Wegen Sepa in die Insolvenz?

MÜNCHEN Eine lange Zahl, die lange Arbeitsstunden garantiert: „Das ist der Wahnsinn“, seufzt Katrin Fromm, die Leiterin der Kindertagesstätte Hänsel und Gretel in Harlaching, wenn sie auf die neuen Kontonummern angesprochen wird. Ab Februar 2014 ist das sogenannte Sepa-Verfahren verbindlich – und schon jetzt ist absehbar, dass Katrin Fromm jede Menge Mühe damit haben wird, dass viele anderen Firmen und Vereine damit überfordert sind.
Auch Geldtransfers innerhalb Deutschlands betroffen. Die neue 22stellige Kontonummer Iban soll den internationalen Zahlungsverkehr einfacher machen. Sie gilt auch für Geldtransfers innerhalb Deutschlands. Firmen und Vereine müssen sich jetzt umstellen. Schaffen sie das nicht, landet ab Februar 2014 kein Geld auf ihrem Konto – so einfach, so unerbittlich sind die Regeln.
Nicht einmal jede fünfe Firma hat sich für das Verfahren angemeldet. Viele Münchner Firmen nehmen das Thema auf die leichte Schulter, sorgt sich Semir Fersadi von der Münchner IHK. Bis zu 20 Prozent aller Vereine werden zu spät merken, dass sie mit der Umstellung überfordert sind, heißt es bei GOB in Krefeld, einer Softwarefirma, die sich auf diese Klientel spezialisiert hat. Ein wichtiger Hinweis darauf, wie weit Firmen, Kommunen, Städte und Vereine mit der Umstellung sind, ist die sogenannte Gläubiger-Identifikationsnummer: Jeder, der künftig Geld von Kunden einziehen will, braucht sie. Doch nur erst 632092 dieser Nummern wurden bisher beantragt – obwohl es bundesweit 3,6 Millionen Unternehmen und rund 580 000 eingetragene Vereine gibt.
Und mit der Gläubiger-ID ist es noch lange nicht getan. Eine hohe Hürde sind die Einzugsermächtigungen: Oftmals buchen Firmen heute Beträge von Kundenkonten ab, ohne dass ihnen dazu eine schriftliche Einverständniserklärung vorliegt – sie ist verloren gegangen oder wurde nur mündlich oder per Klick online erteilt. Bisher war das kein Problem, doch mit der Sepa-Umstellung gelten neue Regeln. Juristisch wasserdicht ist nur die klassische Unterschrift oder eine sichere Online-Datenübertragung. Liegt diese zum Zeitpunkt der ersten Abbuchung nicht vor, verlängert sich die Widerspruchsfrist des Kunden von acht Wochen auf 13 Monate. Den finanziellen Schaden bei einem Widerspruch hat dann zwar die Firma – auch die Banken fürchten aber die Scherereien.
Trotzdem prüfen Banken nicht jede Lastschrift im Detail nach – wenn ihnen eine Firma als Kunde wichtig genug ist. „Wir haben erreicht, dass unsere Bank die bestehenden Lastschriften für das neue System übernimmt“, sagt Markus Pfaller vom Deutschen Alpenverein. Im schlimmsten Fall eine Million Mitglieder anzuschreiben, im Einzelfall um neue Unterschriften bitten, nachhaken, wenn das Schreiben im Papierkorb landet – damit allein hätte Pfaller ein Dutzende Bürokräfte beschäftigen können.
14 Kalendertage vorher wird die Abbuchung angekündigt. Spätestens 14 Kalendertage im Voraus müssen Firmen künftig einem Zahlungspflichtigen mitteilen, dass sie Geld von seinem Konto abbuchen werden. Dass ist kein großes Problem bei gleichbleibenden Beträgen – etwa einem jährlichen Mitgliedsbeitrag.
Anders verhält es sich beispielsweise bei Kindergartengebühren. Der Gesetzgeber verpflichtet Kindergärten, flexible Buchungszeiten zuzulassen – die Eltern können es sich also aussuchen, ob sie ihr Kind nur wenige Stunden oder für einen ganzen Tag betreuen lassen. Das bedeutet: Mitte des Monats, wenn Katrin Fromm eigentlich die Eltern darüber informieren müsste, wie hoch der Beitrag für den Monat ausfällt, weiß sie dies unter Umständen noch gar nicht.
Eine Lösung für dieses Problem wäre, die Betreuungszeiten mit vierwöchiger Verzögerung abzubuchen. „Aber ich sehe im Moment nicht, wie wir das zwischenfinanzieren könnten“, sagt Fromm.
Bei der Telekom will man die 14-Tage-Frist in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf sieben Tage verkürzen – das sei juristisch möglich, sagte Telekom-Sprecher Nico Göricke zur AZ.
Sonderkonjunktur für Software-Firmen. Katrin Fromm kann sie sich darauf verlassen, dass alle Eltern per Mail zu erreichen sind. Das können nicht alle Firmen: Viele Kunden haben keine Lust aufs Internet – sie müssen künftig per Post auf die bevorstehende Abbuchung hingewiesen werden, . Auf große Unternehmen kommt also ein immenser Aufwand zu. Kein Wunder, dass der Alpenverein schon vor über zwei Jahren mit der Umstellung begonnen hat.
„Wir beschäftigen uns bereits seit dem letzten Jahr mit Sepa“, heißt es auch beim Oberföhringer Fernsehsender Sky. Dazu hat das Unternehmen eigens externe Software-Berater angeheuert. Auch der Telekom-Anbieter Telefonica mit Sitz in München hat schon im vergangenen Jahr mit der Umstellung begonnen. „Wir veranschlagen dafür einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag“, sagte eine Sprecherin zur AZ.
Andere Firmen, die das Thema jetzt erst entdecken, übergeben die Angelegenheit gleich vollständig externen Anbietern – und zahlen dafür zum Teil erstaunlich Summen. Die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ gibt die Kosten mit 100000 Euro an. In vielen Fällen muss eine komplett neues Abrechnungs-System programmiert werden – ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Software-Beratungsfirmen.
"IBAN die Schreckliche"
Spötter lästern über die neuen Kontonummern. Aber sie bringen Kunden auch Vorteile
Das Zahlenungetüm Iban hat anstelle der bisher meist zehn Stellen einer Kontonummer gleich 22 Ziffern. Das gilt jedenfalls in Deutschland. Die Länge der Iban ist von Land zu Land unterschiedlich und darf maximal 34 Zeichen umfassen. Die Zahl besteht aus einem Ländercode (für Deutschland ist dies DE) und einer zweistelligen Prüfziffer. Danach folgen die bekannte Bankleitzahl und die vertraute Kontonummer. Wirklich neu ist also nur die Prüfziffer zu Beginn. Bankkunden finden ihre persönliche Iban auf ihrem Kontoauszug.
Was passiert bei einem Vertipper? Für diesen Fall ist die zweistellige Prüfziffer da. Sie errechnet sich aus Kontonummer und Bankleitzahl. Verschreibt sich der Bankkunde – etwa beim Online-Banking – bei der Nummer, wird die Überweisung automatisch gestoppt. Es erscheint eine Fehlermeldung.
Wozu dient der BIC? Der internationale Code zur Identifizierung der Bank (BIC) ersetzt die Bankleitzahl. Statt Zahlen gibt es eine Buchstabenfolge, die die Zielbank identifiziert. Der Code, manchmal auch Swift-Code genannt, besteht aus acht beziehungsweise elf Zeichen. Allerdings ist die Bankleitzahl schon in der Iban enthalten. Deshalb soll der BIC ab Februar 2014 bei Transfers im eigenen Land wegfallen, ab Februar 2016 auch bei Zahlungen ins Ausland.
Was passiert, wenn Kunden alte Kontonummern weiter verwenden? Erst einmal nichts. Privatkunden können sich mit der Umstellung auf Sepa noch Zeit lassen. Bis zum 1. Februar 2016 werden die Banken für sie die alten Kontonummern in Iban-Nummern umwandeln.
Hat die Umstellung auch Vorteile? Ja. Spötter geben der neuen Kontonummer den Beinamen „die Schreckliche“, doch mit ihrer Einführung ändert sich vieles für die Kunden zum Guten. Sie können beispielsweise ihr Konto generell für Lastschriften blockieren. Außerdem können sie eine Liste von Firmen erstellen, die per Lastschrift Zugriff auf ihr Konto hat – unseriöse Geschäftemacher, die willkürlich Beträge abbuchen und darauf bauen, dass dies nicht auffällt, haben dann keine Chance.
Wie lange können Kunden Sepa-Abbuchungen widersprechen? Wenn sie eine Ermächtigung erteilt haben, acht Wochen. Vorher waren es sechs Wochen ab Quartalsende. Wenn die Abbuchung ohne Ermächtigung erfolgt oder sachlich unrichtig ist, sogar 13 Monate. Allerdings sind Kunden dazu verpflichtet, sofort ihre Bank zu informieren, sobald sie eine unzulässige Abbuchung bemerken. Und wer einer Abbuchung widerspricht, obwohl er zuvor eine Lastschriftermächtigung erteilt hat, muss sich auf Ärger mit der Bank gefasst machen,
Wofür ist die Umstellung überhaupt gut? Wer ins Ausland Geld überweisen muss, kann das schneller und billiger tun. Eine Überweisung soll beim Sepa-Verfahren nur noch einen Bankgeschäftstag dauern – heute kann es bis zu einer Woche dauern. sun