Welche Entschädigung gibt es bei Flugverspätungen?
EU-Parlament und Kommission streiten über die Fluggastrechte - besonders bei Verspätungen. AZ zeigt, welche was Flugpassagieren schon heute zusteht.
München - Das Europaparlament will die Rechte von Fluggästen stärken. Am Mittwoch stimmte das Gremium in erster Lesung über ein neues Gesetz ab. Ziel: Passagiere sollen Ansprüche auf Entschädigungen vor allem bei Verspätungen leichter geltend machen können. Doch die EU-Kommission schießt quer. Geht es nach dem Willen der Kommissare, werden Passagiere erst Geld bekommen, wenn ihr Flieger über fünf Stunden Verspätung hatte. Die AZ zeigt, welche Rechte Passagiere heute haben, wie man sie durchsetzt und worum es bei dem EU-Streit geht.
Was bekomme ich, wenn mein Flieger verspätet ist? Nach Urteilen des Europäischen Gerichtshofs können Fluggäste ab einer Verspätung von drei Stunden von der Airline eine Entschädigung verlangen. Wie hoch sie ist, hängt von der Distanz ab. Bei Flügen unter 1500 Kilometer sind es 250 Euro, bei Langstreckenflügen (über 3500 Kilometer) erhalten Passagiere 600 Euro. Voraussetzung: Der Flug muss innerhalb der EU angetreten worden sein - oder die Airline hat ihren Sitz in Europe. Bei Distanzen dazwischen beträgt die Entschädigung 400 Euro. Ab zwei Stunden Verzögerung müssen sich die Fluglinien um die Passagiere kümmern – beispielsweise für Essen und Getränke sorgen.
Was will das EU-Parlament? Der Entwurf des Verkehrsausschusses, der gestern behandelt wurde, sieht vor: Bei Flügen von weniger als 1500 Kilometern sollen Airlines ab drei Stunden Verspätung 300 Euro pro Fluggast zahlen – 50 Euro mehr als bisher. Für die anderen Distanzen sollen die bestehenden Sätze festgeschrieben werden. Und die EU-Kommission? Die Kommissare wollen den Passagieren erst ab einer Verspätung ab fünf Stunden Entschädigungen zugestehen, für lange Flüge erst nach neun beziehungsweise zwölf Stunden. Dies würde bedeuten, dass ein Fluggast nach einem Überseeflug selbst bei einer Verzögerung von 11 Stunden keinen Cent sieht. Setzt die Kommission ihren Willen durch, müssten laut Verbraucherzentrale über zwei Drittel der Passagiere, die heute Ansprüche haben, ihre Entschädigungen in den Wind schreiben. Damit würden sich die Airlines nach ersten Schätzungen zwischen einer und drei Milliarden Euro pro Jahr sparen. Denn von den knapp 15000 entschädigungspflichtigen Verspätungen, die es 2013 gab, blieben dann nur noch rund 4100 übrig.
Welche Streitpunkte gibt es noch? Fällt ein Flug ganz aus, sollen die Fluggesellschaften nach den Plänen des EU-Parlaments fünf Nächte in einem Hotel bezahlen – beziehungsweise 125 Euro, wenn sich der Fluggast selbst ein Zimmer sucht. Die EU-Kommission will nur drei Übernachtungen oder 100 Euro pro Nacht zugestehen. Zudem will das Parlament die genau definieren, welche „außergewöhnlichen Umstände“ die Fluglinien geltend machen können, um eine Entschädigung abzulehnen. Dabei geht es hauptsächlich um Verzögerungen wegen schlechten Wetters. Die EU-Kommission pocht aber drauf, dass auch technische Defekte an Flugzeugen als „außergewöhnliche Umstände“ gelten.
Was sollten Fluggäste tun, wenn ihre Maschine verspätet war? Am besten alle Belege aufheben und mit Mitreisenden die Telefonnummer austauschen – falls man Zeugen braucht. Seit Dezember 2009 gibt es die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP). An diese können sich Betroffene wenden. Auf eigene Faust einen Anwalt einzuschalten, raten Experten dagegen nicht.
Wie setzen Passagiere dann am besten ihre Rechte durch? „Der Reisende muss sich im ersten Schritt mit seiner Beschwerde an die Airline wenden“, so SÖP-Chef Heinz Klewe zur AZ. Gibt es eine Abfuhr, oder stellt sich die Airline länger als zwei Monate taub, kann sich der Fluggast an die Schlichtungsstelle wenden. Diese prüft den Fall und gibt eine Empfehlung zur Schlichtung. Rund 80 Prozent der Streitfälle könnten so geklärt werden, sagt Klewe. Für den Reisenden ist das kostenfrei. Auf der Webseite der SÖP gibt es ein Beschwerdeformular. Die Schlichtungsempfehlung ist aber weder für die Fluglinien noch für den Fluggast bindend.
Und was ist mit Internet-Portalen, die eine Durchsetzung der Ansprüche anbieten? Auch das ist eine Möglichkeit für Passagiere, an ihr Geld zu kommen. Doch die Anbieter der Webseiten behalten meist 25 bis 30 Prozent als Erfolgshonorar ein.
Brauchen Passagiere einen langen Atem gegenüber den Fluggesellschaften? „Das mag früher der Fall gewesen sein“, sagt Heinz Klewe. Ein Schlichtungsverfahren über die SÖP dauere heute in der Regel maximal drei Monate.