Vor dem P1: Die schönste Schlange der Nacht

MÜNCHEN - Früher hieß es übers P1: „In ist, wer drin ist“. Da lief der Laden. Jetzt – nach der Neueröffnung – soll es darum wieder ganz exklusiv zugehen. Viele werden abgewiesen. Die AZ sieht sich um.
Nicht mal Guccio Gucci hat geholfen. Eine halbe Stunde haben Christian und seine Freunde in dieser kalten Samstagnacht gewartet. Vergeblich. Bei den Türstehern war Schluss
Den drei Männern um die 25 mit Designer-Schals von Gucci, Gutti-Gel-Frisuren und ihrer langbeinigen, blonden Begleiterin fällt es schwer, nach der Niederlage die Contenance zu bewahren. „Wir wurden noch nie vor einem Club abgewiesen. Die Türsteherin war so unfreundlich. Die sucht die Leute nur danach aus, ob ihr das Gesicht passt“, sagt Christian. Gerade so laut, dass es die umstehenden Gäste nicht mitbekommen.
Eine Abfuhr, wie peinlich. Ein Foto für diese AZ-Reportage? Lieber nicht.
Es ist eine halbe Stunde nach Mitternacht. Christian und die anderen wollen jetzt ins „Baby“. Und dort die „paar Tausender“ lassen, die sie sonst im P1 verfeiert hätten, wie sie sagen. Abgang für den Gucci-Schal.
Münchens begehrtester Club
Die anderen können noch hoffen: auf Einlass in Münchens begehrtesten Club.
Eine Woche nach der Eröffnung des für drei Millionen renovierten P1 (es war der mittlerweile fünfte Umbau innerhalb von 25 Jahren) ist es wieder wie früher, in den Achtzigern und Neunzigern. Zumindest für diesen Abend scheint in Deutschlands berühmtestemNachtclub wieder die alte Regel zu gelten: „In ist, wer drin ist“.
Wer reinkommt, das regelt Katharina Uhr. Sie steht mit Wollmütze im Menschenknäuel zwischen den Absperrgittern und ruft: „Egal, was ich sage, es ist nicht persönlich gemeint.“ Wie eine Entschuldigung klingt das nicht, eher wie eine Durchsage am Bahnsteig.
Mit zwei baumhohen Kollegen regelt Katharina Uhr den Einlass. Häppchenweise dürfen Auserwählte passieren. Um ein Uhr pressen sich etwa 60, 70 Menschen gegen die metallenen Absperrgitter vor dem Club. Wer es schon geschafft hat, beobachtet die Momente von Sieg oder Niederlage mit einem Longdrink in der Hand. Draußen wird in der Kälte geraucht, getratscht – und vor allem gedrängelt.
Fotografieren unerwünscht
Als jemand am Eingang die Kamera des AZ-Fotografen bemerkt, kommt gleich die Ansage der Geschäftsleitung: fotografieren nicht erwünscht.
Dabei hat P1-Gesellschafter Franz Rauch doch eben in der Abendzeitung angekündigt, dass die Neueröffnung solche Folgen haben würde: „Wir haben für insgesamt 600 Gäste Platz“, hat Rauch gesagt, „wir werden also viel exklusiver als früher.“
Das P1 hat Konkurrenz bekommen
Der Ruf, die härteste Tür der Stadt zu haben, hat das P1 Mitte der 80er Jahre so groß und begehrt gemacht. Aber zuletzt ist das eben anders gewesen. Das „Baby!“, „8Seasons“ und andere scheinbar zumindest kurzfristig hippere Locations liefen der legendären Disco den Rang ab. Das P1 galt als Laden für günstige junge Damen, die sich gern von älteren Männern auf eine Partynacht mit Option auf Beischlaf einladen ließen. So zumindest das Klischee.
Das soll sich jetzt ändern. Der Eintritt ist nach wie vor frei. Und das Spiel zwischen Gast und Türsteher am Einlass bleibt das Gleiche
Wer früh kommt, hat bessere Chancen, wer – wie Christian und seine Freunde – in einer Gruppe (noch dazu mit Männerüberschuss) hinein möchte, fast keine.
Die richtigen Leute kennen
Andere müssen sich darüber keine Sorgen machen. Das P1 ist exklusiv, klar. Doch es geht immer noch exklusiver. Wer die richtigen Leute kennt, darf selbst im Jogginganzug rein und erntet bitterböse Blicke der Menge. Ausgewählte Gäste steuern ihre hochmotorigen Sport- oder Geländewagen (entweder schwarz oder weiß, das könnte Zufall sein oder ein ungeschriebenes Gesetz) bis kurz vor den Eingang der Disco. Ein freundlicher Sicherheitsmitarbeiter öffnet die Tür, und während die mit Küsschen begrüßte Dame im Pelzjäckchen an den Wartenden vorbei in den Club stöckelt, parkt er schon mal den Wagen um.
Renee und Genevie sind mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gekommen. Sie haben sichmit einer Freundin verabreden: mal schauen, wie es im neuen P1 so ist. „Wir haben uns aufgebrezelt. Sonst kommen wir ja nicht rein“, sagt Renee. „Aber als Frauen haben wir eigentlich überall gute Chancen.“
Sieht so also ein typischer P1-Gast aus? Die blonde Frau mit den flachen Schuhen und der pinken Wollmütze wirkt nicht so. „Eigentlich sind mir die Leute da drin zu Schickimicki, die achten total auf ihr Äußeres“, sagt Renee. Üblicherweise würde sie ja mit Freundinnen im Glockenbachviertel oder der Maxvorstadt unterwegs sein – „da weiß ich, wo ich hingehe“.
Und günstiger sei es dort auch. Aber im P1 wollen sie ja auch eher schauen, als die Getränke im Wert eines Gebrauchtwagens ordern. „Ein, zwei Drinks reichen, wir haben vorgeglüht“, sagen sie. Sich von Männern einladen lassen: auf keinen Fall. „Hauptsache, die Stimmung ist gut und die Leute sind locker.“ Was, wenn sie nicht rein kommt? „Egal, das würde mir nichts ausmachen.“
Aus dem Bauch des Unterbaus im Haus der Kunst hallen die Bässe an die Oberfläche. Es ist halb zwei, die Menschentraube wird immer größer. Und man darf schon annehmen: Die Dichte an schönen Menschen dürfte in dieser Nacht nirgendwo in München höher sein als hier
Auf dem Gehsteig vor der Prinzregentenstraße spucken die Taxis nun fast im Sekundentakt junge Frauen mit kurzen Röcken samt Begleiter aus. Sicherheitskräfte patrouillieren mit Hunden. Jeder, der nicht hierher zu gehören scheint, wird kritisch beäugt.
Rotes Minikleid, Stöckelschuhe
Jetzt haben Nicole und ihre Freunde den großen Auftritt. Rotes Minikleid, Stöckelschuhe, wolllüstige – wenn vielleicht auch nicht hundertprozentig gottgegebene – Lippen. Nicole ist ein fleischgewordenes Klischee. So stellt man sich den P1-Gast vor. Die Schönen und Reichen.
Nicole ist aus Mannheim zum Feiern nachMünchen gekommen und zeigt, was sie zu bieten hat. Weil Halloween ist, hat sie sich etwas Kunstblut an den Hals gepinselt. „Ich muss mich beeilen, mir ist kalt“, sagt sie, während sie sich im Laufschritt dem Eingang nähert. „Ich bin schon ganz gespannt, wie es im neuen P1 aussieht.“
Reinkommen: für Nicole kein Problem. Sie kennt die richtigen Leute – wer das ist, will sie nicht verraten. Und selbst wenn sie auf sich allein gestellt wäre, käme sie trotzdem rein. Da ist sie sich ganz sicher. Sie sagt es so: „Man muss nett sein, selbstbewusst. Und natürlich stylisch. Das P1 ist ja keine Absteige.“
Dann trippelt sie davon, hinein ins Glück dieser Nacht.
Christoph Landsgesell