Sternekoch Raue gibt Thai-Küche in Bangkok Pfiff
Bangkok - Der Berliner Sternekoch Tim Raue ist ein großer Asien-Fan. Thai-Küche, sagt er, das ist das Größte: "Saures, Scharfes, Süßes, Salziges - die Thai-Küche hat die perfekte Aroma-Kombination."
Das heißt aber nicht, dass Raue da nicht noch eins draufsetzen könnte. Sagt er. Raue begibt sich in die Höhle des Löwen, um das zu zeigen. Er kocht zwei Tage in Bangkok, der Kapitale der weltberühmten Thai Cuisine.
"Was die Thailänder machen, ist gut. Aber sie könnten auch exzellent sein, wenn sie es anders aufziehen würden", sagt Raue beim Einkauf auf dem Samyan-Markt. Das grüne Gemüse, die duftenden Mangos, die taufrischen Garnelen lassen ihn schwärmen. "Diese Schalotten - ein Traum!" sagt er und schießt mit dem Smartphone Fotos. Raue kauft für ein Sechs-Gänge-Menu ein, das er am Abend als Gastchef im Okura-Hotel serviert. Manches hat er mitgebracht, aber das gewisse Extra kommt frisch vom Markt. Raue kauft eine Tüte Grünzeug, das er nicht kennt: "Die Textur hat mich neugierig gemacht." Von der salzigen Spinatart landet am Abend ein Hauch auf gelbem Blütengemüse.
Welten ist dies entfernt von Raues Kindheit. "Bei meiner Mutter gab es nur Steinpilzsuppe aus der Aldi-Tüte", sagt er. Bei Oma gab es wenigstens Falschen Hasen. Raue wuchs im Berliner Milieu auf, mit Straßengang. Beim Praktikum in einer Hotelküche war Raue mit 18 plötzlich in seinem Element. "Da gibt es Stress, da wird geschrien, das ist wie eine Diktatur: einer bestimmt. Ich dachte: genau wie auf der Straße, hier gehöre ich hin." Mit Talent, viel Arbeit, eiserner Disziplin und Durchsetzungswillen hat er sich nach oben gearbeitet.
Zum Mittag geht Raue in eine Garküche am Straßenrand. An jeder Straßenecke wird in Bangkok im Wok und auf offener Flamme gebrutzelt. Pad Thai, Curry, Reis-Nudeln in Brühe mit Tamarinde und Erdnüssen, in Kokosmilch marinierte Leber am Spieß - die Auswahl ist endlos. Oft kostet ein Teller nur 30 Baht - nicht mal einen Euro. Raue lobt den gebratenen Reis, aber: "Das ist hier kein Erweckungserlebnis für mich." Das Grundmuster - Säure, Schärfe, Süße - stimme zwar. "Wenn man es aber dekonstruiert, damit nicht alles auf einen Löffel kommt - dann wird Thai-Küche die spannendste Küche überhaupt."
Wie er das meint, zeigt er später in der Hotelküche. "In Thailand wird alles klein geschnitten und vermengt", sagt er und schneidet los. Gelbschwanzflossenmakrele, Melone, Apfel, Sprossen und winzige Wasabi-Baiser, darüber Senfsoße. Es schmeckt, und Raue sagt: "Das ist so wie eine feine Art von Matjes nach Hausfrauenart." Dann seine Variante: zwei Fischscheiben, darauf ein paar Tropfen Senfsoße, die Melonen in kleinen Kugeln, getoppt mit je einem Wasabi-Baiser, die Sprossen - ganz - an der Seite. Beim Kosten wird klar: man schmeckt zuerst Fisch, dann macht sich plötzlich der knackige Apfel bemerkbar, dann zergeht der Wasabi-Baiser - ein völlig anderes Erlebnis. "Die Proportionen der Zutaten machen's", sagt er zufrieden.
Die Herausgeberin der Hochglanzzeitschrift "Expression" in Bangkok schwärmt von Raues "magischem Einsatz thailändischer Zutaten". "Ich muss sagen, ich war erst skeptisch", sagt Neetinder Dhillon. "Die Kombination süß, sauer, scharf, salzig perfekt hinzubekommen ist eine Kunst und braucht einen hoch entwickelten Gaumen. Tim hat's." Die Chefredakteurin der thailändischen Ausgabe der Zeitschrift "Tatler", Naphalai Areesorn, ist auch begeistert: "So etwas Leichtes, Aromatisches von einem deutschen Koch - verblüffend."
"Aber es wäre irreführend zu sagen, Tims Cuisine hätte irgendetwas mit Thai-Küche zu tun", sagt Naphalai. Nicht alles klein zu schneiden sei westliche Küchentradition, und dann Wasabi und Senf, das komme in der Thai-Küche gar nicht vor. Ob Raue die Thai-Küche verfeinert? "Für thailändische Feinschmecker funktioniert das so nicht", sagt sie. "Für westliche Gaumen schon." Neetinder sieht Raues Kochkunst auch nicht als Thai-Küche an. "Aber er setzt thailändische Zutaten schon meisterhaft ein", sagt sie. Tim Raue führt keine Diskussion darüber, wie authentisch seine Küche ist. "Es ist meine Interpretation von Thai", sagt er.
Raue gilt als der asiatischste der deutschen Spitzenköche. Er geht nach dem chinesischen Grundsatz vor, nur Energie spendende Lebensmittel zu verwenden, nutzt thailändische Aromen und sucht japanische Produktperfektion. "Sättigungsbeilagen" - Brot, Reis, Kartoffeln - gibt es im "Restaurant Tim Raue" in Berlin nicht. Die Tester des Michelin-Restaurantführers rieten ihm einmal, beim Aroma den Fuß vom Gas zu nehmen, mehr Harmonie zu schaffen. "Seitdem haben wir 30 Prozent mehr Gäste", sagt er. Und seit kurzem den zweiten Michelin-Stern.