Zwischen Bier, Diät-Apps und Darmspülungen

In dieser Kolumne spricht AZ-Kolumnistin Tina Angerer über die grassierende Verzichtskultur.
Auch wenn's wehtut
Wann man heute jemanden zu sich zum Essen einlädt, muss man vorher ein langes Gespräch führen: Fleisch gar nicht oder nur bio? Brot nur ohne Weizen? Und Laktose? Gemüse nicht in grellen Farben? Manche bringen ihr Essen gleich selber mit und schauen den ganzen Abend ayurvedisch drein.
Insofern wäre die Fastenzeit, die heute beginnt, gar nichts Besonderes. Auf irgendwas verzichtet ja heut a jeder. Allerdings ist das Spezielle an dieser Mode, dass man scheinbar trotzdem alles haben darf. Es gibt Kuchen ohne Mehl und Ei, Sandwiches ohne Brot. Wir grillen vegetarisch, fasten ohne Hunger und Abnehmen tun wir im Schlaf.
Innere Einkehr statt Verzicht auf Essen
Die Kirchen postulieren aber etwas anderes: innere Einkehr und Konzentration aufs Wesentliche. Mit einer Soja-Weißwurscht hat das erstmal nix zu tun. Und so findet nun jeder seinen Schmerzpunkt.
Handyfasten? Alkoholfasten? Autofasten? Wer anderen das Fasten empfiehlt, begibt sich allerdings auf dünnes Eis: Wie die Verkäuferin, die am Donnerstag einer alten Frau eine große Tüte Krapfen verkauft hat und arglos sagte: „Lassen Sie es sich schmecken! Solange Fasching ist, dürfen wir ja noch.“ Da schallt es ihr entgegen: „I hab in meim Leben gnua Brotsuppn gfressn. Da lass i mir von eahna meine Krapfn ned vorrechnen.“
Ein Vorschlag sei dennoch erlaubt, für die Verzichts-Profis: Wenn Sie in den nächsten Wochen zum Essen eingeladen sind, lassen Sie doch das Gemüseschnitzel und die vegane Majonäs daheim und essen Sie einfach mal, was auf den Tisch kommt. Auch wenn’s wehtut.
Laut Umfragen verzichtet der größte Teil derer, die in diesen Tagen fasten, auf Alkohol. Wie viele davon aus Bayern sind, ist unklar. Und wie das hier gehen soll auch. Denn wie wir wissen, haben die Mönche gerade deswegen das Starkbier erfunden, damit sie gut durch die Fastenzeit kommen. Klar: Bier ist ein Grundnahrungsmittel und wer wenig isst, hat doppelt Bock auf ein Bier.
In Kanada hat im Jahr 2014 sogar ein Mann 40 Tage komplett aufs Essen verzichtet und nur Bier getrunken. Das ging soweit gut, er wurde auch nicht fett. Nur gestunken hat er enorm. Wie sich das einst bei den Mönchen verhielt, ist nicht überliefert, aber seinerzeit sollen sich besorgte Münchner über die ständig angesoffenen Paulaner-Mönche beschwert haben.
Eine Hintertür fürs Gewissen
Die eigentliche Ursache für das Erfinden des Doppelbockes ist allerdings nicht der Bierdurst, sondern die Natur des Menschen, besonders des Katholiken. Die Sünde ist nun mal Sehnsucht und Wonne, man kann ja später beichten. Und am Allerbesten ist es, man hat eine Hintertür, damit das Gewissen gar nicht erst leidet.
Was das Abnehmen mit Bier angeht – in einem Diät-Forum für Männer schreibt einer: „Abends trinke ich so viel Bier, wie reingeht, dann spüre ich keinen Hunger mehr.“ Er hat angeblich auch keine Weizen-Wampe. Und die Sünde? Auch da hat diese Vorgehensweise durchaus einen Vorteil: Wer rauschig ins Bett geht, schläft gleich ein. Dann gilt der weise Spruch „Wer schläft, sündigt nicht.“ Den Spruch hat auch Casanova gern verwendet, ein Mann mit Erfahrung.
Und dick war der auch nicht.
Es herrscht Bürgerkrieg auf dem Planeten Enteron.
100 Billionen Arten kämpfen ums Überleben, es gibt drei Armeen: Die Bacteroiden, die Prevotellaner und die Ruminococcen. Sie alle sind Teil der großen Galaxis, des Mikrobioms. Und sie sind in uns, immer. Sie bewohnen den unerforschten Planeten in unserem Inneren, den Darm. Und der Darm ist neuerdings für fast alles verantwortlich, Krankheiten, Abwehrkräfte, Wohlbefinden – und auch für das Übergewicht.
Darmspülung als neues Must-have
Verblüffende Forschungsergebnisse, vor allem bei Versuchen mit Mäusen, legen solche Vermutungen nahe. Bewiesen ist freilich noch kaum was, vor allem nicht, ob und wie wir Menschen die Darmflora zu unseren Gunsten beeinflussen können.
Was die Wundermittel-Industrie nicht hindert, Darm-Aufforstungpillen, Darmreinigungs-Tinkturen und vieles mehr auf den Markt zu werfen. Der Darm ist derart in Mode, dass die Darmspülung das neue Must-have der Promis ist. Jennifer Lawrence macht’s, Leonardo DiCaprio, Madonna und zahlreiche RTL2-Schönheiten sowieso. Martin Luther mag ein Visionär gewesen sein, als er sagte: „Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz.“
Stuhltransplantation als Ding der Zukunft
Selbst Stimmungen und charakterliche Eigenschaften sollen vom Darm mitgesteuert sein. Manche hoffen, dass die Stuhltransplantation das Ding der Zukunft ist. Also dann: so schlank wie Helene Fischer? So vital wie Angelique Kerber? So fröhlich wie Thomas Gottschalk? Her mit all euren Bacteroidovellococcen!
Dann müssten wir eigentlich nur noch herausfinden, welcher Scheiß gegen Dummheit hilft.
Iris ist immer bei mir. Morgens schlägt sie mir vor, zu sagen: „Ich genieße das Leben und ich genieße meine Diät.“ Vorher war Anna bei mir. Sie sagte „Hallo neues Ich“ zu mir und befahl: „Gehe 9374 Schritte!“ Doch dann wollte Anna zehn Euro, also bin ich jetzt bei Iris. Iris ist mein Coach.
Früher boten sich Fastenden gestandene Gurus wie Hildegard von Bingen. Unsere Mütter schworen zumindest auf Jane Fonda. Heute lädt man sich eine App runter. Du bist nicht allein, in deinem Telefon sitzt irgendwer, der dich kontrolliert, motiviert – und enerviert.
Die Helferin im Handy
Iris will genau wissen, was ich gegessen habe und wie viel ich mich bewegt habe, und dann sagt sie mir, wie viele Kalorien noch auf mein Tageskonto passen. Für die Eingabe der Mahlzeiten hat sie eine Liste vorbereitet, die doch tatsächlich mit „Bananensplit“ beginnt. Gute Idee.
Damit ich entspanne, redet Iris abends monoton auf mich ein. Meine Arme und Beine seien schwer. Und: „Du sitzt in einer klimatisierten Limousine auf der Insel Bali.“ Mensch Iris, was für ein Albtraum, in einem runtergekühlten Auto, außenrum schwüle Hitze, Touris in Hawaiihemden...
Geheimnisse vor Diät-Apps
Aber das darf ich gar nicht denken. Ich soll positiv denken, sagt Iris. So: „Meine Schönheit und meine Ausstrahlung wird auch von meinen Mitmenschen bemerkt.“ Eine Kamera hat sie also nicht.
So sieht die Frau von der Diät-NSA auch nicht, dass ich gar nicht auf Bali bin, sondern auf der Couch. „Der Verzicht von Knabberartikeln fällt mir leicht.“ Freilich. Jetzt mach ich mir Chips auf und was ich dazu trinke, bleibt mein Geheimnis.
Prost, Iris, nix für unguad.
„Aus dem Schweigen kommt alle Kraft“, hat vor tausend Jahren der Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux gesagt. Wenn nun schon die Meisten von uns nicht komplett schweigen können, weil sie Chefs haben, Kinder, Ehefrauen oder andere Sozialkontakte, so versuchen doch einige in der Fastenzeit, nicht am Essen, sondern an Worten zu sparen.
Um gleich Kalauern vorzubeugen: Nein, Frauen reden gar nicht mehr als Männer, sagt die Forschung, zumindest nicht mehr Wörter pro Tag. Ob ein Mann bei einem 1:1-Treffen mit einer Frau gleich viel redet, sei dahingestellt.
Da wünscht sich wohl mancher eine wort-fastende Frau. Oder ein jodelndes Murmeltier. Das hat nämlich eine Business-Beraterin aus Österreich empfohlen: Wenn sich jemand in einer Sitzung wiederholt, sollen die anderen auf ein elektrisches Murmeltier drücken, das dann jodelt. Auf die Ehe angewendet, würde das in vielen Küchen, Wohnzimmern und leider auch Schlafzimmern nur noch so jodeln.
Wem Wortfasten zu empfehlen ist
Einigen möchte man heutzutage das Wortfasten empfehlen. Exemplarisch sei eine ältere Münchnerin zitiert, die ich im Bus traf. „Das Problem ist gar nicht, dass die Flüchtlinge so viele sind“, sagte sie. „Nur dass sie alle kriminell sind.“ Bitte Nulldiät! Oder man hält sich an Sokrates. Der hatte gefordert, man möge nur das sagen, was wahr, gut und notwendig ist. Kommt bei vielen einem Schweigegelübde gleich.
Ich habe mir natürlich auch was vorgenommen: nicht fluchen vor den Kindern. Nichts Unfreundliches sagen, besonders nicht zu Bluts- und angeheirateten Verwandten. Das Ergebnis lässt sich sparsam mit einem einzigen Wort beschreiben: Zefix.
Ich nenne dich Schweini. Ich sag einfach Du zu dir, schließlich bist du immer bei mir, im Hirn oder im Bauch oder wo auch immer du wohnst. Du bist mein Schweinehund, mein innerer, und als solcher ist meine Fastenzeit deine Hochleistungszeit. Überall mischst du dich ein: Ich will sieben Wochen nur Treppen steigen und bei jedem Aufzug sagst du: „Drück auf den Knopf!“
Dein Lieblingsargument ist: „Auch schon egal.“ Wenn man mit dem Bus gefahren ist, statt zu radeln, sagst du: „Dann ist Aufzug fahren auch schon egal.“ Wenn man einen Krapfen gegessen hat, dann trumpfst du auf: „Jetzt kannst du den Sport ausfallen lassen, auch schon egal.“
Schweine- und Sauhunde
Du kleidest dich hinterhältig als Freund: „Ruh dich mal aus, dann kannst du Morgen wieder voll loslegen.“ Andere hören offenbar die Pflicht rufen, ich höre immer nur dich. „Tiramisu ist gut für die Nerven“ rufst du mir zu. Deine Kräfte sind enorm. Du kannst das Sofa in einem riesigen Magneten verwandeln. Und du kollaborierst mit deinesgleichen.
Wenn eine Freundin bei bedecktem Himmel anruft und fragt, ob man das Joggen nicht lieber ausfallen lässt, es werde bestimmt bald regnen – da steckt ihr doch gemeinsam dahinter, ihr Sauhunde! Manchmal bist du aber auch eine Weile ganz still, gibst Ruhe, bist niedergejoggt, positiv weggedacht oder so. Dann tust du mir fast ein bisschen leid.
Du magst halt keinen übertriebenen Ehrgeiz, dieses ganze verkrampfte Getue. Du machst es uns lieber nett, mein Schweini. Nach Ostern, da setzen wir uns mal gemütlich zusammen. Aber nur auf ein Glas! Oder allerhöchstens zwei. Ich bring dich dann heim.