„Allein unter Chinesen, völlig skurril“

Der deutsche Multimedia-Künstler Andree Verleger prägt die Eröffnungsfeier bei Olympia. Dafür hat er auf einen „Tatort“ verzichtet – und verständigt sich mit den Chinesen mit Händen und Füßen.
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"Die haben alle gemeint, meine Ideen sind der Hammer": Chinesen bei Proben zur Eröffnungsfeier, die Andree Verleger mitgestaltet hat.
AP "Die haben alle gemeint, meine Ideen sind der Hammer": Chinesen bei Proben zur Eröffnungsfeier, die Andree Verleger mitgestaltet hat.

Der deutsche Multimedia-Künstler Andree Verleger prägt die Eröffnungsfeier bei Olympia. Dafür hat er auf einen „Tatort“ verzichtet – und verständigt sich mit den Chinesen mit Händen und Füßen.

AZ: Herr Verleger, wann kam denn der Ruf aus Peking?

ANDREE VERLEGER: Vor zehn Monaten. An einem Sonntag. Abends. Mitten im Tatort.

Im Tatort?

Ja. Ich saß gerade vor dem Fernseher, da klingelte das Telefon. Am anderen Ende war die Special-Effects-Abteilung aus Peking, die für die Olympische Eröffnungsfeier zuständig ist. Die fragten mich, ob ich mitmachen will bei der Zeremonie. Da bekam ich richtig Gänsehaut. Seitdem habe ich rund 60 Tage in China verbracht.

Wie kamen die auf Sie?

Das ging über Mark Fisher, der zusammen mit dem chinesischen Starregisseur Zhang Yimou die Feier entwirft. Fisher hatte einst die Bühnenshows für Pink Floyd und die Rolling Stones entworfen und hat zufällig mal meine Lichtinstallation am Düsseldorfer Hauptbahnhof gesehen. Da hat er dann wohl gemeint, dass sie einen wie mich unbedingt brauchen.

Schon waren Sie in China.

Nicht ganz. Mit Visum und Bürokratie hat das noch zwei Monate gedauert. Dann kam ich drüben an und saß gleich am ersten Tag im Büro von Zhang Yimou, den ich immer schon bewundert habe. Ich dachte erst, da gibt es vielleicht Vier-Augen-Gespräche. Debatten im kleinen Kreis. War aber anders. Ich saß gleich einmal vor 30 Leuten und erzählte über meine Arbeit. Da schwangen alle Moleküle bei mir im Körper. Links, rechts, oben, unten. Angstschweiß. Aufregung. Das war nicht Kevin allein zu Haus, sondern Andree allein unter Chinesen, völlig skurril.

Konnten die Chinesen Englisch?

Die wenigsten. Mein Englisch ist auch nicht so berauschend, Chinesisch geht natürlich gar nicht bei mir. Aber es gefiel ihnen. Nächsten Tag um zehn riefen sie mich wieder an, sie wollten, dass ich da bleibe und weitermache.

Und was wird von Ihnen jetzt zu sehen sein?

Kein Kommentar. Punkt.

Ach, kommen Sie schon. Nachdem sich ein südkoreanisches Kamerateam in die Proben im Nationalstadion eingeschlichen hat, gibt es ja schon Bilder im Internet zu sehen.

Geben Sie’s auf. Es gibt Sachen von mir am Anfang, Sachen am Ende, auch zwischendrin. Mehr darf ich nicht sagen.

Dann sagen Sie doch mal, wie frei Sie arbeiten durften.

Sehr frei. Alle meine Ideen wurden integriert, und da waren ziemlich abgefahrene Ideen dabei. Die haben alle gemeint, meine Ideen seien der Hammer. Das ist ein steter Wandlungs- und Entwicklungsprozess, vorgeschrieben wurde mir aber nichts.

Hatten Sie nie Bedenken, für ein Land mit massiven Menschenrechtsverletzungen zu arbeiten? Und als vor fünf Monaten der Aufstand in Tibet niedergeknüppelt wurde, dachten sie nicht daran, Ihre Teilnahme abzusagen?

Kein Kommentar. Für mich war der Punkt, mit Menschen zusammenzuarbeiten, wo ich sagen kann: Das ist meine Story. Irgendwann werde ich meine eigene Geschichte erzählen, wie ich China erlebt habe.

Fangen Sie doch gleich an.

Dass wir meist über Körpersprache kommunizierten. Mit Gesten, Händen und Füßen. Dass meine Ideen aus einer ganz anderen Ecke kommen. Dass die Chinesen eine ganz andere Kultur im Kopf haben. Die Denkweise, die Ansätze. Als ich meine Vorschläge präsentiert habe, hat mich Zhang Yimou angeschaut wie ein Auto. Später hat er mir mal gesagt, dass er meine Ideen total inspirierend fand. So eine Geschichte möchte ich erzählen.

Steven Spielberg kann so eine Geschichte nicht erzählen, er war erst als Berater der Eröffnungsfeier verpflichtet, zog dann aus politischen und moralischen Gründen zurück.

Was Spielberg macht, ist mir egal. Ich kenne seine Gründe nicht. Fragen Sie ihn, nicht mich.

Dann frage ich Sie, was Sie von der Aussage der Schauspielerin Mia Farrow halten, die gemeint hatte, wer als Künstler an der Pekinger Eröffnungsfeier mitwirke, sei wie die Leni Riefenstahl Chinas. Der Künstler instrumentalisiert wie bei Hitlers Berliner Nazi-Spielen 1936, als williger Helfer einer Diktatur.

Da sage ich klipp und klar: Da mache ich keinen Kompromiss. Wenn ich das Gefühl gehabt hätte, ich würde instrumentalisiert, dann hätte ich das nicht gemacht. Dann wäre ich abgereist.

Ai Weiwei, der berühmte chinesische Konzeptkünstler, der mit den Architekten Herzog und de Meuron am Olympiastadion mitgewirkt hat, meinte kürzlich, er finde Eröffnungsfeiern abscheuliche Propaganda.

Es ist sein gutes Recht, das zu sagen. Wenn er das so sieht, schön. Aber ich bin nicht in das große Geflecht des großen China eingebunden. Und mein Part ist es auch nicht, mich vor den großen Drachen hinzustellen und ihm zu befehlen: Sitz! Ich bin Teil einer kleinen Gemeinschaft. In einem Team mit vielen Menschen, wo man sich austauscht. Wo man zusammenkommt

So argumentiert auch das IOC auf die Kritik an der Vergabe der Spiele nach Peking. Dass der Sport die Menschen zusammenbringe.

Das ist auch in der Kunst so. Ich bin nicht die Brücke, aber ich bin ein kleiner Pfeiler. Ich habe sehr viel über die Chinesen gelernt. Persönliche Erfahrungen, das ist viel mehr wert als all das, was ich vom Hörensagen kenne oder in der Zeitung lese. Theoretisch zu wissen, wie man einen Achttausender besteigt, weil man es gelesen hat, ist eine Sache. Ihn selber zu besteigen, ist eine ganz andere Erfahrung.

Wie lange werden Sie nach der Eröffnungsfeier noch in Peking bleiben?

Ein, zwei Tage.

Droht die Brücke dann nicht wieder einzustürzen, wenn Pfeiler wie Sie dann weg sind?

Das wird man sehen, ob sie hält. Ich denke, dass die Künstler und die Sportler viel bewegen können. Wie viel, das wird man dann sehen, aber ich denke, dass sich in allen Bereichen etwas verbessern wird.

Etwas haben Sie uns aber noch nicht verraten.

Was meinen Sie?

Wie ging der Tatort eigentlich aus?

Ich habe nur noch die Schlussmusik gehört und den Abspann mit dem Fadenkreuz gesehen. Aber ehrlich gesagt, wenn man am Telefon hört, dass dich Zhang Yimou in seinem Team haben will, wenn man so einen Ritterschlag erfährt, dann ist einem das Ende eines Tatorts ziemlich egal.

Interview: Florian Kinast

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