Münchner Tierärztin klärt auf: So lange dürfen Hunde allein bleiben

Auch der Nachfahre des Wolfes ist ein Rudeltier, das viel soziale Nähe braucht. Eine Tierärztin aus München erklärt, was bei Trennungsangst zu tun ist – und wie viel Homeoffice wirklich für eine gesunde Psyche des Hundes nötig ist.
Maximilian Neumair |
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Schimpfen ist ein No-Go, warnt Tierärztin Astrid Schubert.
Schimpfen ist ein No-Go, warnt Tierärztin Astrid Schubert. © imago

München - Nichtsahnend kommt der Hundebesitzer nach Hause, doch als er die Wohnungstür aufsperrt, findet er Chaos vor: Der Stoff im Polster des Körbchens liegt zerfleddert im Flur herum. Wildes Spiel? Oder doch böswillige Absicht?

Womöglich weder noch, sagt Dr. Astrid Schubert, Tierärztin für Verhaltenstherapie, der AZ. Sie leitet das Team der Sirius Behaviour Vets, das Zentrum für Verhaltenstherapie und -medizin in München. Eine der häufigsten Diagnosen in der Praxis: "trennungsbezogene Stress-Reaktion", der Laie nennt es Trennungsangst. 52 Prozent der Hundebesitzer beobachten diese bei ihren Tieren, zeigt eine Umfrage der US-Tiermedizin-Apotheke Pedmeds.

Trennungsangst kann sich unterschiedlich zeigen

Die Trennungsangst äußert sich laut Schubert nicht nur in der Zerstörung des Körbchens, des Lieblings-T-Shirts oder gar der Couch. Manche Hunde trinken und fressen nichts in der Zeit. Andere rennen stundenlang hektisch durch die Wohnung von Fenster zu Fenster, bis sie einschlafen. Wieder andere bellen oder heulen für Stunden.

"Das ist nicht nur für den Hund unschön, sondern auch für die Nachbarn eine Katastrophe", sagt Schubert. Im schlimmsten Fall trudele irgendwann die Abmahnung vom Vermieter ein. Davon berichtet auch Kristina Berchtold vom Tierheim München der AZ: "Das ist durchaus ein Abgabegrund für viele."

Um herauszufinden, ob besagtes Verhalten wirklich in einer Stress-Reaktion begründet liegt, muss zunächst der Hund beobachtet werden, wenn er allein ist – mit Hilfe von Videoaufnahmen. "Es gibt inzwischen echt günstige Kamerasysteme, die man zeitgleich abfragen kann", sagt Verhaltenstherapeutin Schubert.

Auf Verhaltenstherapie spezialisierter Tierarzt nötig

Weil jeder Fall von Trennungsangst unterschiedlich ist, empfiehlt sie, die eigene "Tages- und Beziehungsstruktur" von einem spezialisierten Tierarzt überprüfen zu lassen. Der könne – anders als normale Hundetrainer – beurteilen, ob etwa eine zu enge Bindung vorliegt, eine neue Umgebung mit fremden Geräuschen den Hund verunsichert oder ob dieser gar unter Erkrankungen leide.

Diese beiden Hunden sind auf dem Weg, ihre Trennungsangst zu überwinden – mit der Hilfe von der Münchner Tierverhaltenstherapeutin Dr. Astrid Schubert.
Diese beiden Hunden sind auf dem Weg, ihre Trennungsangst zu überwinden – mit der Hilfe von der Münchner Tierverhaltenstherapeutin Dr. Astrid Schubert. © privat

Begleitend zur Verhaltenstherapie kann ein Tierarzt außerdem Tabletten verschreiben, die "angstlösend sind, aber nicht abhängig machen", sagt Schubert. Die würden das Problem zwar nicht allein lösen, warnt sie, aber bei besonders schweren Fällen helfen.

"Das ist gerade wichtig für Tiere, die hohen Leidensdruck zeigen oder für Besitzer, die zum Beispiel schon eine Abmahnung vom Vermieter bekommen haben und für die es schnell gehen muss." Denn eine Therapie braucht Zeit.

Damit sie gelingt, dürfen die Hunde derweil das Trauma nicht wiederholt erleben. Sprich: Sie dürfen nicht allein sein, bis sie es kleinschrittig gelernt haben. Auf der Webseite hundelieb.com können sich Besitzer und jene, die gerne mal Zeit mit einem Hund verbringen würden, verabreden.

Alternativ bieten sich auch Hundepensionen oder -tagesstätten an. Laut Schubert kann sich auch ein Aushang bei Tiermedizin-Studenten lohnen: "Die haben Tierverständnis und verdienen sich gerne etwas Geld."

Tierärztin: "Eingesperrt zu sein, macht etwas mit deiner Psyche"

Langfristig muss der Alltag umgebaut werden. "Ein regelmäßiges Alleinbleiben von länger als vier Stunden halte ich für tierschutzrelevant", sagt Schubert. Der Hund ist wie der Wolf ein Rudeltier, das soziale Nähe braucht. Besonders Rassen wie der Pudel und Pudelmischlinge, etwa der Goldendoodle oder der Cockapoo, neigen zur Trennungsangst.

"Wenn wir mehrere Stunden am Tag zu Hause eingesperrt wären, ohne Fernseher, Computer, Bücher oder sonst was, dann macht das was mit deiner Psyche", erklärt Schubert.

Hunde, gerade Welpen, brauchen viel Kontakt zum Tierbesitzer.
Hunde, gerade Welpen, brauchen viel Kontakt zum Tierbesitzer. © IMAGO/Filippo Carlot (www.imago-images.de)

Zwei Tage Homeoffice und drei Tage Büro, bei denen der Hund nicht mitdarf, sind demnach viel zu wenig, um diesem den Kontakt zu geben, den er als soziales Tier so dringend braucht.

Berchtold ergänzt: "Gerade bei Menschen, die sich ein Tier unüberlegt anschaffen, kommt es häufig vor, dass ihnen nicht bewusst ist, wie viel Aufwand damit entsteht." Dementsprechend habe es auch viele Aufnahme-Anfragen nach Ende der Corona-Pandemie gegeben, als auch die Büropflicht vermehrt zurückkehrte.

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Schnelle Lösungen gibt es nicht

Das eigene Leben muss also an den Hund angepasst werden – eine schnelle Lösung, die immer klappt, gebe es nicht, warnt Schubert. "Sehr häufig heißt es, geh erstmal nur eine Minute raus, dann zwei, dann eine Viertelstunde." Das Problem daran: "Das ist unfassbar anstrengend und wird schnell vergessen. Sobald man hudelt, klappt es aber nicht."

Auch den Hund zu schimpfen, wenn er gebellt oder zerstört hat, sei ein "super No-Go", weil man den eigentlichen Grund nicht behandele. Meist werde die Trennungsangst so noch schlimmer.

Im besten Fall lässt Herrchen oder Frauchen es erst gar nicht zur Trennungsangst kommen. "Der Welpe muss allein schlafen lernen", sagt Schubert. Nach drei Monaten sollte man zunächst ein Babygitter an der Schlafzimmertür anbringen, um dann nach und nach die Tür ganz zu schließen.

Außerdem sei wichtig, nicht auf alles zu reagieren, wenn der Hund Aufmerksamkeit will. "Welpen sind Kontakt-Junkies", sagt die Tierärztin. Zu viel Anhänglichkeit provoziert demnach Trennungsangst.

Ohnehin brauchen gerade Welpen viel Kontakt und Nähe. Dabei kommen Opa-Hunde (älter als zehn) laut Schubert im Vergleich wesentlich besser damit zurecht, auch mal länger allein zu sein (bis zu fünf Stunden). Doch gerade die lassen sich dem Tierheim München zufolge am schwersten vermitteln.

Hinweis: Webinar, um Trennungsangst vorzubeugen: www.hundeschule-muenchen.info (Kosten: 35 Euro)

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