Hungern für die Figur? Warum Diäten oft dick machen
Es geht uns gut, so gut wie nie. Und das noch nicht lange: Erst seit 40, 50 Jahren gilt in unserer Gesellschaft etwas, worauf der menschliche Körper von der Evolution her noch gar nicht eingestellt ist: Wir können uns fast immer und überall mit mehr Nahrung versorgen, als wir zum Sattwerden brauchen: Discounter, Imbisse, Kioske, Restaurants, Supermärkte, Bäckereien - wir leben in einem Schlaraffenland.
Das Problem mit dem Gewicht
Eigentlich himmlisch, oder? Wenn dieses Überangebot an Nahrung nicht die Sache mit dem Gewicht mit sich bringen würde: Über die Hälfte der Deutschen würden gerne abnehmen, in einer Umfrage von Statista und YouGov 2022 gaben circa 49 Prozent der Befragten an, schon einmal eine Diät gemacht zu haben.
Ob mit FDH, Metabolic Balance, Low Carb, Keto: Die dabei auf den ersten Blick erzielte Gewichtsreduktion kann sich sehen lassen. Fast 40 Prozent nahmen im Rahmen der Diät bis zu 15 Kilo und rund 6 Prozent sogar mehr als 20 Kilo ab; Diäten und vor allem Radikaldiäten scheinen also zu funktionieren.
Dick trotz Diät? Daher kommt die Diskrepanz
Es gibt über 1000 Diätformen, über 50 000 Diät-Ratgeber allein in Buchform auf dem Markt.
Gleichzeitig waren wir Deutsche noch nie so schwer wie jetzt laut WHO sind fast die Hälfte der Männer und 30 Prozent der Frauen übergewichtig, viele davon sogar fettleibig. Wie geht das zusammen? Im Diätzeitalter zu leben und gleichzeitig als Nation (auch global ist das ein Trend!) immer dicker zu werden?
Und: Was ist mit all den „verschlankten" Personen langfristig passiert, die mit einer Diät Gewicht verloren haben?
Einmal Jo-Jo, immer Jo-Jo
Sieht man sich diese Zahlen an, beschleicht einen bereits der leise Verdacht, dass Diäten gar nicht so wirkungsvoll sind, wie wir denken. Vom Jo-Jo-Effekt haben wir alle schon gehört und ihn vielleicht auch schon erlebt. Was jedoch neuere Forschungen belegen: Hinter dem Jo-Jo-Effekt, fachsprachlich „Weight-Cycling", steckt viel mehr als eine reine Gewichtszunahme. Und er hält viel länger an, als wir bisher dachten. Das jedenfalls haben die amerikanischen Forscher herausgefunden, die die „Abnehmkönige" der US-Serie „The Biggest Loser" untersucht haben, einer TV-Show, bei der Übergewichtige in sehr kurzer Zeit sehr viel Gewicht verlieren.
Vor Beginn der Diät, zum Ende des 30 Wochen dauernden Programms sowie sechs Jahre lang danach, wurden unter deren Gewicht, Körperfettanteil, Blutwerte und Hormone analysiert und der Grundumsatz ermittelt.
Das Interessante und durchaus auch Erschreckende an diesen Ergebnissen: Die Teilnehmer nahmen nach der Abnehm-Show nicht nur alle wieder zu, Stress- und Sättigungshormone waren auch sechs Jahre nach der Diät noch aus der Balance und der Grundumsatz viel niedriger als zuvor.
Dass diese Menschen also auch nach der Rückkehr in die Normalität mit weniger Kalorien pro Tag auskamen, war ein Effekt, der sich nicht wieder einzupendeln schien.
Das bedeutet: Wer das erste Mal Diät macht, wird durchaus abnehmen und ein „Erfolgserlebnis" haben, danach aber wieder zulegen. Bei der nächsten Diät wird man noch strenger fasten und verzichten müssen, um an Gewicht zu verlieren, danach schneller als zuvor zunehmen, wieder eine Diät beginnen und nach einigen Jahren sehr viel dicker sein, als wenn man niemals mit dem Hungern angefangen hätte.
Vorsicht, Hungersnot: Was der Körper versteht
Zwölf Kilo runter - 17 Kilo rauf: Dieses Jo-Jo-Phänomen ist das Ergebnis einer eigentlich sehr sinnvollen Überlebensstrategie, die noch aus der Zeit vor den übervollen Regalen stammt. Unser Körper ist seit Urzeiten darauf programmiert, in Zeiten von Dürre, Hungersnot oder Kälte nicht zu verhungern. Sobald er merkt, dass Nahrung weniger wird, also die zugeführte Energie in Form von Kalorien sinkt, schaltet er im wahrsten Sinne des Wortes einen Gang hinunter: in den sogenannten Hungerstoffwechsel. So hält er mit den begrenzten Ressourcen so lang wie möglich Haus. Da eine Dürreperiode mehrere Wochen oder gar Jahre andauern konnte, versucht er mit Hilfe dieses Notfallprogramms, alle lebenswichtigen Körperfunktionen aufrecht und den Körper für einen maximalen Zeitraum am Leben zu erhalten.
Grundumsatz und Hungerstoffwechsel
Ganz konkret bedeutet das, dass er den Grundumsatz - das heißt: die minimal benötigte Energiemenge im Ruhemodus, reduziert.
Wenn wir also in Form einer Diät die gewohnte Kalorienzahl reduzieren, signalisieren wir unserem Nervensystem auch 2023 nichts anderes als: „Achtung, es droht eine Hungersnot", ganz egal wie voll der Kühlschrank oder die Supermarktregale sind - und landen im Hungerstoffwechsel.
Und das viel, viel länger, als ursprünglich angenommen.
Hungern stresst Seele und Körper – lange!
„Wenn ich Schokolade nur ansehe, nehme ich schon zu!": der typische Ausruf eines Menschen, dessen Körper in so einem „schlechten" oder „langsamen" Stoffwechsel verharrt. Auch Heißhungerattacken gehören hier mit dazu: Da die Sättigungshormone Leptin, Insulin und Amylin ebenfalls (für Jahre!) aus der Balance sind, bekommen wir nicht mehr gemeldet, wann wir genug gegessen haben und können nicht mehr zwischen echtem Hunger und Appetit zusammen mit dem permanenten, chronisch mitlaufenden Stress, den der Ausnahmezustand „Hungersnot" für das Nervensystem bedeutet.
Partner statt Gegner: Warum die Wahrnehmung wichtig ist
Mit so einer inneren Einstellung schafft man sich zwei Gegner, die eigentlich unbedingt als Partner wahrgenommen werden sollten:
1. Den eigenen Körper
Niemand, der eine Diät machen möchte, ist zu 100 Prozent mit sich zufrieden. Aus dieser Unzufriedenheit heraus erlebt man den eigenen Körper oft als einen immer hungrigen, unkooperativen Widersacher, der nur mit extremer Kontrolle davon abgehalten werden kann, weiter zuzunehmen.
Diese scheinbare Gegnerschaft verstärkt sich natürlich durch das Erleben des Jo-Jo-Effekts. Dabei ist der Körper alles andere als ungehorsam er folgt ganz exakt den Befehlen des Nervensystems.
2. das Essen
Essen ist lebensnotwendig und noch so viel mehr: Genuss, Lebensfreude, Verbindung, sozialer Kitt. Ein Diät-Mindset unterwirft jedoch Nahrung einer strengen Kontrolle und nimmt Essen eher als Feind wahr, der berechnet, abgewogen, verboten werden muss.
So gerät man eigentlich in ein System der ständigen Selbstbestrafung, in dem man sich immer wieder körperlich kasteit und durch Selbstvorwürfe, Frustration und Ohnmachtsgefühle auch seelisch wehtut: „Mein Körper ist gegen mich", „Das ist so ungerecht", „Ich muss mich einfach noch mehr zusammenreißen“, „Ich schäme mich, weil ich schon wieder zugenommen habe" - das sind dann typische Aussagen, wenn der Bauchspeck immer mehr wird, obwohl man, wie bewiesen, eigentlich überhaupt nichts dafür kann.
Dauerstress vermeiden
Dieses Bündel an Anspannung und negativen Gefühlen dem eigenen Körper und dem doch so lebensnotwendigen Essen gegenüber sorgt vor allem für eines: Stress.
Und der, vor allem Dauerstress, und die damit verbundenen Hormone lassen den Körper Fett speichern für schlechte Zeiten: weil der Körper nicht vernünftig verdaut, wenn er immer in einer Art Hab-Acht-Stellung ist.
Hungern macht also aus nicht nur aus körperlichen Gründen dick - auch aus seelischen.
Ausweg: Stress runter, Grundumsatz hoch
Die große Frage für die, die in dieses scheinbar irreversible Jo-Jo-Dilemma geraten sind: Gibt es da einen Ausweg? Die Antwort ist: Ja. Aber Diät ist nicht der Weg.
Eigentlich ist es simpel, was stattdessen getan werden kann: Stress abbauen, Grundumsatz erhöhen, wieder intuitiv essen lernen. Und das mit möglichst viel Geduld. In der Praxis bedeutet das, seine Lebenseinstellung und -gewohnheiten zu ändern.
Es hilft nichts, weniger zu essen, es hilft, mehr zu verbrennen: also in Form von Bewegung, Aktivität (und zwar nicht aus Pflichtgefühl, sondern aus Freude) und, nicht zu vergessen: durch Genuss und Entspannung.
Denn das signalisiert dem Körper, dass er sicher und versorgt ist, und kann ein langsamer Weg aus dem Hungersnot-Modus sein. Auch faul zu sein macht also schlanker, vorausgesetzt, Sie können es in vollen Zügen genießen (schlechtes Gewissen stresst und hätte so einen gegenteiligen Effekt) und bauen dadurch Stress ab.
Das A und O: Wohlwollen sich selbst gegenüber
Was entspannt noch? Das seelische Auf und Ab an Gewicht und Selbstwertschätzung in Balance zu bringen, indem Sie den Respekt sich selbst gegenüber von Ihren Kilos entkoppeln. Sie können heute noch damit beginnen, indem Sie darauf achten, wie Sie über sich und Ihren Körper denken und sprechen. Hier jeden Tag ein wenig mehr Wohlwollen sich selbst gegenüber an den Tag zu legen, anstatt Kalorien zu zählen, und mit einem täglichen, ausgedehnten Spaziergang zu kombinieren das kann der erste Schritt zur Veränderung sein.
Sigi Heidi Hohner ist Diplom-Psychologin, Autorin und Coach
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