Was ist schön?

Sind die Dicken die neuen Dünnen – oder bedeutet Schlanksein auch Jungsein? Viele Fragen, auf die eine neue Ausstellung in Dresden Antworten gibt. Was Betroffene und Experten sagen.
Da war nicht nur der Hansi Hinterseer platt: Die 190-Pfund Sängerin Beth Ditto (29) rockte mit ihren runden Hüften und schrägen Show den „Wetten-dass?“ -Samstag Abend (siehe S. 1). Derzeit ist die 29-Jährige nicht nur auf internationalen Bühnen, sondern auch auf Magazincovern dick im Geschäft. Ein erfrischendes neues Vorbild für alle Frauen ohne Modelmaße! Auch Oscarpreisträgerin Mo’Nique („Precious“) reckte kürzlich in Los Angeles stolz den Oscar und ihre Speckröllchen in die Kamera.
„Toll!“, sagen die einen. „Hässlich!“, meinen die anderen, für die Models das Maß der Schönheit sind. Aber sind klapperdürre Frauen mit eingefallenen Gesichtern und hervortretenden Beckenkochen heute tatsächlich schön? Wer bestimmt das eigentlich?
Um die Frage „Was ist schön?" geht’s auch in der neuen Ausstellung des deutschen Hygiene Museums in Dresden, die bis zum 2. Januar 2011 gezeigt wird. „Schönheit ist zum allgegenwärtigen Thema unserer Lebensführung geworden — als verführerisches Versprechen oder unerreichbarer Wunschtraum“, erklärt Kuratorin Doris Müller-Toovey. „Bis ins 20. Jahrhundert war Schönheit ein Thema der Philosophie, der bildenden Künste und der Geisteswissenschaften, inzwischen ist die gesamte Lebenswelt einer Ästhetisierung unterworfen.“ Und es stimmt: Wir beschäftigen uns jeden Tag mit unserem Aussehen, quälen uns in Fitnessstudios und kaufen Anti-Falten-Cremes. Immer das heutige Schönheitsideal vor Augen: faltenfreie junge Haut, straffe Figur. „Dabei sollten wir viel gelassener sein!“, sagt der Pressesprecher Herr Wiggender. Dieses Gefühl soll der Besucher beim Verlassen der Ausstellung haben: „Unsere Sammlung soll zeigen, dass man mit einer größeren Nase oder runden Hüften keineswegs ein minderwertiger Mensch ist."
Auf den Fotografien des Künstlers Martin Schoeller sieht man beispielsweise Brad Pitt und Angelina Jolie in Großaufnahme vor sich. Die Bilder zeigen Stars in so extremer Nahsicht und Ausleuchtung, dass der Betrachter ganz überrascht ist. So sieht Angelina also unretuschiert aus - sehr gut, keine Frage. Doch die Falten auf ihrer Stirn beweisen dem Betrachter und Normalbürger, dass kein Mensch perfekt ist. Wiggender sagt: „Diese Bilder zeigen dem Besucher, dass Schönheit gemacht, und nicht natürlich ist.“
Einige lebensgroße Modelle zeigen anschaulich, wie sich das Schönheitsideal in den letzten Jahrhunderten gewandelt hat: Im dritten Jahrhundert vor Jesus Christus galten weibliche Formen und Natürlichkeit als schön, was die wohlgerundete Venus von Medici beweist. Direkt daneben stehen heutige Schönheitsideale in ihrer extremsten Form: Barbie und Lara Croft.
Das perfekte Gesicht - gibt es dieses tatsächlich? In der Ausstellung erblickt man zwei makellose Gesichter: jung, faltenlos, mit ebenmäßigen Gesichtszügen. Doch wie beruhigend: Diese Frau und dieser Mann existieren nicht. Sie wurden im Laufe der Studie „Beautycheck“ von einem Computerprogramm erstellt, und zeigen die Prototypen zweier nach heutigen Maßstäben sehr attraktiven Gesichter.
Die beiden wirken so glatt und makellos, dass es schon beinahe langweilig ist. Keine Auffälligkeit, die man bemerken könnte, keine süßen Leberflecken oder Sommersprossen. Dabei machen diese einen Menschen erst interessant. Das findet auch Louisa von Minckwitz, die Chefin der großen Modelagentur Louisa Models.
„Solche „Schönheitsfehler“ sind keine Schönheitsfehler! Erst letzte Woche haben wir ein reizendes junges Mädchen mit Zahnlücke in unsere Kartei aufgenommen." Minckwitz habe den Trend zu weiblichen Rundungen sogar auf den Laufstegen beobachten können: „Auf den Schauen in Paris liefen jetzt Models wie Laetitia Casta und Elle Macpherson. Weiblichen Frauen mit Busen und Hüften sind wieder gefragt! Und ich glaube, dass dieser Trend anhalten wird.“
Durch die extrem schlanken Model-Vorbilder der vergangenen Jahre fühlten sich viele Frauen unter Druck gesetzt. Einige hungerten sogar, um genauso schlank zu sein. „Models geben das heutige Schönheitsideal vor, sie stehen für Attraktivität und Erfolg,“ weiß Dr. Leibl, Chefarzt der Klinik Roseneck am Chiemsee und Spezialist zum Thema Magersucht. Schuld daran seien auch die Komplimente, die Frauen erhalten, wenn sie abnehmen. „Manche denken dadurch, dass sie immer mehr Beachtung finden, je schlanker sie werden.“
Was für ein Irrglaube! Denn Männer von heute schwärmen nicht für Magermodels, sondern für kurvige Frauen wie Marilyn Monroe. Beth Ditto bringt es auf den Punkt. „Schönheit definiert man selber.“ Jennifer Köllen