Tag der seelischen Gesundheit: "Positive Lebensenergie drauf packen"

Zum Tag der seelischen Gesundheit erklärt der Arzt Oliver Schwarz, wie man die eigene Widerstandsfähigkeit stärken kann – und warum Sie dafür mit den Kollegen mal wieder auf ein Feierabend-Bier gehen sollten. Dr. Oliver Schwarz ist Chefarzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der Klinik im Alpenpark in Bad Wiessee.
AZ: Herr Dr. Schwarz, jetzt im Herbst ist es grau, kalt und ungemütlich. Bemerken Sie da einen Anstieg von Seelenleiden?
OLIVER SCHWARZ: Es gibt in der Tat Menschen, die besonders wetterfühlig sind und in der Herbstzeit depressive Symptome wie Abgeschlagenheit und Antriebsarmut sowie ein erhöhtes Schlafbedürfnis, verspüren. Diese sind aber nicht unbedingt behandlungsbedürftig.
Woran liegt es, dass viele im Herbst schneller schlecht gelaunt sind?
Es liegt am jahresbedingten Lichtmangel. Der Körper stellt sich auf eine Art "Winterschlaf" ein. Bewegung und Sport lassen den Serotoninspiegel wieder steigen und auch sportliche Erfolge sind gut für das Selbstbewusstsein und schließlich auch für die Stimmung. Auch möglichst viel Zeit draußen im Tageslicht zu verbringen – beispielsweise einen Spaziergang in der Mittagspause zu machen – wirkt positiv.
Was kann noch helfen, sich im Herbst besser zu fühlen?
Wenn die Tage kürzer werden, verändert sich die Ausschüttung bestimmter Botenstoffe im Körper. Serotonin wird weniger, dafür wird vermehrt Melatonin, das Schlafhormon, ausgeschüttet. Außerdem mangelt es oft an Vitamin D. Für die Lichttherapie kann man Tageslicht-Lampen verwenden. Man sollte aber darauf achten, dass sie mindestens 10 000 Lux Lichtstärke und einen hohen Blaulichtanteil haben – dieses Licht nehmen unsere Augen einfach besser auf.
Sie kümmern sich aber nicht nur um wetterfühlige Patienten, Sie sind Experte auf dem Gebiet der Resilienz. Was ist das eigentlich?
Unsere innere Widerstandsfähigkeit. Es ist die Fähigkeit, sein inneres Gleichgewicht wieder zu finden oder beizubehalten.
Wodurch wird das Gleichgewicht denn gestört?
Durch bestimmte Errungenschaften wird die Zeit sicher schnelllebiger, die Arbeit dichter. Und wir haben nicht mehr so viel Zeit, auf das innere Gleichgewicht zu achten.
Dann können wir gar nichts dafür, wenn unsere Resilienz schwächer wird?
Grundsätzlich ist Resilienz etwas, das wir uns erarbeiten müssen. Es gibt Menschen, die haben in ihrer Entwicklung mehr mitbekommen, mehr Unterstützung, mehr Rückhalt in Krisen, auch in Kindheit und Jugend. Und andere haben eben weniger Selbstbewusstsein und können Krisen nicht so gut meistern. Aber da kann man aktiv an sich arbeiten.
Was beinhaltet diese Arbeit?
Das Paradebeispiel ist die innere Waage. Die sollte immer im Gleichgewicht sein. Wenn wir merken, dass Belastungen und Konflikte auf der einen Seite einen Überhang bilden, dann ist es wichtig, dass wir damit fertig werden und Lösungsmöglichkeiten erarbeiten. Auf der anderen Seite können wir aber auch positive Lebensenergie draufpacken.
Und wie funktioniert das?
Da muss jeder für sich schauen, welche Dinge im Leben ihm ein positives Glücksgefühl verschaffen. Das kann Kulturelles sein, Handwerkliches oder Sport. Wenn man Glück hat, kann das auch der Beruf sein. Das muss jeder herausfiltern. Wir als Therapeuten helfen Patienten herauszufinden, was sie in ihrem Leben abschalten lässt. Viele Menschen, etwa mit Depressionen, haben das Gefühl, diese Ressourcen verloren zu haben, aber eigentlich finden sie nur keinen Zugang mehr dort hin.
Stichwort Depressionen als eine vieler seelischer Krankheiten. Wird dem gesunden Geist zu wenig Bedeutung beigemessen?
Statistiken sind uneinheitlich darüber, ob es mehr oder weniger psychische Erkrankungen gibt. In den letzten Jahren schenkt man psychischen Beschwerden mehr Beachtung, aber wir wissen, dass etwa manische depressive Erkrankungen oder Schizophrenie in den letzten 20, 30 Jahren nicht vermehrt vorgekommen sind. Wir wissen auch, dass viele Menschen mit den Anforderungen der Zeit nicht mehr zurechtkommen. Deswegen gibt es etwas wie Burn-out, was aus psychiatrischer Sicht keine Erkrankung, sondern eher ein Zustand ist, der sich ausschließlich auf Berufliches bezieht.
Kann Resilienz Burn-out vorbeugen?
Absolut. Es geht um ein Ungleichgewicht von Belastung am Arbeitsplatz und auf der anderen Seite fehlenden Ausgleich, sich zu stabilisieren. Wie schaffe ich es, mit der Arbeit besser fertig zu werden? Da muss man sich im Einzelfall überlegen, kürzer zu treten, keine Überstunden mehr zu machen oder gar den Job zu wechseln.
Gibt es immer mehr Leute, die dabei Hilfe brauchen?
Ich fürchte schon. Zwischen 20 und 40 können die Menschen vielen Belastungen besser standhalten. Aber später reißt häufig die Balance und es kommt zu Herzinfarkten oder Schlaganfällen. Der Körper meldet sich.
Dann ist das Fass letztlich übergelaufen?
Ich höre immer öfter, dass für persönliche Kontakte am Arbeitsplatz kaum mehr Zeit ist. Früher ist man zum Feierabend noch gemeinsam in den Biergarten gegangen, erzählen viele, dafür sei heute keine Zeit mehr. Wer ausfällt, wird ersetzt. Die Harmonie leidet dadurch. Dann sagen viele, naja, jeder ist austauschbar, da kann ich ja auch krank sein. Das war vor 20 Jahren anders.
Es geht um Hilfe zur Selbsthilfe. Wie kann man sich die beibringen?
Das Wichtigste ist zu erkennen, ob man überhaupt das Ungleichgewicht der inneren Waage wahrnimmt und spürt, ob man ausgewogen ist. Und wenn ich darauf achte, kann ich bei der Arbeit beispielsweise schnell ein Gleichgewicht wiederherstellen, etwa indem ich mir Bilder von der Familie anschaue oder die Theaterkarten für den kommenden Abend.
Oder mal kurz eine rauchen gehen?
Ich will die Sucht an dieser Stelle überhaupt nicht gutheißen, es geht mir hier eher um den sozialen Moment im Alltag, um das, was zwischen den Menschen in diesen Raucher-Pausen passiert. Wir haben häufig die Erfahrung gemacht, dass diese Menschen eine Art von Zusammengehörigkeit spüren, die bei der Bewältigung der Herausforderungen des Joballtags hilft. Natürlich gibt es auch andere Wege, am Arbeitsplatz ein Teamgefühl und somit mehr innere Balance herzustellen: Gemeinsame Kaffee- und Lunch-Pausen oder auch mal eine gemeinsame Unternehmung mit Kollegen nach der Arbeit.
Was kann noch helfen?
Sich belohnen! Wer einen harten Tag hatte, kann sich abends etwas Schönes kochen oder es sich mit dem Partner gemütlich machen. Also nicht sich zurückziehen und nur denken, hoffentlich geht der Tag schnell rum, sondern sich aktiv belohnen.
Über Hilfe zur Selbsthilfe in der Traumatherapie referiert Dr. Schwarz am Donnerstag, 19. Oktober, um 18 Uhr in der CIP Akademie, Nymphenburger Straße 166. Anmeldung wird erbeten unter Telefon 08022/846-0.
Checkliste zur inneren Widerstandsfähigkeit
Die innere Widerstandsfähigkeit basiert auf sieben Säulen, erklärt Dr. Oliver Schwarz. Wer weiß, wo es hapert, kann aktiv daran arbeiten, sagt der Psychotherapeuten.
Lösungsorientierung: "Dinge nicht aussitzen, sondern zielführend nach einer Strategie zu suchen."
Optimismus: "Ich muss wissen, dass ich die Krise meistern kann."
Bewusstsein, dass man schnell in eine Opferrolle gerät und wissen, dass man aus ihr ausbrechen muss.
Verantwortung für mein eigenes Leben übernehmen, wenn Dinge nicht laufen.
Zukunft gestalten: realisierbare Ziele haben.
Soziale Kontakte, Freunde: Unterstützung suchen, "die einen in Krisen auch auffängt".
Akzeptanz: Ich muss Krisen akzeptieren, egal ob selbst verschuldet oder nicht, und erkennen, dass ich die Situation ändern kann.
Lesen Sie auch: AZ-Ratgeber - Obst statt Pillen, so ernähren Sie sich richtig