Selbstbestimmt auf die letzte Reise

Immer mehr Menschen verfassen eine Patientenverfügung. Sie bestimmt, wie Ärzte im Ernstfall handeln sollen. Doch es gibt Fallstricke.
Julia Sextl |
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Durch eine Patientenverfügung können Schwerkranke bereits im Vorfeld festlegen, wie sie im Notfall behandelt werden wollen.
Ute Grabowsky/imago Durch eine Patientenverfügung können Schwerkranke bereits im Vorfeld festlegen, wie sie im Notfall behandelt werden wollen.

München - Seit fast zehn Jahren liegt die Frau im Wachkoma. Ihr Sohn will die künstliche Ernährung einstellen, doch die Ärzte lehnen – trotz Patientenverfügung – ab. Später auch Amts- und Landgericht. Grund: die Verfügung war nicht konkret genug. Der Fall geht bis vor den Bundesgerichtshof, sorgt 2017 für großes Aufsehen.

Das Urteil, dass auch der mutmaßliche Wille eines Menschen berücksichtigt werden muss, löst einen regelrechten Nachfrage-Sturm aus.

Die Hälfte der Deutschen plant die Erstellung einer Patientenverfügung

"Unsere Kunden fragen immer häufiger um Rat bei der Abfassung einer Patientenverfügung", sagt Manuela Kiechle, Vorstandsmitglied der Versicherungskammer Bayern, einem der Marktführer unter den Pflegeversicherungen. Laut Statistikportal Statista plant sogar jeder zweite Deutsche die Erstellung einer solchen Verfügung, teilt die Versicherungskammer mit. Doch nur drei Prozent der bisherigen Verfügungen seien überhaupt wirksam. "Auch bei uns ist es das meistgefragte Thema", sagt Verena Querling, Pflege-Expertin der deutschen Verbraucherzentralen.

Immer gehe es um die Sorge, nach einem schweren Unfall oder am Ende einer schweren Erkrankung nicht mehr über das eigene Leben bestimmen zu können, möglicherweise die letzten Jahre in qualvoller Regungslosigkeit verbringen zu müssen. Denn: Ärzte sind "dem Leben verpflichtet". Solange eine Indikation besteht, müssen sie Menschen am Leben erhalten.

Eine Patientenverfügung hingegen regelt das weitere Vorgehen, wenn deren Verfasser nicht mehr in der Lage ist, selbst eine Entscheidung zu treffen. Etwa, weil er im Koma liegt, künstlich beatmet oder ernährt werden muss oder schwer geschädigt ist.

Damit die Patientenverfügung im Ernstfall tatsächlich befolgt wird, müssen folgende Punkte beachtet werden: "Die Verfügung muss schriftlich verfasst und persönlich unterschrieben werden", sagt Querling, die als Juristin in der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf tätig ist.

Verfügung sollte so konkret wie möglich sein

"Wir empfehlen, auch noch dazuzuschreiben, wer daran mitgewirkt hat: welche Angehörigen, welcher Hausarzt und gegebenenfalls welcher Notar." Zudem sollte ein Arzt oder ein Notar bestätigen, dass die Einwilligungsfähigkeit des Verfassers gegeben war – er also bei klarem Verstand war. Wichtig ist auch, die Verfügung so konkret wie möglich zu verfassen. "Das heißt, mögliche Situationen und den gewünschten Umgang damit ganz konkret zu beschreiben", so Querling. Hilfestellung können Formulierungen aus Ratgebern bieten, die dann noch individuell ergänzt werden sollten.

"Wir empfehlen, sich dabei von einem Hausarzt beraten zu lassen, der sicherstellt, dass die medizinische Tragweite der Entscheidungen auch genau verstanden wird." Zudem müssen die eigenen Wertvorstellungen zu Leben und Tod beschrieben werden – diese können später bei einer Auslegung der Patientenwünsche helfen.

Alle zwei bis drei Jahre soll die Verfügung überprüft werden

Alle zwei bis drei Jahre sowie vor Operationen muss überprüft werden, ob die Wünsche noch zur aktuellen Lebenssituation passen. Dies muss zudem kenntlich gemacht werden – mit Datum und Unterschrift.

Ebenfalls wichtig: Im Notfall muss die Patientenverfügung schnell gefunden werden können. "Man könnte zum Beispiel einen Aufkleber an der Wohnungstür anbringen, auf dem steht: ,Ich habe eine Patientenverfügung und diese liegt im Kühlschrank.’", sagt Querling. "Dort findet man sie garantiert und schnell."

Verfügung auch online

Mittlerweile gibt es auch Online-Serviceportale für Patientenverfügungen: Die Bayerische Versicherungskammer beispielsweise, einer der großen Pflegeversicherer, kooperiert seit diesem Jahr mit dem Anbieter www.meine- patientenverfügung.de. Hier können Interessenten mit Hilfe eines Online-Interviews Schritt für Schritt eine Patientenverfügung erstellen (Preis 39,50 Euro).

Danach erhalten die Kunden ein Papierexemplar mit Durchschriften per Post. Wer zusätzlich den Notfall- und Archivservice bucht (17,50 Euro pro Jahr), bekommt eine Notfallkarte mit Code, über die beispielsweise Ärzte online Zugriff bekommen.

Vollmacht – so geht’s

Neben der Patientenverfügung, die die Wünsche für die Behandlung im Notfall beschreibt, gibt es noch die Möglichkeit, Vertrauenspersonen einzubinden:

So bestimmt eine sogenannte Vorsorgevollmacht einen oder mehrere Bevollmächtigte für den Fall, dass der Patient die eigenen Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann. Die Vollmacht sollte im Vorfeld mit allen Angehörigen besprochen werden. Denn wenn im Notfall ein Angehöriger behauptet, der Patient habe dies so gar nicht gewollt, könnte ein Gericht über das weitere Vorgehen entscheiden müssen.

Mit einer Betreuungsverfügung kann eine Person bestimmt werden, die im Notfall als gesetzlicher Vertreter die Interessen des Betreuten wahrnimmt – anstatt eines gerichtlichen Betreuers. Im Gegensatz zum Bevollmächtigten unterliegt ein Betreuer gerichtlicher Kontrolle.


Ratgeber zum Thema: Bestseller der Verbraucherzentrale

Der Ratgeber "Patientenverfügung" (9,90 Euro) ist eines der meistverkauften Bücher der deutschen Verbraucherzentralen, erhältlich unter 0211/380 95 55 (Mo bis Fr, 9 bis 16 Uhr), unter www.ratgeber- verbraucherzentrale.de oder bei der Verbraucherzentrale in München, Mozartstraße 9, Telefonnummer 552 79 40. Eine kostenlose Broschüre gibt es auch vom Bundesjustizministerium, erhältlich unterwww.bmjv.de

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