportler zu entwickeln, der mit den Besten der Welt mitfahren kann.

Ihn kennt Wolfgang Maier in- und auswendig: Hansi Müller.
Ihn kennt Wolfgang Maier in- und auswendig: Hansi Müller. © Michael Dick/dpa

Lassen Sie uns noch einen Exkurs zum Fußball machen: Vor vielen Jahren hatten Sie mit 1860 zu tun. Was genau?
Das war 1983/84, während meines Sportstudiums, Schwerpunkt Skilauf und Fußball. Da ich an der Uni einer der schwächeren unter all den superguten Fußballern war, hat mich der damalige Dozent zur Spielerbeobachtung geschickt: 1860 gegen VfB Stuttgart - und das mir als Bayern-Fan! Die guten Uni-Kicker durften zu Europapokalspielen des FC Bayern, und ich musste das Defensivverhalten von Hansi Müller analysieren, habe Quer-, Längs- und Steilpässe notiert, Zweikämpfe gezählt. Es war Herbst, es hat geregnet oder geschneit, ein grausiges Spiel. Später hab' ich den Hansi kennengelernt, und er meinte: "Wolfi, ich schick dir mal meine DVD ‚Die besten Tore von Hansi Müller'". Ich hab' nur gesagt: ‚Lieber Hansi, ich weiß alles über dich.'

 

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