Massives Minus: Riester "im Wachkoma"

Lohnt sich das als Altersvorsorge? Nicht in der gegenwärtigen Form, sagen Experten. Das Problem ist vor allem die Garantie. Was man noch retten kann und ob sich ein Komplettausstieg lohnt.
von  Veronika Csizi
Ein Ordner mit der Aufschrift "Rente Riester Vertrag" steht zwischen anderen Aktenordnern. (Archivbild)
Ein Ordner mit der Aufschrift "Rente Riester Vertrag" steht zwischen anderen Aktenordnern. (Archivbild) © Patrick Pleul/zb/dpa/dpa

Wer ein Riester-Produkt hat und einen Blick in die Altersvorsorge wirft, dürfte momentan erblassen. Der kombinierte Aktien- und Anleihecrash hat vielfach für massive Minuszeichen gesorgt und auch bei bereits langfristiger Anlage die Wertentwicklung rasiert. Rentenfonds, die sich in den meisten Depots von Fonds-Riester-Kunden oder Versicherungskunden mit Fondsmantel befinden, sind auf Jahressicht aktuell zwischen zehn und 45 Prozent im Minus, obwohl gerade sie das Sicherungselement der Produkte darstellen.

Wer bald in Rente geht, muss mit Einbußen rechnen

Dies bleibt nicht ohne Wirkung: Zwar müssen die Riester-Anbieter 100 Prozent der Ersparnisse und der Zulagen garantieren, diese jedoch nur zum Laufzeitende. Aktuell sieht die Lage vielfach düster aus: Bei Karin F. etwa, die seit Dezember 2005, also seit 17 Jahren, in die Toprente Balance der DWS einzahlt, ist die Rendite auf ein jährliches Plus von aktuell 0,46 Prozent geschrumpft, vor Inflation.

Kunden mit kürzerer Anlagezeit liegen zum Teil massiv im Minus. Doch vor allem ältere Riester-Sparer, die kurz oder einige Jahre vor der Verrentung stehen, müssen nun mit deutlichen Einbußen rechnen.

Natürlich können auch die Fondsmanager nicht zaubern: Anleihen haben sich im vergangenen Jahr parallel zu den Aktienmärkten extrem negativ entwickelt.

Garantien kosten viel

Lang laufende Bonds etwa liegen wegen der Zinswende auf Jahressicht 20, 30 oder mehr Prozent im Minus. Denn Anleger lassen alte Anleihen mit niedrigen Zinsen fallen und kaufen neue mit höheren Sätzen. Dies deckelt die Kurse der alten Anleihen massiv. Allerdings lagen davor fette Jahre, bei Anleihen wie bei Aktien. In dieser Zeit jedoch wurde mit dem Modell Riester das Kapital nicht ausreichend gemehrt, um nun entsprechende Verluste schultern zu können.

Schuld daran sind hohe Provisionen und vor allem die Garantien, die viel kosten, zu permanenten Umschichtungen führen und massiv an der Wertentwicklung zehren.

Dies zeigt der Vergleich zwischen der Riesterrente von Karin F. und einem normalen Indexfonds ohne Garantie und mit niedrigen Kosten. Wer beispielsweise seit Dezember 2005 einfach in einen passiven Indexfond (ETF) auf den weltweit anlegenden Index MSCI World investiert hätte, hätte per Ende Dezember 2022, also 17 Jahre und drei heftige Einbrüche oder Aktien-Crashs später, nach Kosten jedes Jahr 7,46 Prozent erwirtschaftet.

ETF hätte doppelt so viel eingebracht wie Balance Rente

Der Vergleich ist zwar nicht exakt, da die Riester-Zulagen nur einmal im Jahr fließen, Anleger jedoch meistens monatlich investieren, doch am Ende spricht er eine klare Sprache: Wer auf eigene Faust auf den MSCI World gesetzt hat, hätte binnen 17 Jahren in etwa doppelt so viel Geld einfahren können wie mit der Balance Rente der DWS.

Für andere Riester-Modelle gilt dies ähnlich. Auch Versicherungsprodukte, an denen hohe Gebühren und Garantien noch stärker zehren, leiden unter der Lage an den Kapitalmärkten.

Steuerliche Fragen sind in der Rechnung nicht berücksichtigt. Denn Riester-Einzahlungen kann man als Sonderausgaben von der Steuer abziehen, muss dafür die Riester-Rentenzahlung später voll versteuern. Beim Sparen unter eigener Ägide müssen Ausschüttungen versteuert werden, wobei seit 2023 ein Freibetrag von 1000 Euro pro Jahr gilt. Dazu werden Gewinne via Abgeltungssteuer mit rund 25 Prozent belastet, sobald Fonds verkauft werden.

"Die Idee Riester ist krachend gescheitert"

Niels Nauhauser, Finanzexperte von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, ist dennoch klar: "Die Idee Riester, also der Plan, bedarfsgerecht anzulegen, die Renditemöglichkeiten der Kapitalmärkte zu nutzen und eine gute Zusatzrente aufzubauen, ist krachend gescheitert."

Im Koalitionsvertrag hat die Regierung sich auch klar festgelegt: Die private Altersvorsorge soll grundlegend reformiert werden. Dazu tagt im Bundesfinanzministerium die "Fokusgruppe Private Alterssicherung", in der Politik, Fondsindustrie, Versicherungen, Gewerkschaften und Verbraucherschützer bis zum Sommer ausloten wollen, unter welchen Bedingungen Bürger künftig privat Geld für ihr Alter ansparen können und wie dies womöglich gefördert wird.

Die Fronten sind klar: Die Verbraucherschützer plädieren für einen neuen Vorsorgefonds, der nach schwedischem Vorbild vom Staat lanciert wird, aber ohne Vertrieb und damit auch ohne Vertriebsprovisionen, dafür mit sehr geringen Gebühren und ohne Garantie auf die Kapitalmärkte setzt.

"Ein kleines Reförmchen reicht nicht", ist Dorothea Mohn, Leiterin Team Finanzmarkt beim Verbraucherzentrale Bundesverband, überzeugt. Versicherungen seien für die Altersvorsorge einfach nicht geeignet. Das aktuelle System der privaten Altersvorsorge funktioniere nicht und müsse grundlegend geändert werden.

Die Versicherer hingegen, die die Riesterrente im Versicherungsmantel behalten und auch an den Gebühren nicht abspecken wollen, plädieren für eine "Bürgerrente", bei der die Garantien auf 80 Prozent reduziert und das komplizierte und aufwendige Zulagensystem verschlankt werden sollen.

Die Riesterrente braucht eine Reform

Ohne Reform und flexiblere Garantien werde das Angebot weiter zurückgehen, sagt Jörg Asmussen, Geschäftsführer beim Gesamtverband der Versicherer. Die Riesterrente befände sich insgesamt "im Wachkoma", sei aber mit vernünftigen Reformen noch zu retten.

Auch die Fondsindustrie hält Riester für reformfähig, will aber vor allem die Garantie kippen. "Ende letzten Jahres war die Lage schwierig, weil Aktien und Anleihen parallel gefallen sind", räumt Björn Deyer, Leiter des Produktmanagements Altersvorsorge beim Fondshaus Union Investment, ein. Dennoch werde es "trotz dieser Umstände nur wenige Kunden geben, die mit Nullrenditen in Rente gehen".

Anlegern kämen nun ja auch die gestiegenen Zinsen und die irgendwann wieder ausgeglichene Aktiendelle zugute. Wer jetzt einen Riestervertrag starte, habe auch "hundertprozentig ausschließlich Aktien im Depot". Sparer, die ihren Vertrag in den letzten zehn Jahren abgeschlossen haben, hätten Aktienquoten zwischen 30 und 40 Prozent, Ältere, kurz vor der Rente, eher zehn Prozent Aktien im Depot.

Wer seinen Vertrag kündigt, muss Förderungen zurückzahlen

Deyer: "Der Renditekiller ist die Garantie". Eine Idee könne sein, dass der Kunde selbst entscheide, ob er ein Produkt mit oder eines ohne Garantie haben wolle. Union Investment, der Fondsarm der DZ Bank und der genossenschaftlichen Institute, ist inzwischen der letzte verbliebene Anbieter von Riester-Fondssparplänen und hat etwa 1,8 Millionen Kunden.

Insgesamt liegen derzeit 15,9 Millionen Riesterverträge in den Schubladen der Verbraucher, das sind rund 700.000 weniger als im Spitzenjahr 2017. Davon sind 10,3 Millionen Versicherungen, 3,5 Millionen Fondsverträge, 520 000 Banksparpläne und 1,7 Millionen Wohn-Riester-Modelle.

Einige Riester-Kunden überlegen jedoch auch, ob es sinnvoll sein könnte, komplett aus dem Riester-Produkt auszusteigen oder den Vertrag einzufrieren und in Zukunft anderweitig fürs Alter zu sparen. Klar ist: Wer seinen Vertrag kündigt, muss die bisher geleistete staatliche Förderung komplett zurückzahlen.

Aktuell gelten folgende Regeln: Wer mit dem Modell Riester spart, muss vier Prozent seines Bruttoeinkommens bis maximal 2.100 Euro pro Jahr zur Seite legen. Von der Summe kann er oder sie die staatlichen Zulagen abziehen. Derzeit zahlt der Staat jedem Sparer eine Grundzulage von 175 Euro im Jahr. Berufsstarter profitieren bis 25 zudem von einem Bonus in Höhe von 200 Euro.

Eine Faustregel sei: Wird der Vertrag regelmäßig zu mehr als 50 Prozent vom Staat durch Zulagen gespeist, dann lohnt sich ein Ausstieg in der Regel nicht. Dies müsse man jedoch im Einzelfall genau durchrechnen, was die Verbraucherzentralen für Riester-Kunden übernehmen.

Umgekehrt könne es sich jedoch auch noch kurz vor der Rentenphase lohnen, aus dem Riester-Imperium auszusteigen, die Zulagen zurückzuzahlen und das Geld dann in die eigene gesetzliche Rente zu stecken oder anderweitig arbeiten zu lassen. Es hänge vom Einzelfall ab, welche Lösung sich lohne, so Nauhauser.

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