Ulrich Wickert wird 80: "Nie die Lust aus den Augen verlieren"
AZ-Interview mit Ulrich Wickert: Am 2. Dezember 1942 in Tokio geboren, wird er nach Stationen als Korrespondent zu Deutschlands bekanntestem Moderator und präsentiert von 1991 bis 2006 die "Tagesthemen" in der ARD. Sein erstes Buch – über Frankreich – erschien 1989. Mittlerweile schreibt er unter anderem auch Krimis, sein aktueller: "Die Schatten von Paris" (Piper; 22 Euro)
AZ: Herr Wickert, wie geht es Ihnen?
ULRICH WICKERT: Mir geht es ganz vorzüglich. Ich genieße gerade, dass mein neuer Krimi so gut ankommt. Darüber freut man sich natürlich – nach rund einem Jahr Arbeit.
Ulrich Wickert hat noch "immer einen vollen Arbeitstag"
"Die Schatten von Paris" liest sich intensiv politisch recherchiert und beginnt zudem flott: elf Zeilen, fünf Schüsse, ein Toter. Wie und wo arbeiten Sie an Ihren Kriminalfällen?
Ich habe zu Hause ein Arbeitszimmer und gehe wie ein Handwerker vor: morgens in die Werkstatt. Wer glaubt, man setzt sich als Autor abends hin, trinkt ein Gläschen Rotwein und dann kommen die Gedanken – nein, das geht überhaupt nicht. Ich korrigiere zunächst, was ich am Tag zuvor geschrieben habe – das kann ein bis zwei Stunden dauern. Drei bis vier Stunden kann ich kreativ schreiben, danach bleibt Zeit zu recherchieren und zu planen, wie es am nächsten Tag weitergeht. Insofern habe ich immer einen vollen Arbeitstag.
Und das, obwohl Sie im verdienten Ruhestand sein könnten – am 2. Dezember werden Sie 80 Jahre alt. Wie stehen Sie zu der Zahl?
Dafür kann ich nichts und es lässt sich auch nichts dagegen machen. Daher sehe ich es so: Die Zahl kommt und sie geht.
Keine große Geburtstagsfeier für Ulrich Wickert
Werden Sie groß feiern oder ist das nicht Ihre Art?
Nein, nein, nur engste Familie. Im kleinen Kreis braucht man auch keine großen Pläne schmieden.
Sport: so hält sich Ulrich Wickert fit
Wie halten Sie sich fit?
Ich habe damals mit etwa 45 Jahren gemerkt, dass ich regelmäßig auf meinen Körper hören muss. Wenn ich mich gestresst fühlte, joggte ich viel und machte Sport. Heute spiele ich regelmäßig Tennis. Zweimal die Woche mache ich zudem Muskeltraining am Gerät.
Sehr fleißig!
Ich fühle mich dadurch wohl. Auch sonst gehe ich in der Stadt zu Fuß oder fahre mit dem Fahrrad. Man muss in Bewegung bleiben.
Ulrich Wickert hat zehnjährige Kinder
Ihre zwei gemeinsamen Kinder mit Julia Jäkel sind zehn Jahre alt – halten auch sie Sie jung?
Ja, das hält einen automatisch jung. Die Betreuung ist unsere gemeinsame Aufgabe.

Sie sagten vorhin, wenn es früher stressig wurde, setzten Sie Sport als Ausgleich ein. Was konnte Sie stressen?
Als Korrespondent habe ich viele Berichte über Wahlkämpfe gemacht, ich war ständig unterwegs, ein Termin nach dem anderen – es blieb wenig Zeit zum Durchatmen. Das kann stressen.
Was würden Sie – Stand jetzt – sagen: Was waren die bisherigen Highlights Ihrer Karriere?
Wie viel Zeit und Platz haben Sie?
Das waren die Höhepunkte in der Karriere von Ulrich Wickert
Wagen Sie einen kurzen Versuch.
Ich hatte großes Glück mit meiner Zeit bei "Monitor" in den 70er Jahren – das war spannend! Dort habe ich auch das journalistische Handwerk gelernt. Die Höhepunkte waren ansonsten zusammengefasst: meine 14 Jahre als Korrespondent in Washington, Paris und New York und die 15 Jahre bei den "Tagesthemen".

Sie haben 15 Jahre und zwei Monate die Tagesthemen präsentiert. Im September hat Sie Caren Miosga als dienstälteste Moderatorin überholt. Sie kamen dafür einmalig ins Tagesthemen-Studio zurück. Hätten Sie den Rekord gern behalten?
Nein, das war auch eher wie ein Scherz gedacht, dass ich das an sie übergeben habe. Es fühlte sich wunderbar an, wie nach Hause kommen. Über den Ehrentitel "Mister Tagesthemen" freue ich mich im Übrigen immer noch.
Wenn Sie noch moderieren würden: Wem würden Sie gern welche Frage stellen?
Wenn ich Herrn Trump fragen würde "Haben Sie in Ihrer Steuererklärung gelogen?", wäre das eine Frage, die interessant wäre, aber ich weiß zugleich, dass er in seiner Antwort lügen würde. Deswegen brauche ich sie nicht zu stellen. Und auch Putin könnte ich so viele Fragen stellen, wie ich wollte, auch er würde lügen. Es gibt daher nicht die eine Person oder die eine Frage.
"Natürlich hat die Ukraine recht: Sie muss diesen Krieg gewinnen"
Was denken Sie über die aktuellen Krisen?
Ich bin von Natur aus ein Optimist. Ich hoffe, dass es schon nächstes Jahr besser werden wird - einerseits für die Deutschen in der Energiekrise, die wir langsam in den Griff kriegen. Als Zweites kann ich nur hoffen, dass sich der Ukraine-Krieg nicht ausweitet. Er wird noch länger dauern, weil Russland nicht einlenken will, und natürlich hat die Ukraine recht: Sie muss diesen Krieg gewinnen.
Zurück zu Ihrem Roman: Er spielt in Paris, die Stadt, in der Sie schon als Schüler gelebt haben und später auch als Korrespondent arbeiteten. Wie ist Ihr Verhältnis zu der Stadt?
Paris ist für mich auch Heimat, keine Frage. Ich habe dort so viele Freunde, so viele Erinnerungen. Ich fühle mich dort wohl und willkommen. Über Jahrzehnte hinweg habe ich von allen Präsidentschaftswahlen berichtet - ich kenne nicht nur Paris, sondern auch die Franzosen. Mein Ziel war es als Korrespondent, die Menschen zu verstehen und in sie hineinzuhorchen.
"Paris ist für mich auch Heimat"
Und deswegen spielen Ihre Krimis auch in Paris?
Alles begann mit dem ersten Fall, dessen Plot in der französischen Geschichte begründet lag. Als Hauptfigur wählte ich den Untersuchungsrichter namens Jacques Ricou. Untersuchungsrichter haben in Frankreich sehr viel mehr Macht als bei uns, und er kämpft auch gegen Korruption bei den Mächtigen. Der "Richter aus Paris: Eine fast wahre Geschichte" wurde ein Bestseller. Ich hätte nie gedacht, dass ich eine Serie schreibe, sondern nur einen. Inzwischen gibt es sieben Stück.
Was gefällt Ihnen besser: Journalist oder Krimiautor?
Ich trenne das nicht. Als Krimiautor versuche ich immer, ganz nah an der Wirklichkeit zu bleiben. Natürlich erfinde ich Dinge hinzu und verbinde es mit meiner Fantasie. Aber ganz vieles davon entspricht der Wirklichkeit. Auch wenn viele Leute sagen: "Das kann doch nicht sein, das ist absurd." Tja, so ist das Leben manchmal.
Handlungsorte lassen sich jedenfalls googeln und sehen so aus wie von Ihnen beschrieben.
Für den Leser ist es zusätzlich wie eine kleine Reise durch Paris. Mein Protagonist Jacques Ricou wohnt in Belleville – wenn ich Touristen einen Tipp geben kann: Gehen Sie auch nach Belleville! Früher war es die Gegend der Ledermacher, später kamen die Künstler und Galerien, es folgten chinesische, arabische Restaurants, dazu französische Bistros - eine sehr lebendige Ecke.
Ulrich Wickert liest sechs Zeitungen
Ihre Hauptfigur liest mindestens drei Zeitungen am Tag. Und Sie?
Sechs! So auch heute Morgen nach dem Familienfrühstück. Ich lese unter anderem "Le Monde" und die "New York Times".
Und online beziehungsweise Social Media?
Nein, in Social Media bin ich überhaupt nicht unterwegs. Das brauche ich nicht. Allerdings lese ich online auch die französische Tageszeitung "Figaro".
Die Flut an Negativ-Nachrichten und immer mehr unüberschaubaren Informationskanäle überfordern viele Menschen. Welchen Tipp haben Sie als langjähriger Journalist?
Man sollte sich nur an seriöse Informationsvermittler halten, von denen ich weiß, dass da kein Blödsinn geschrieben wird.
Wie schätzen Sie das Vertrauen in die Medien ein?
Das Interessante ist, dass das Vertrauen in die Medien gar nicht so sehr geschrumpft ist. Den letzten Umfragen zufolge wird den Öffentlich-Rechtlichen noch zu 80 Prozent Vertrauen ausgesprochen. Das war immer in etwa so. Natürlich gibt es Medien, die von AfD oder auch Russland beeinflusst werden – hier muss man aufpassen.
In Ihrem Werdegang auf Ihrer Homepage schreiben Sie: "Es ist gut, wenn man keine Ziele hat." Haben Sie dennoch eins fürs kommende Lebensjahr?
Ich arbeite gerade an einem Buch über Politik für junge Leute, weil es wichtig ist, ihnen Politik und politische Werte ernsthaft zu erklären.
"Nie die Lust aus den Augen verlieren"
Zum Schluss: Sie wollten wie Ihr Vater Diplomat werden, haben diese Pläne aber über Bord geworfen. Was würden Sie sagen, wenn Ihre Kinder Journalisten werden wollten?
Ich würde es ihnen völlig frei lassen. Jeder muss für sich entscheiden, was zu ihm passt. Nach dem Motto: Nie die Lust aus den Augen verlieren.