Alexandra Burghardt im AZ-Interview: "Ich war oft den Tränen nahe"
AZ: Frau Burghardt, nach Jahren voller Verletzungen und Selbstzweifel sagen Sie nun, Sie hätten gelernt, was Ihnen gut tut und was nicht. Wie meinen Sie das?
ALEXANDRA BURGHARDT: Früher hätte ich manchmal eine Pause gebraucht, ich hatte mich aber trotzdem auf die Bahn gestellt und 11,40er oder 11,50er Zeiten gelaufen. Ich bin einfach so, dass ich mich stelle. Aber durch die Verschiebung der Olympischen Spiele habe ich mir die Zeit genommen und bis Anfang September eine Laufpause gemacht. Stattdessen war ich bei der Reha, im Kraftraum oder im Crossfit. Es war ein harter Sommer ohne richtige Pause. Ich war oft den Tränen nahe.
War das auch eine mentale Angelegenheit, den Glauben an sich zu bewahren, wenn es lange nicht gelaufen ist?
Ich habe oft gezweifelt: Vielleicht kann ich es nicht besser, vielleicht war es das. Wie lange mache ich das noch und ergibt das noch Sinn? Aufwand und Ertrag haben in den vergangenen Jahren nicht im Verhältnis gestanden. Gerade die Reisen kosten viel Geld. Man braucht ein Umfeld, das einem in einer dunklen Stunde Hoffnung gibt. Ich habe mir auch einen Mentaltrainer genommen. Ich habe Selbstvertrauen in den Körper zurückgewonnen.
Eine feinfühlige Sprinterin
Die Sprinter-Szene wirkt wie eine Ansammlung an Alpha-Tieren. Man denke an Usain Bolt. Ihre Aussagen passen da wenig rein.
Als Frau bin ich sehr feinfühlig. Zu einem Sprinter gehört aber das Temperament, in übertriebenen Fällen könnte man auch von Selbstverliebtheit sprechen, schon dazu. Man muss von sich überzeugt sein, wenn man an den Startblöcken steht. Darum kommt Usain Bolt auch so rüber, wie er rüberkommt. (lacht)
Wie stellt man sich darauf ein? Wie läuft eine Stunde vor dem Start ab?
Ich wärme mich auf, dabei höre ich meistens Musik. Ich habe mir eine Playlist mit elektronischer Musik zusammengestellt. Da geht es aber mehr darum, sich abzuschotten. Die Sonnenbrille taugt mir manchmal auch gut. Eine halbe Stunde vor dem Start ist man dann schon im Call-Room. Der ist meistens ein Zelt, in dem man sich in Schwung bringen kann und wo Werbung und Spikes kontrolliert werden. Im Call-Room ist man mit den anderen Athleten zusammen. Jeder verhält sich anders, da habe ich schon alles erlebt.
Die entscheidenden Momente im Call-Room
Sie meinen, eine Art Wettkampf vor dem richtigen Wettkampf?
Im Call-Room kann man gebrochen werden oder andere brechen. Gerade die karibischen Sprinterinnen sind da meistens sehr laut unterwegs, tanzen. Wir Deutschen sind da zurückhaltender.
Bei den Spielen 2016 in Rio waren Sie schon dabei, allerdings nur als Ersatzläuferin.
Bei den Olympischen Spielen dabei zu sein, das war schon ein Kindheitstraum. Ich habe viel erlebt, aber die Bahn nie betreten. Das war katastrophal. Ich bin dann nach der Rückkehr auch nicht zum Empfang im Frankfurter Rathaus. Ich habe mich nicht als richtige Olympionikin gefühlt.
Burghardt ist bei den Olympischen Spielen dabei
Jetzt klappt es in Tokio. Was packen Sie außer der sportlichen Ausrüstung in den Koffer?
Mit dem ganzen Gewand könnte ich schon meine beiden Koffer füllen. (lacht) Die Stadt Burghausen hat mir zwei kleine Glasschweinderl geschenkt, als Glücksbringer. Sonnencreme nehme ich auch mit, es soll heiß werden. Und mein Handy.
Auf Ihrem Trikot sieht man nur das Logo Ihres Vereins, der LG Gendorf Burghausen, und eine Werbung der Stadt Burghausen.
Ich habe seit Jahresbeginn keinen Ausrüster mehr und habe bist dato fast keinen Sponsor.
Können Sie von der Leichtathletik leben?
Ja, durch die Stadt Burghausen und meinen Verein. Ich gebe Kindertraining und habe einen Halbtagsjob im Marketing, da war ich aber zuletzt lange in Kurzarbeit. Seit zwei Jahren bin ich auch in keinem Sportkader mehr, das ging an die Ersparnisse. Ich bin nun für den Olympiakader vorgeschlagen, das ist noch ein Thema, aber dafür müsste der DOSB seine Bereitschaft erklären. Ich hoffe, dass ich noch da reinkomme, sonst müsste ich mir für Olympia zwei Monate unbezahlten Urlaub nehmen.