Zum 70. Geburtstag von Peter Maffay: Rock’n’Roll ist eine Haltung
Bekannt wurde Peter Maffay mit "Du", zu dem er oft die Geschichte erzählt, dass der Fünf-Minuten-Schlager mit Hilfe des Multitalents Michael Kunze 1969 in einer "Nacht-und-Nebel-Aktion" entstanden ist. Der Song lief gut in den Discos – aber kein Radiosender wollte ihn spielen. Bis sich dann doch "die erste Station erbarmte", wie es Maffay ausdrückt. Der damalige Moderator von Radio Luxemburg war Frank Elstner.
Die Single von "Du" ging danach durch die Decke, Dieter Thomas Heck sprang mit seiner "ZDF-Hitparade" auf. Und die Freundschaft zu Frank Elstner hält bis heute. 1983 gründete Peter Maffay seine Red Rooster Studios in Tutzing. Milva hat hier schon Songs eingespielt und Joe Cocker seinen Joint ins Mischpult gebröselt. Hier gibt Peter Maffay sein Interview über das neue Album "Jetzt!", zu 50 Jahren Maffay auf der Bühne und seinem heutigen 70. Geburtstag.
AZ: Herr Maffay, "1.000 Wege" heißt ein Song, der das neue Album als Motto rahmt. Da geht es auch darum, dass man im Leben auch mal Fehler machen darf.
PETER MAFFAY: Die Einsicht, dass man als Mensch unzulänglich ist, und dass manchmal die Kraft nicht ausreicht, um alles zu bewältigen und richtig zu machen, muss in einem erst reifen. Mit den Jahren weiß man aus Erfahrung, dass auch mal etwas schief gehen kann – immer und erst recht mit jetzt 70 Jahren. Ich spiele ja in Berlin live in meinen Geburtstag hinein, auch da kann es bei aller Professionalität einen Aussetzer geben. Vollkommene Perfektion wird man als Mensch nicht schaffen.
Der Song "Größer als wir" – fast unplugged – passt dazu und klingt fast wie aus einem modernen, evangelischen Gesangbuch. Es gibt eben etwas, das größer ist als wir.
Ja, und das gibt eine gewisse Geborgenheit und die Möglichkeit zu einem Dialog, wenn alle anderen Gespräche an ein Ende gekommen sind. Ich bin zwar mit Anfang 20 aus der Kirche ausgetreten, aber habe meinen Glauben nie verloren. Aus dem Austritt ist eine selbstbestimmte Haltung geworden, ein eigenständiger religiöser Trip. Ich fühle mich bei Gott aufgehoben. Auch heute Morgen habe ich mich in die Tutzinger Christuskirche gesetzt. Das mache ich öfter, das gehört zu meinem Lebensrhythmus.
Sie sagen, dass die "ideale Position" für Menschen unerreichbar ist. Sie haben vier Ehen geführt. In der neuen Ballade "100 000 Stunden" geht es auch darum, dass man jemanden verprellt hat, den man eigentlich liebt und neben sich haben will …
Ich habe mir abgewöhnt, über mein Privatleben zu sprechen. Aber natürlich tritt man bei einer Heirat immer mit derselben Absicht an, dass es diesmal richtig ist und für immer funktioniert. Sonst würde man es nicht machen. Doch selbst bei einem guten Ausgangspunkt bleiben wir ja nicht stehen. Wir entwickeln uns weiter, und das kann zu Spannungen und – trotz vieler Rettungsversuche – zum Bruch führen, ohne dass einer der Partner deshalb schuld sein muss. Man darf dann dem anderen und sich selbst nicht die Perspektive verbauen, neu und anders in seinem Leben weiterzumachen.
Peter Maffay: Rock 'n' Roll hat mit Alter nichts zu tun
Im Video zur Entstehung des Albums "Jetzt!" sagen Sie: "Musik kann nicht erkämpft werden." Das klingt, als ob sie einem wie Ihnen zufliegt.
Naja. Ich habe heute um 10 Uhr mit meinen Musikern mit den Proben für das Konzert in Berlin begonnen. Da saß ich aber zuvor schon mehr als eine Stunde mit meiner Gitarre und den Playbacks im Studio und habe geübt, um mir die Abläufe draufzuschaffen, um alles zu vertiefen. Ich habe mir vorgenommen, täglich das ganze Album zweimal ganz durchzuspielen. Das muss ich mir geben, um fit zu sein. Und das ist eben auch Kampf, wenn ich um 8 Uhr morgens schon einen auf Rock‘n‘Roll machen muss, weil danach ja noch so viel anderes ansteht, dazwischen und dazu kommt: organisatorische Vorbereitungen, Mails beantworten, Telefonate, der Geburtstag und alles andere – auch das Private natürlich.

Aber Kreativität kann man nicht erkämpfen.
Nein, aber durch Suggestion, Training und Konzentration kann man die Voraussetzungen dafür schaffen. Das gilt für jemanden wie Thomas Mann und seine genau abgezirkelte Zeit am Schreibtisch genauso wie für einen 100-Meter-Läufer, der zwar Talent haben muss, aber eben auch eisern trainiert. Und in der Musik ist das auch die harte Grundlage für das wunderbar Spielerische, das dann entsteht. Man merkt, dass man sich nicht mehr anstrengt und die Ideen wie von selbst kommen.
Ist Rock’n’Roll-Musik eine Altersfrage?
Manche Stilistiker und Kritiker finden ja: Für mich ist das ‘ne überholte Form. Rock’n’Roll ist nicht an Musik oder Töne gebunden, sondern eine Haltung, die man von Punk bis Rap, ja in allen Stilrichtungen und Lebensstilen finden kann, die was mit der Straße zu tun haben.
Aber wenn man reich geworden ist, wie verhindert man dann, dass man nicht verspießt?
Mir geht es gut, und ich könnte das Gegenteil von Rock‘n‘Roll geworden sein. Das ist die Gefahr: Dass man zu einer Karikatur seiner selbst oder eines Rock‘n‘Rollers wird. Ich bekämpfe das durch Disziplin und einen kritischen Umgang mit mir selbst. Wenn ich auf die Waage steige und der Zeiger zu weit ausschlägt oder ich merke, dass das Gewicht quasi schon im Gehirn angesetzt hat, meine Konturen verschwinden und Trägheit droht, dann ergreife ich so gut ich kann Gegenmaßnahmen.
Ihr neuer Song "Für immer jung" zitiert viele Hits aus Jahrzehnten.
Klar sehe ich am Morgen im Spiegel auch 70 Jahre. Aber "jung" hat etwas mit Frische zu tun, und da gibt es im Laufe eines Tages bei mir eben auch viele "junge" Phasen oder Momente, das Sandkastenspiel, das Spiel "Lederjacke anziehen", auf die Bühne gehen. Es ist Wahrheit und Spiel. Für mich bleibt der Maßstab, ob man ein Rock‘n‘Roller ist, der Bruch mit der Konvention! Dass man dem Establishment, in dem ich mich natürlich auch befinde, nicht verfällt. Also versuche ich, mich mit Menschen zu umgeben, die Kritik üben – auch an mir, die unkonventionell sind, auch politisch unangepasst.
Also ist Rock‘n‘Roll jedenfalls anti-konservativ?
Mit Sicherheit. Und mit fast 70 Jahren noch mal ein Kind zu haben, provoziert natürlich auch konservative Kommentare. Aber ich passe mich da nicht an, Konvention interessiert mich nicht, nur meine Verantwortung. Und was die Gesellschaft anbelangt, gilt für mich: Sie kann, ja muss verändert werden. Wir müssen kämpfen gegen die Klimakatastrophe, gegen ein neues Wettrüsten und gegen die gefährlichen neuen Rechten. Es gibt eigentlich alles: Intellekt, Erfahrung, menschliche Kompetenz und Bildung. Nur muss man das europäisch und international koordinieren und gegen Egoismen, Profitgier, Lobbyismus vorgehen, die das alles verhindern. Ich vertrete das schon sehr lange und hoffe, in diesem Sinne ein glaubwürdiger Rock‘n‘Roller sein – und das erzähle ich auch im Song "Jetzt!"
Sie gelten als SPD-nahestehend. Warum kandidieren Sie nicht für den Vorsitzenden?
Da gibt es Bessere. Die Geschichte hat gezeigt – egal wie groß die Basis einer Partei ist: Es braucht immer starke Persönlichkeiten, die Meinungen und Ideen bündeln, begeistern und letztlich verständlich in eine klare Richtung führen, auch gegen Widerstand: Schmidt, Brandt, Wehner waren solche großen Charaktere. Sie gaben der Partei Profil. Aber ich frage mich heute immer: Wie viel Widerstände muss einer in unserer Gesellschaft durchbrechen, wenn er einen guten, gerechten Gesellschaftsentwurf hat, bis er die nötige Macht bekommt, um ihn umzusetzen? Demokratie müsste ja Kräfte für das Richtige freisetzen anstatt zu blockieren. Die Grünen segeln gerade gut im Zeitgeist, auch weil sie ihr Kernthema wie Ökologie nie verlassen haben, und da könnte Realisierung möglich werden – und das hoffen die Menschen und wählen sie.
CD: "Jetzt!" (Sony), seine Tour führt Peter Maffay am 20. März 2020 in die Olympiahalle
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