"Tagesschau"-Sprecher Constantin Schreiber über schlechte Nachrichten: "Habe bewusst weggeschaut"
AZ: Herr Schreiber, Corona, Krieg, Kostenschock und Klimakrise - als Sprecher der "Tagesschau" sind schlechte Nachrichten Ihr tägliches Geschäft. Verzweifelt man da nicht?
Constantin Schreiber: Schlechte Nachrichten gibt es, seitdem ich im Journalismus tätig bin. Ihre Dichte in den vergangenen Jahren war allerdings außergewöhnlich. Nichtsdestotrotz habe ich das lange ganz gut weggesteckt – bis der Ukraine-Krieg kam und mit ihm die Bilder vom Leid der Frauen und Kinder. Da habe ich gemerkt: Das durchbricht jetzt doch meine emotionale Hülle. Das macht etwas mit mir.
"Tagesschau"-Sprecher Schreiber: "Ich habe bewusst weggeschaut"
Was genau ist geschehen?
Ein Beitrag über eine Mutter, die ihre Kinder über die Grenze gebracht bekam, hat mich irgendwie fertiggemacht. Die Schutzhülle, die ich sonst habe, bröckelte. Ich habe diese Bilder und ihre Geschichte mit nach Hause genommen, was mir vorher nie passiert ist. Sie lösten eine gewisse Betroffenheit aus. Ich reagierte darauf, indem ich bewusst wegschaute, weil ich dachte, sonst sieht man es mir an. Aber eigentlich will man das als Journalist ja nicht. Als Journalist möchte man eine Verbindung zum Inhalt herstellen, um ihn richtig zu transportieren.
Welche Konsequenzen haben Sie für sich daraus gezogen?
Anfangs war ich ziemlich ratlos. Dann kam mir der Zufall zu Hilfe: Meine Tochter bekam Klavier-Unterricht und wir haben ihr dafür so ein billiges E-Piano gekauft. Als das Ding dann da stand, habe ich mich nach 23 Jahren erstmals wieder an ein Klavier gesetzt. Früher habe ich sehr viel und sehr intensiv gespielt, die Tasten in der Zwischenzeit aber nie wieder angerührt. Als ich mich dann immer länger ans Piano setzte, Sachen von damals wiederentdeckte, neue Stücke spielte, schuf ich mir damit ein Gegengewicht zur Nachrichtenlage. Daraus folgte die Überlegung: Klavierspielen scheint mir gut zu tun, geht das auch mit anderen Dingen? Und kann das jeder? Kann man Ablenkung, Zerstreuung, Glücklichsein trainieren?
Neugier und Humor helfen beim Glücklichsein
Und? Kann man Glücklichsein trainieren?
Um die Antwort darauf zu finden, habe ich angefangen, Literatur darüber zu lesen, mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu sprechen. Die Antwort ist relativ eindeutig: Nach aktuellem Studienstand kann man Glück trainieren, weil es letztlich ein klarer biologischer Vorgang ist. Es entsteht, wenn unser Gehirn bestimmte Botenstoffe ausschüttet: Serotonin, Dopamin und Oyxtocin. Das geschieht, wenn wir Charaktereigenschaften wie Neugier, Optimismus, Humor, Spiritualität oder auch Ehrfurcht aktivieren.
"Tagesschau"-Sprecher Schreiber: "Wissenschaft und Realität sind nicht unbedingt deckungsgleich"
In Ihrem Buch erwähnen Sie zum Üben einen "Freundlichkeitstag". Was hat es damit auf sich?
Auch Freundlichkeit kann uns glücklich machen, weil wir dafür Dankbarkeit bekommen, und das tut uns gut. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass Freundlichkeit besonders stark wirkt, wenn man sie geballt einsetzt: Ist man einen ganzen Tag lang zu allem und jedem freundlich, schüttet das Gehirn fortwährend Dopamin aus – sagt die Wissenschaft. Beim Versuch, das im Alltag umzusetzen, habe ich jedoch festgestellt, dass Wissenschaft und Realität nicht unbedingt deckungsgleich sind. Wenn man ständig auf wenig erbauliche Situationen trifft, lässt es sich nicht durchziehen, die ganze Zeit freundlich zu sein.
Wäre es vielleicht ratsamer, das "Schubladen-Prinzip" anzuwenden, um gelassener zu werden?
Auf jeden Fall. Ich will ja gar nicht völlig abschalten, keine Nachrichten mehr machen und keine politischen Debatten mehr führen. Aber man muss umschalten können: Nachrichten einfach mal Nachrichten sein lassen und drei Stunden lang in der Natur unterwegs sein, etwas mit Freunden machen, Neues entdecken - ohne Handy. Diese gedankliche Trennung ist für mich der Schlüssel, um auf die Krisen, die um einen herum passieren, gut vorbereitet zu sein.

"Tragisch, dass junge Menschen, sei es bei Fridays for Future oder der Letzten Generation, offenbar so hoffnungslos sind"
Hilft dabei auch das "Inschallah-Prinzip", das Sie ebenfalls beschreiben?
Dabei geht es eher um eine Lebenseinstellung, die ich im Nahen Osten beobachtet habe und die sehr eng mit der Charakterstärke Optimismus verbunden ist. Dahinter steht eine Art Urvertrauen. Menschen im Nahen Osten sagen Inschallah – wenn Gott will – in vielen Situationen, zum Beispiel, wenn der Bus nicht kommt: Inschallah, dann wird schon der nächste kommen. Es wird schon alles irgendwie werden. Das ist eine Einstellung, die einen stark glücklich machenden Einfluss auf uns hat. Ich glaube, es kann einen sehr weit tragen, wenn man nicht bei allen Problemen in eine Art Endzeitstimmung verfällt. Ich nehme die Krisen und Debatten unserer Zeit durchaus ernst. Aber ich finde es tragisch, dass junge Menschen, sei es bei Fridays for Future oder der Letzten Generation, offenbar so hoffnungslos sind. Selbstverständlich gibt es Probleme - aber auch Dinge, die sich verbessern und damit Grund zur Hoffnung.
Andererseits hat sich vieles – zumindest in der Politik – erst verändert, als junge Menschen für den Klimaschutz auf die Straße gegangen sind.
Das ist richtig. Und es ist wichtig fürs Glücklichsein, dass ich Ziele und Werte, die mir wichtig sind, anpacke und dafür eintrete. Aber befeuert durch Soziale Medien, darf das Leben nicht komplett von Ängsten und Problemen bestimmt werden. Früher liefen im Fernsehen auch Nachrichten. Aber danach kam eine Familiensendung. Man hat die Zeitung gelesen und sie dann wieder weggelegt. Heute dringen diese negativen Dinge übers Smartphone permanent direkt in unsere Komfortzone. Das ist der entscheidende Unterschied und hat nichts damit zu tun, Probleme nicht anzugehen. Die Psychologen sagen sogar: Jemand, der Angst hat, ist weniger kreativ und hat weniger Antrieb, Dinge zu verändern als jemand, der positiv und optimistisch ist.
Was unabhängig vom Einkommen glücklich macht
Nun gehören Sie eher zu den privilegierten Menschen. Sie konnten sich ein Klavier kaufen oder reisen, um Ihr Glück zu finden. Was ist mit Menschen, die weniger Geld haben? Können auch sie glücklich sein?
Es wäre unaufrichtig, zu sagen, es gäbe hier gar keinen Zusammenhang. Für jemanden, der wirklich arm ist, ist es schwieriger, glücklich zu sein, wenn auch nicht ausgeschlossen. Aber Wissenschaftler in allen Kulturen haben in Studien festgestellt, dass der Zusammenhang zwischen Geld und Glück nahezu in sich zusammenbricht, wenn die Grundbedürfnisse Wohnung, Kleidung und Nahrung gedeckt sind. Sind sie befriedigt, und man lässt Menschen eine Liste schreiben, welche Dinge sie glücklich machen, schreibt so gut wie niemand, das sei Geld – völlig unabhängig vom Einkommen. Dann wird am häufigsten die Natur genannt, natürlich auch Liebe, Humor und viele andere Dinge. Aber Geld steht dann nicht auf der Liste.
Constantin Schreibers Buch "Glück im Unglück. Wie ich trotz schlechter Nachrichten optimistisch bleibe" ist bei Hoffmann und Campe erschienen und kostet 22 Euro.
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