"Billig ist nicht gleich schlecht"
Foodwatch-Chef Thilo Bode über bayerischen Schweinsbraten und Bio-Kost, über die Politik als willigen Gehilfen der Industrie und über die wahren Liebhaber der Mittelmeerküche
AZ: Herr Bode. seit mehr als zehn Jahren haben Sie praktisch ständig mit Lebensmittelskandalen zu tun. Was haben Sie erreicht?
Thilo Bode: Wir haben ein Bewusstsein dafür geschaffen haben, dass Verbraucher mehr Rechte bekommen sollte. Das ist die positive Seite. Andererseits erstaunt es aber, dass so einfache Sachen, die alle Verbraucher wollen, nicht umgesetzt werden.
Was meinen Sie?
Viele Verbraucher wollen zum Beispiel die Lebensmittelampel oder wünschen sich mehr Transparenz über die Hygiene in Gastronomiebetrieben durch ein „Smiley-System". Aber das gibt es nicht. Die Wirtschaftslobbys sind zu stark in Deutschland.
Woran liegt das?
Es ist ein Phänomen: Es ist ja nicht so wie bei der Energiewende, dass die Branche mit Arbeitsplatzverlusten drohen könnte. Wir reden ja nicht über Atomkraftwerke. Gegessen wird immer. Dennoch schützt die Politik nach wie vor eher die Interessen der Lebensmittelwirtschaft als die der Verbraucher.
Hat das Land aus den Lebensmittelskandalen etwas gelernt?
Nicht fundamental. Wenn große Täuschungen stattfinden wie beim Pferdefleisch-Skandal, oder beim kontaminierten Futtermittel, dann ist fast immer das corpus delicti schon verzehrt. Konsequente Maßnahmen, die solche Fälle in Zukunft verhindern könnten, scheut die Politik.
Was müsste sich ändern?
Die Hersteller müssten verpflichtet werden, ihre Rohstoffe und ihre Produkte verbindlich zu testen, bevor sie in den Handel kommen. Solche klaren Vorgaben gibt es aber nicht. Dementsprechend kann man Unternehmen bei Lebensmittelskandalen - wie beispielsweise beim Pferdefleisch-Fall - auch nur schwer eine Schuld nachweisen.
Sie haben mächtige Gegner. Da sind ja einige Riesen in der Lebensmittel-Branche zugange. Haben Sie dies unterschätzt?.
Nein. Trotz Nestlé und Unilever ist die Lebensmittelindustrie in Deutschland noch immer weitgehend eine mittelständische Industrie geblieben. Aber die Politik und der Staat definieren sich zu schnell als Dienstleister der Industrie. Sie machen zu schnell auf Konsens und sind zu wenig bereit, in Konflikt zu gehen.
Was muss Politik leisten?
Das fängt schon bei dem strukturellen Problem an: Verbraucherpolitik ist im Landwirtschaftsministerium angesiedelt. Dabei könnten die Interessen von Verbrauchern und Agrarindustrie unterschiedlicher nicht sein. Beides in einem Ministerium zu bündeln, ist absoluter Unsinn. Und es ist eine demokratische Unsitte, einen Interessenverband am Kabinettstisch sitzen zu haben.
Was müssen die Verbraucher ändern?
Der Verbraucher alleine ist ziemlich machtlos. Sie können ja nicht schmecken, ob Dioxin im Frühstücks-Ei ist oder Pferd in der Lasagne. Trotzdem heißt es bei jedem neuen Lebensmittelskandal: Der Verbraucher ist selbst schuld, weil er Billigware kauft. Das ist doch pervers! Die Bremsen bei einem Polo müssen genauso gut funktionieren wie bei einem Mercedes. Die Neigung des Verbrauchers zu billigen Produkten darf nicht zu Abstrichen bei der Sicherheit führen. Der Staat hat eine besondere Pflicht, den Verbraucher zu schützen. Und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der Einzelhandel oder die Ketten die Produkte billig verkaufen oder nicht.
Aber es ist doch nachvollziehbar, dass ein Huhn, das ich irgendwo für einen Euro kaufen kann, nicht von derselben Qualität sein kann wie das Bio-Huhn für zehn Euro.
Also erst mal ist teuer nicht unbedingt gut und billig nicht unbedingt schlecht. Gerade Fleisch ist oft quersubventioniert. Sicher gibt es Unterschiede bei der Qualität. Aber es darf keine Kompromisse bei der Sicherheit geben. Es kann nicht sein, dass man sagt: Du bist selber schuld, wenn dein Huhn mit Antibiotika belastet ist, es kostet ja auch nur Einsfuffzich. Nein, es muss verbindliche Standards geben, und der Staat muss die Kraft haben, sie durchzusetzen.
Ist Bio-Kost denn eine Lösung?
Die ökologische Landwirtschaft hat viele Vorteile. Aber Bio hat nicht so viel mit Gesundheit zu tun, wie gerne geglaubt wird. Wenn sie lauter Bio-Schweinebraten essen, dann ist das keine gesunde Ernährung. Wenn Sie Ihrem Kind jeden Tag überzuckerte Bio-Frühstücksflocken geben, dann ist das kein ausgewogenes Frühstück.
Also alles nur Augenwischerei?
Bio-Lebensmittel sind in erster Linie eine Frage der Produktionsweise: Die Tiere haben zum Beispiel mehr Platz, und es wird kein Mineraldünger eingesetzt. Abgesehen von den Rückständen von Pflanzenschutzmitteln kann man aber nicht unbedingt sagen, dass Bio gesünder ist.
Nehmen die Deutschen Lebensmittel nicht so ernst wie die Nachbarn?
Das ist auch so ein Vorurteil. Schauen Sie in die Supermärkte in Frankreich und in Italien: Dort gibt es die gleichen problematischen Lebensmittel wie bei uns. Die Italiener haben in Europa die größten Probleme mit übergewichtigen Kindern. Die größten Fans der berühmten Mittelmeerküche leben heute in Skandinavien.
Was essen Sie denn selbst am liebsten?
Alles. Aber, als gebürtiger Bayer noch immer: Einen Schweinsbraten mit Knödel.
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