Zwischen „Kir Royal“ und dem Swingerclub „Cleopatra“
Warum Star-Regisseur Helmut Dietl Graeters Alltag als Kult-Serie inszeniert. Und wie der Klatsch-Kolumnist hinter ein Geheimnis von „Winnetou“ Pierre Brice und seiner Frau kommt
Als man in München die Wörter Cappuccino und Baguette noch buchstabiert, eröffne ich 1979 in Schwabing mein Café Extrablatt. Es wird zum Wohnzimmer für Rainer Werner Fassbinder, der gegen vier Uhr nachmittags mit Barbara Valentin zu frühstücken pflegt, für Monaco-Franze Helmut Fischer, wenn er samstags eine Auszeit von der häuslichen Tapete nimmt, für Friedrich Karl Flick, Thailand-Generalkonsul Herbert G. Styler und Peter Gauweiler, die ganz verzückt sind, als Starköche ein Gastspiel geben und das zubereiten, was sie in ihren Sterneküchen nicht zubereiten. Herd-Hamlet Eckart Witzigmann brät Fleischpflanzerl, Kollege Heinz Winkler Wiener Schnitzel und Paul Bocuse tischt Schweinebraten mit Knödel auf. Gäste, die gern vorbeischauen, sind Franz Josef Strauß und Walter Scheel, Daliah Lavi, Steve McQueen, Gunter Sachs und Otto Waalkes, Brooke Shields, Margaux Hemingway, Franz Beckenbauer und Horst Wendlandt (mit Neuentdeckungen), Renate Thyssen und Mick Flick, Roman Polanski und Udo Jürgens, Jack Nicholson und Klaus Lemke.
Neben Cappuccino und Baguette, ist damals in München auch Kir Royal, der Champagner-Cocktail mit einem Barlöffel voll Crème-de-Cassis-Likör, ein Fremdwort. Selbst der sensible und gern leidende Meisterregisseur Helmut Dietl, damals noch von Kopf bis Fuß in Weiß gekleidet, kann wenig damit anfangen. Kir Royal steht unter den Aperitifs an erster Stelle auf der Speisekarte des Café Extrablatt. Am gemütlichen Stammtisch sitzen im Jahr 1982 Helmut Dietl, sein Produzent Jürgen Dohme sowie WDR-Redakteur Jörn Klamroth. Es ist die konspirative Geburtsstunde von „Kir Royal", der inzwischen legendären TV-Reihe. Ganz begeistert zeigt sich der Fernsehmann von Dietls Idee, nach dem „Monaco Franze“ eine Society-Satire über Personen und Persönchen der weißblauen Szene zu drehen, in deren Mittelpunkt ein Klatschreporter steht.
Helmut war schon immer von meinem Beruf fasziniert gewesen und von meiner Arbeitsweise, mit einem „Leib-Fotografen“ auf die Jagd zu gehen, wie es heute nicht mehr praktiziert wird, weil die Arbeit meist von Fotoagenturen erledigt wird. Produzent Dohme schießt bei dem Treffen das Wort Kir Royal ins Auge, als er die Speisekarte liest. „Das wird immer mehr zum bevorzugten Getränk der feinen Gesellschaft, nehmen wir doch Kir Royal als Arbeitstitel", schlägt er spontan vor.
Es wird der endgültige Name der Serie. Inzwischen ist das Wort Kir Royal das Synonym für die Münchner Society. Die Dreharbeiten der 7,1 Millionen Mark teuren Serie startet mit Staatsschauspieler Nikolaus Paryla als Baby Schimmerlos. Nach einer Woche bricht Helmut den Dreh ab. Paryla ist entspricht nicht genau dem Typ, den er sich vorstellt.
Beim Durchforsten vieler Filme fällt ihm in einer Nebenrolle Franz Xaver Kroetz auf. „Wer ist denn das?“, fragt er begeistert bei der Vorführung und lässt sich noch andere Filme des Schauspielers zeigen, der mehr als Autor und Dramatiker einen Namen hat. Einen Tag später findet die erste Begegnung zwischen ihm und seinem neuen Hauptdarsteller in einem Gasthaus bei Wasserburg statt, wo Kroetz zu Hause ist. „Lies die Bücher ganz schnell, die Zeit brennt", lautet die Botschaft des Regisseurs, und Kroetz sagt zwei Tage später zu.
Angesichts des Riesenerfolgs plant Dietl, der die Drehbücher zusammen mit dem Schriftsteller Patrick Süskind („Das Parfum“) geschrieben hat, weitere Folgen, doch der WDR-Unterhaltungschef Hannes Hoff hat Angst vor gerichtlichen Klagen. Es kommen aber keine. Eine Reihe beleidigter Leberwürste macht sich bemerkbar, weil sie ignoriert wurden.
Klar ist: Baby Schimmerlos und sein Fotograf Herbie (verkörpert von Dieter Hildebrandt) stellen das Berufsbild des Schreibers dieser Zeilen und seines damaligen Fotografen Franz Hug dar, biografisch besteht aber keine Identität mit mir. Mutter (Erni Singerl), Freundin (Senta Berger) und Sekretärin (Billie Zöckler) stammen aus der Fantasie-Schatulle des Regisseurs, die verfilmten Kir-Royal-Begebenheiten stammen aus dem Notizbuch des Klatschreporters, der für diese „Sonderrecherchen“ offiziell vom WDR honoriert wird.
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Helmut Dietl ist später selbst Kir Royalist geworden. Die Szenen, die er in den 80er Jahren satirisch mit der sechsteiligen TV-Serie beleuchtete, haben ihn eingeholt. Man muss sich nur mal das Privatleben des „Schwabinger Al Pacino“ ansehen. Helmut ist allerdings kein Freund von Partys, sondern leidet lieber unter seinen eingebildeten Krankheiten bei einer Tasse Pfefferminztee und einer Zigarette.
Er ist viermal verheiratet gewesen, doppelter Opa und ein drittes Mal Vater. Mit seiner jetzigen Frau Tamara, die nicht mehr von seiner Seite rückt, um alle Versuchungen auszuschließen, hat er Tochter Serafina. Seit die junge Dame im Haus lebt, leidet die Dietlsche Hackordnung etwas. Der champagnerfarbene Golden Retriever „Coco“ zog den Kürzeren. Er muss ins Tierheim, wenn die Dietls verreisen und darf nicht mehr an seinem angestammten Platz in der Besucherritze des Ehebetts schlafen.
Helmut Dietl liebt vor allem Frauen, die man mit zwei Händen anfassen muss. In seiner erotischen Pionierzeit teilt er erste heiße Erfahrungen mit der österreichischen Prominentenwirtin Lilly Unterberger, dann folgt das Münchner Original Elfi Pertramer. Acht Jahre ist er dann mit Karin Wichmann verheiratet. Zum flächendeckenden Lobby-Denken Dietls gehört die Liaison mit Filmassistentin Marianne Denler, die ihm Sohn David schenkt. Ein zweites Mal heiratet er, als ihm Busenwunder Barbara Valentin über den Weg läuft.
Sechs Jahre sind sie Mann und Frau, wobei die Ehe gelegentlich durch eine Münchner Schauspielerin bereichert wird. Nach etlichen Affären bringt ihm die Französin Denise Cheyresy die dritte Eheschließung ein. Veronica Die Ferres schafft das danach nicht, aber ein paar Jahre später Tamara Duve, die Tochter des Publizisten und SPD-Politikers Freimut Duve. Sie wird Ehefrau Nummer 4.
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Der blendend aussehende Pierre Brice hätte längst in Hollywood seinen Weg machen müssen. Aber Winnetou klebt an Deutschland. Er heiratet die schöne Münchnerin Hella, eine von lebhaften Drillingsschwestern, mit der er seit vielen, vielen Jahren eine skandalfreie Ehe führt. Sie demonstrieren mit Klasse ihre Harmonie.
Kein Seitensprung wurde je bekannt. Sie genießen es gemeinsam, wenn sie schon mal den grauen Ehealltag verlassen. Zufällig komme ich dahinter. Ich sitze an der Bar des feudalen Swingerclubs Cleopatra, ein versteckt gelegenes Etablissement in der Pariser Rue d'Italie.
Wenn man den Türsteher überwunden hat, der einen durch das Gitterfenster der schwarzen Lacktüre mustert, ist ein Obolus von 500 Euro fällig. Dann geht es über eine steile Treppe zur Bar, und man taucht in das raffiniert illuminierte Spielzimmer für Erwachsene ein. Es besteht aus einem Restaurant, in dem es Kaviar, ausgezeichnete Flusskrebse, amerikanische Porterhouse-Steaks und Gänseleber gibt sowie einer kleinen Disco, in der alles erlaubt ist, wenn man sich traut, vor den anderen aus sich herauszugehen.
Die Besonderheiten im Cleopatra sind die dezent beleuchteten Räume mit den gepolsterten Billardtischen, geschätzt wegen ihrer idealen Höhe. In unmittelbarer Nähe befinden sich zahlreiche luxuriöse Badezimmer, schwarz, rot oder weiß gefliest. Es gibt eine Knastzelle mit Käfigen und Ketten sowie schwarze Guckkästen in der Größe einer Autogarage. Durch versteckte Schlitze kann man von außen das Treiben anderer Paare beobachten. In dem Club verkehrt nur beste Pariser Gesellschaft mit liberaler Denkweise. Die Herren schlüpfen kaum aus ihren dunklen Anzügen, öffnen nur das Hinderliche. Bei den Damen ist es laut Kleiderordnung erwünscht, die verlockende Natur unter den Röcken nicht mit Textilien zu belästigen.
Ich studiere an der mit Cleopatra-Symbolen überfrachteten Bar bei einem Glas Chivas Cola den kleinen Monitor über dem Tresen. Das flimmernde Bild zeigt Szenen am Eingang, wo die einen Gäste abgewiesen und die anderen überfreundlich empfangen werden.
Auf dem Schirm entdecke ich den graumelierten Chef der mondänen Disco Chez Castel, der mit einer rassigen Dame am Arm nach oben geht. Dahinter taucht, keineswegs schleichend, Winnetou auf. Er ist es, ohne Zweifel. Zusammen mit Frau Hella strebt er die Treppe empor zum himmlischen Vergnügen außer Haus. Obwohl ich beide kenne, drehe ich mich weg, als das Paar die Bar betritt. Ich will ihnen den Spaß nicht verderben, weil sie eventuell annehmen, der Ausflug könne in der Zeitung stehen.
Zunächst beschließe ich, Pierre und Hella aus dem Weg zu gehen. Der Club ist weitläufig genug. Aber dann drängt mich die Neugierde, Winnetou auf dem Pfad von Amor zu beobachten. Sie befinden sich in einer der größeren Liebeslounges, wo sich viele Paare übergreifend gut verstehen. Ich gehe unerkannt.
Zwei Jahre später will es der Zufall, dass die attraktive Hella meine Tischdame bei einem Lunch an der Côte d’Azur ist. Gastgeber ist Berlins Großhotelier Ekkehard Streletzki, der in Grunewald und im Münchner Herzogpark Superhäuser sein Eigen nennt, und am Mittelmeer ein Palais besitzt. Der italienische „Sassicaia“-Rotwein fördert meine Sticheleien.
Ich erzähle ihr, dass ich sie mit Pierre im Cleopatra in Paris gesehen habe und beinahe mit allen Konsequenzen auf sie zugegangen wäre. Wie aus der Pistole geschossen kommt der Satz: „Hättest du es doch gemacht."
Da bin ich sprachlos, einfach platt. Soll sich einer auskennen bei den Frauen. Sie werden für mich immer ein Rätsel bleiben.
Michael Graeter