Waris Dirie: So kämpft das Topmodel gegen Genitalverstümmelung

Waris Dirie floh mit 14 Jahren aus Afrika und feierte eine Karriere als Topmodel. Jetzt kämpft sie gegen weibliche Genitalverstümmelung.
(hub/spot) |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Safa und Waris Dirie
Droemer Knaur Safa und Waris Dirie

Waris Dirie floh mit 14 Jahren aus Afrika und feierte eine Karriere als Topmodel. Jetzt kämpft sie gegen weibliche Genitalverstümmelung - und die Unversehrtheit des Mädchens, das sie in ihrer Autobiografie verkörperte. Wie es Safa heute geht, verrät Dirie im Interview mit spot on news.

Berlin - Waris Dirie, geboren 1965, kann auf eine außergewöhnliche Lebensgeschichte zurückblicken: Mit 14 Jahren floh sie aus ihrer Heimat Somalia. In London schlug sie sich mit Gelegenheitsjobs durch, wurde als Model entdeckt und zu einem der großen Stars in der Branche. Heute kämpft sie mit der "Desert Flower Foundation" weltweit gegen weibliche Genitalverstümmelung (FGM). Ihre Autobiografie "Wüstenblume" wurde ein internationaler Bestseller.

Waris Diries Buch "Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume" gibt es hier

In der Verfilmung des Buches spielt Safa, die aus einer bitterarmen Familie in Dschibuti stammt, die Rolle der kleinen Waris Dirie. Die Szene, in der das kleine Mädchen gewaltsam beschnitten wird, bringt die Menschen in den Kinos weltweit zum Weinen. In Wirklichkeit ist Safa noch unversehrt. Umso entsetzter ist Waris Dirie, als sie erfährt, dass ihre Verstümmelung unmittelbar bevorsteht. Und sie setzt alles daran, um das Mädchen vor diesem grausamen Schicksal zu bewahren. Ihren Kampf um das Mädchen hat Waris Dirie in dem Buch "Safa" (Knaur, 320 Seiten, 19,99 Euro) niedergeschrieben. Der Nachrichtenagentur spot on news hat sie verraten, wie es dem Mädchen heute geht.

Frau Dirie, Safas Großmutter, mit der sie unter einem Dach lebt, ist selbst Beschneiderin. Droht von ihr noch Gefahr für das junge Mädchen?

Waris Dirie: Nein, da steht für die Familie zu viel auf dem Spiel. Wenn Safa etwas angetan wird, dann streiche ich ihnen die gesamte Unterstützung. Zudem waren auch Regierungsvertreter bei der Familie und haben ihnen Gefängnis angedroht, falls Safa etwas zustößt.

Der Vater von Safa hat sich entschlossen, sich der "Desert Flower Foundation" anzuschließen, nachdem er auf seiner Europa-Reise erfahren hat, wie schlimm die Genitalverstümmelung für Frauen ist. Konnte er in seiner Heimat anderen Männern die Augen öffnen?

Dirie: Ja, er arbeitet ja jetzt auch für die "Desert Flower Foundation". Am Anfang war er allerdings sehr skeptisch und wir hatten harte Diskussionen.

In Ihrem Buch schreiben Sie von Ihrem Plan, afrikanische Familien dadurch von Beschneidungen ihrer Töchter abzuhalten, dass sie dafür finanzielle Unterstützung bekommen. Die Mädchen sollen als Gegenleistung regelmäßig von Ärzten untersucht werden, um ihre Unversehrtheit zu bezeugen. Wie läuft das Projekt bisher?

Dirie: Es haben sich in den letzten Tagen bereits über 100 Menschen gemeldet, die Patenschaften übernehmen wollen. Bis zum Jahresende werde ich mein Ziel, 1000 Mädchen mit Patenschaftsverträgen zu retten, erreichen. Wer jetzt Pate werden möchte, findet alle Informationen auf meiner Webseite: www.desertflowerfoundation.org

In Ihrem Buch erzählen Sie auch die Geschichte von Inab. Nachdem sie sich lange gewehrt hatte, wurde sie mit 13 Opfer von FGM, konnte aber ihre beiden jüngeren Schwestern vor diesem Schicksal bewahren. Inab sollte in Berlin, wo sie eine Krankenstation für betroffene Frauen einrichten konnten, operiert werden. Dort werden unter anderem Operationen zur Klitoris-Rekonstruktion angeboten. Wie geht es ihr heute? Sind ihre Schwestern weiter unversehrt?

Dirie: Inab arbeitet mittlerweile auch für die "Desert Flower Foundation" und leitet unser Projekt "Wir retten 1000 Wüstenblumen". Durch die Operation hat sie enorm an Selbstbewusstsein gewonnen und ist heute eine echte Powerfrau oder Wüstenblume, wie ich sage. Ihre Schwestern sind natürlich unversehrt.

Sie prangern in "Safa" auch an, dass Politiker in Sachen Genitalverstümmelung zu viel reden und planen, aber zu wenige Taten folgen lassen. Sehen Sie da inzwischen eine Veränderung?

Dirie: Wissen sie, mit Politikern ist es so: Wenn der öffentliche Druck groß ist, dann wird etwas getan. Von alleine tun Politiker nie etwas. Deshalb brauchen wir großen Druck von den Seiten der Medien und der Wähler.

Sie schreiben, dass es Sie immer wieder belastet hat, wenn Sie in Interviews auf Ihre eigene Genitalverstümmelung und Ihr Sexualleben angesprochen worden sind. Haben Sie es jemals bereut, mit Ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen zu sein?

Dirie: Nein, ich habe es nie bereut. Es war meine Entscheidung und es ist meine Mission, dass dieses Verbrechen, von dem allein in Afrika 30 Millionen Mädchen betroffen sind, endlich ein Ende findet.

In "Safa" beschreiben Sie, wie die kleine afrikanische Reisegruppe bestehend aus Safa, ihrem Vater und Inab zum ersten Mal nach Europa kommt und wie die drei diese andere Kultur erleben. Wie haben Sie selbst Ihre erste Zeit in Europa erlebt?

Dirie: Ähnlich wie Safa, ihr Vater und Inab, man kommt in eine völlig fremde Kultur, sieht Dinge, die man vorher nie gesehen hat. Egal ob Rolltreppen oder Flugzeuge von innen. Es ist am Anfang ein richtiger Schock, gleichzeitig kommt man aus dem Staunen nicht heraus.

In "Safa" ist auch ein Thema, dass viele Afrikaner in der Flucht nach Europa ihre einzige Hoffnung sehen. Sie selbst gelten durch Ihre Modelkarriere für viele afrikanische Frauen als großes Vorbild. Ist es für Sie auch belastend, dass viele Mädchen aufgrund Ihrer Lebensgeschichte denken, nur in Europa könne etwas aus ihnen werden?

Dirie: Keine Frage. Aufgrund der schlechten Lebensbedingungen vieler junger Menschen in Afrika, haben viele das Ziel, nach Europa auszuwandern, um Arbeit zu finden. 500 Millionen Afrikaner/innen sind unter 16, das ist die Hälfte der afrikanischen Bevölkerung. Sie sehen auf ihrem Kontinent kaum Perspektiven. Deshalb träumen alle von Europa. Afrika braucht Investitionen in die Wirtschaft, um Arbeitsplätze zu schaffen. 70% der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche in Afrika liegt brach. Wenn man diese Fläche bewirtschaftet, kann Afrika sich nicht nur selbst ernähren, sondern kann die ganze Welt ernähren.

Sie leben in Europa - können Sie sich vorstellen, irgendwann ganz nach Afrika zurückzukehren?

Dirie: Natürlich, ich fahre jedes Jahr nach Afrika und bleibe mehrere Monate. Dann fahre ich aber wieder nach Europa. Jetzt gerade nach Asien. Ich bin einfach Nomadin und wie heißt es - einmal Nomadin, immer Nomadin.

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.