Warum die Deutschen so verrückt nach ihr sind

Königinnen mag es so einige geben. Aber es gibt nur eine Queen. Wenn sie Deutschland besucht, schlägt sie Millionen in ihren Bann. Woher kommt diese Begeisterung für eine im Grunde genommen eher unauffällige ältere Dame?
von  az/dpa
Die Deutschen sind verrückt nach der Queen.
Die Deutschen sind verrückt nach der Queen. © dpa

Berlin - Sie ist 89 Jahre alt, Handtaschenträgerin und mehrfache Uroma. Sie sagt nicht allzu viel und verfügt, soweit bekannt, über keine herausragenden Fähigkeiten.

Aber sie ist eben englische Queen, und allein aufgrund dieser Tatsache versetzt sie ganze Völkerscharen in Entzücken. Ganz besonders die Deutschen. Denn Elizabeth Windsor und ihre lieben Verwandten sprechen gleich mehrere deutsche Sehnsüchte an:

DIE SEHNSUCHT NACH DER MONARCHIE: "Die Krone fiel - wer wird denn weinen?", fragte Kurt Tucholsky, als die Deutschen ihren eigenen Royal Kaiser Wilhelm 1918 ins Exil schickten. Aber es fehlte dann doch was. Für Hans-Dieter Gelfert, Autor zahlreicher England-Bücher, ist es offensichtlich, "dass die Deutschen ihre latente Sehnsucht nach der Monarchie auf die britische Krone projizieren". In einer Wettbewerbsgesellschaft zählen Monarchen zu den wenigen Menschen, die man bewundern kann, ohne sich unterlegen zu fühlen, denn, so Gelfert zur Deutschen Presse-Agentur: "Als König bzw. Königin wird man geboren - oder auch nicht."

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DIE SEHNSUCHT NACH KULTURELLER EINHEIT: Die Queen bildet den kulturellen Mittelpunkt Englands. Die Engländer empfinden auf diese Weise eine Verbundenheit mit ihren Landsleuten, die sich zum Beispiel in zahllosen privat organisierten Straßenfesten zu den Thronjubiläen manifestiert. Die Deutschen erleben ein solches Gemeinschaftsgefühl wohl nur bei Erfolgen der Fußball-Nationalmannschaft.

DIE SEHNSUCHT NACH DER KLASSENGESELLSCHAFT: Die Fernsehserie "Downton Abbey", ein weltweiter Exportschlager, zeigt das spätfeudale Herrschaftsbiotop einer englischen Adelsfamilie. Der Erfolg der Serie lässt sich wohl nur erklären mit einer geheimen Sehnsucht vieler Menschen nach der damaligen Gesellschaft, in der jeder seinen Platz kannte. Das Symbol dieses Modells ist die Königin von England, die zu berühren bis heute tabu ist.

DIE SEHNSUCHT NACH STIL: Viele Deutsche bewundern die englische Aristokratie für ihren Stil. Diese ganzen manierierten Sprach- und Verhaltenscodes, dieses unnachahmliche Original-Geschnösel der Upperclass, aber auch der trockene Humor. Man denke nur daran, was englische Queen einmal zu einer bürgerlichen Gesprächspartnerin sagte, deren Handy während ihrer Unterhaltung unaufhörlich klingelte: "Sie sollten rangehen. Vielleicht ist es jemand Wichtiges."

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DIE SEHNSUCHT NACH DEM ZEREMONIELL: Die Deutschen lieben das britische Königshaus nicht zuletzt für "Pomp and Circumstance" - und übertragen deshalb jede sich bietende Hochzeit oder Beerdigung live auf mehreren Kanälen. "Es gibt eine Sehnsucht nach dem Zeremoniell", sagt der britische Botschafter Simon McDonald im dpa-Interview.

DIE SEHNSUCHT NACH MORALISCHER INTEGRITÄT: Die britische Monarchie ist ein Big-Brother-Haus, aus dem man nie wieder rauskommt. Die Mitglieder dieser Familie stehen unter ständiger Medienbeobachtung, und das ist der zwischenmenschlichen Beziehung nicht unbedingt förderlich. Bekanntermaßen ist im Laufe der Jahre so einiges in die Brüche gegangen. Die hormonell gesteuerten Wirrungen des Windsor-Clans haben der Rest-Welt schon viele heitere Stunden im ärztlichen Wartezimmer beschert - wobei sich englische Queen nie etwas zuschulden kommen ließ. Sie ist immer ein moralisches Vorbild geblieben.

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DIE SEHNSUCHT NACH KONTINUITÄT: 1953 war das Jahr, in dem Josef Stalin starb, ein VW Käfer 4200 Mark kostete und der 1. FC Kaiserslautern Deutscher Fußballmeister wurde. So ziemlich alles hat sich seit damals geändert - nur nicht die Frau auf dem britischen Thron.

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