Wird Talent vererbt?

Nicht nur Kitzbühel-Gewinner Felix Neureuther tritt in die Fußstapfen seiner Eltern – auch bei anderen Prominenten fällt der Apfel offenbar nicht weit vom Stamm. Experten über ein altes Rätsel
Es muss weiß und schneeballförmig sein: das „Ski-Gen“, das irgendwo in Felix Neureuthers Körper herumwedelt, das ihm seine erfolgreichen Eltern vor 25 Jahren vererbten, und das den Filius am Wochenende geradezu zwangsläufig zum Sieg in Kitzbühel führte, führen musste. Der Mythos von der Allmacht guter Gene erlebt nach Neureuthers Triumph wieder einmal eine Renaissance.
Denn gibt es nicht tatsächlich auch in anderen Branchen Beweise für die alte Redensart, dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt? Da ist doch zum Beispiel Laila Ali, die wie einst ihr Vater Muhammad Ali in den Boxring steigt. Da ist Mercedes-Pilot Nico Rosberg, Sohn von Ex-Formel-1-Weltmeister Keke. Da ist Moritz Bleibtreu, bei dem nicht nur Mutter Monica Schauspielerin war, sondern auch Vater Hans Brenner und Urgroßtante Hedwig auf der Bühne standen. Und da ist, unter vielen hundert anderen möglichen Beispielen, die Münchnerin Hannah Herzsprung, die mit ihrem Vater Bernd nicht nur den Nachnamen, sondern auch den Beruf teilt.
Sind das lauter Zu- und Einzelfälle? Und welche Rolle spielen Faktoren wie Erziehung und Genetik wirklich?
Darüber rätseln Experten schon lange: „Die meisten Kinder von Prominenten sehen, dass ihre Eltern besonders viel Zeit mit Arbeit verbringen – das ist schonmal ein wichtiger Punkt“, sagt die Münchner Diplom-Psychologin Dorothea Böhm. Eine weitere Frage sei dann, ob die Eltern es schaffen (wollen), den Nachwuchs für ihr Können zu begeistern und zur Identifikationsfigur zu werden. „Unter diesen Voraussetzungen kann es dann tatsächlich passieren, dass der Nachwuchs in die Fußstapfen zu treten versucht – wenn auch mit stark unterschiedlichem Erfolg!“
In der Musik sei die Nachahmung am schwersten, weil dort die Begabung am größten sein müsse, sagt Böhm. Im Sport und im Schauspiel sei dagegen ein Ausgleich durch Willen und Fleiß möglich.
Intelligenz zu 60 bis 70 Prozent erblich
Aber sind Willen und Fleiß überhaupt erforderlich, wenn einem die besonderen Fähigkeiten ohnehin in die Wiege gelegt wurden? „Für einzelne Talente wie Skifahren oder Schauspielern spielt die genetische Veranlagung keine Rolle“, stellt der Ulmer Genetiker Professor Horst Hameister klar. „Wir können lediglich allgemein für Intelligenz eine Aussage treffen, und hier lässt sich belegen, dass der größere Anteil, etwa 60 bis 70 Prozent, leider erblich ist.“ Nur die restlichen 30 bis 40 Prozent würden durch Faktoren wie Erziehung und frühkindliche Erfahrungen beeinflusst.
Talent sein hingegen sei anders als Intelligenz eher „ein Glücksfall“ und keine Sache der Vererbung.
Der Tübinger Sportwissenschaftler Hartmut Gabler fand heraus, dass Sportler immerhin gewisse „körperliche und koordinative Voraussetzungen“ von ihrer Eltern mitbekommen können. Diese würden jedoch nichts nützen ohne „maximale Umwelt- und Förderbedingungen“, so Gabler.
Konkret heißt das wohl: Ein im schneearmen Mallorca aufgewachsener Felix Neureuther hätte den Hahnenkamm wohl allenfalls als Tourist besucht. Und ein Jimi Blue Ochsenknecht wäre ohne Förder-Vater Uwe wahrscheinlich nur ein einfacher Junge mit sonderbarem Vornamen.
Aber ein Boxer-, Schauspieler- oder Skifahrer-Gen? „Sowas gibt’s wirklich nicht“, urteilt Fachmann Professor Hameister und macht damit Felix Neureuther indirekt das größte Kompliment: Er hat es in Kitzbühel ganz allein geschafft.
Timo Lokoschat