Tamara Dietl: „Es gab Momente großer Erschöpfung“
Im zweiten Teil des großen AZ-Gesprächs erzählt Tamara Dietl (50), Ehefrau des Star-Regisseurs Helmut Dietl (70), wie „scheißhart“ die Chemo war und wie sich ihre Liebe mit der Zeit verändert hat
AZ: Frau Dietl, reden Sie darüber, was ist, wenn es Ihrem Mann schlechter geht?
TAMARA DIETL: Nein. Es gibt so viele Möglichkeiten, was passieren könnte. Da brauch ich gar nicht anfangen, mir zu überlegen: Was wäre wenn? Es ist mittlerweile mein Lieblingssatz: Das Leben im Konjunktiv bringt nichts. Es kommt eh anders, als ich es erwarte. Ich hatte mir auch meinen 50. Geburtstag im Februar ganz anders vorgestellt.
Was war da los?
Ursprünglich wollte ich ein Riesenfest. Nach der Diagnose stand ich aber vor der Entscheidung: Jammer ich rum, weil ich einen kranken Mann habe, und die große Party nicht stattfinden kann – weil er kurz danach mit der Therapie anfangen musste. Dann wurde meine Mutter auch noch sehr krank, und ist zwei Monate nach meinem 50. gestorben. In dieser Situation, so kurz vorm 50. überlegte ich, was mache ich jetzt? Wen will ich um mich haben? Am Schluss habe ich mit den Menschen gefeiert, die mir wirklich wichtig sind. Es wurde einer meiner schönsten Geburtstage, den ich sehr genossen habe.
Genießen Sie den Moment jetzt überhaupt mehr?
Ja! Es gibt viele ganz schöne und auch romantische Momente zwischen meinem Mann und mir, wo wir den Krebs vergessen. Mein Mann hat ja diesen tollen Humor, das ist eine große Hilfe. Die melancholischen Momente sind sehr selten. Überwiegen tut das gelebte Leben, dass wir Zeit sinnvoll und schön miteinander verbringen.
Streiten Sie sich weniger?
Wir streiten ja eh nicht viel.
Wie geht das?
Bei meinem Mann fliegen mal die Fetzen, das ist sein Temperament, aber die Fetzen fliegen nicht zwischen uns.
In dem „Zeit“-Interview, in dem Ihr Mann seine Lungenkrebserkrankung öffentlich machte, sagte er, er würde keine Chemotherapie machen. Jetzt hat er doch eine gemacht. Haben Sie Ihre Meinung mit ihm zusammen geändert?
Meine Erfahrung ist: Der Patient hat subjektiv immer Recht. Es war klar: Egal, wie sich mein Mann entscheidet, ich respektiere das und unterstütze ihn. Wir tragen und ertragen den Krebs gemeinsam. Nach dem Interview kamen viele Leute auf uns zu mit Tipps. Immer wieder wurde der Lungenspezialist Prof. Huber erwähnt. Da entschieden wir, uns von ihm beraten zu lassen. Er hat mit Prof. Belka vom Klinikum Großhadern ein zwei-stündiges Gespräch mit uns geführt. Da wurde uns sehr nüchtern und sachlich erklärt, wie die Lage ist. Wie hoch die Chancen sind. Nicht, dass der Krebs geheilt wird, sondern, dass das Leben verlängert werden kann. Das hat uns überzeugt. Jetzt geht es meinem Mann gut. Er ist nicht gesund, aber er ist da. Wir können ein gemeinsames Leben führen.
Wie war die Therapie?
Das war, ich muss es so sagen, eine scheißharte Zeit. Über 30 Bestrahlungen in acht Wochen. Parallel dazu verschiedene Chemotherapien. Es gab eine Zeit, wo Helmut nichts essen konnte, künstlich ernährt werden musste, weil die Speiseröhre mitbestrahlt wurde. Er konnte nicht mehr schlucken. Ich habe das getan, was ich tun konnte: Ich war für ihn da und habe mich intensiv um ihn gekümmert.
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Hatten Sie je das Gefühl: Ich kann nicht mehr?
Nein. Ich habe mir und meinem Mann stets gesagt: Da müssen wir durch. Das hat viel mit Disziplin zu tun. Aber es gab Momente großer Erschöpfung.
Was hilft Ihnen?
Ich gehe dann gerne spazieren und früh ins Bett. Ich lasse Sachen weg, die ich früher gemacht habe: lange ausgehen, viel Alkohol trinken – gut, Rauchen tu ich ewig nicht mehr.
Wann haben Sie aufgehört?
Am 8.8.08. Helmut hatte Ende 2007 einen Schlaganfall. Am 8. August waren wir bei einem Neurologen zur Nachuntersuchung. Der hat geschaut, ob alles ok ist. Er sagte immer wieder: „Frau Dietl, schauen Sie mal diese Adern, toll! Wenn man das so sieht, kann man gar nicht glauben, dass Ihr Mann Kettenraucher war. Alles so sauber.“ Seit dem Moment habe ich keine Zigarette mehr angerührt. Mein Mann hatte direkt nach dem Schlaganfall aufgehört.
Ihr Mann rechnete aus, dass er in 48 Jahren etwa 960 000 Gitanes geraucht hat.
Ja, und dann hat er es plötzlich gelassen. Das geht. Man muss es nur wollen.
Wollen Sie und ihr Mann noch etwas Besonderes erleben?
Wir sagten mal, eine Reise nach Paris wäre noch toll. Aber, nein, ich habe keine Wünsche mehr offen. Es hätte den Geschmack von „Das letzte Mal“. Mein Mann und ich haben nicht das Gefühl, dass wir was tun müssen, was wir noch nicht getan haben. Für uns ist es das Schönste, zusammen zu sein. Wir hätten schon letztes Jahr sagen können: Das ist das letzte Weihnachten, das letzte Silvester. Nein! Es war dieses Silvester und es war dieses Weihnachten, was wir feierten.
Bernd Eichinger hat sie einander vorgestellt – vor 18 Jahren. Wie war die erste Begegnung zwischen Helmut und Ihnen?
Interesse auf den ersten Blick.
Warum verliebten Sie sich?
Ich liebe seinen Humor, seine Intelligenz, die Mischung aus Klugheit und Sensibilität. Und – er ist ein richtiger Mann. Darf man das heute noch sagen?
Unbedingt.
Er war und ist ein männlicher Mann. Das finde ich als weibliche Frau sehr attraktiv. Ich kann mit den ganzkörper-glattrasierten Männern von heute nicht viel anfangen, sorry. Ich sehe auch gern die Spuren des Lebens, mag den Drang nach Perfektion nicht.
Schmerzt es besonders, wenn der männliche Mann schwach und hilflos ist?
Nein, das ist ein Teil, der dazugehört. Da entsteht was anderes. Eine tiefe, tiefe Liebe. Und das Bedürfnis, für ihn da zu sein, sich um diesen Menschen zu kümmern. Das ist ein schönes Gefühl. Es ist in dem Sinne keine erotische Attraktion, sondern eine viel tiefere Attraktion. Liebe entsteht immer wieder neu.