Silke Bodenbender: "Wer sein Kind schlägt, braucht Hilfe"
Berlin - Dieser Film schockiert. Der Zuschauer ist bereits nach den ersten zehn Minuten von "Es ist alles in Ordnung" entsetzt über die Dynamik, die die Gewalt in einer scheinbar "ganz normalen" Familie entwickelt. Eine pubertierende Tochter, ein Stiefvater und eine Mutter, die um keinen Preis ihren neuen Mann, mit dem sie einen gemeinsamen Sohn hat, verlieren will: Das sind die Zutaten für diesen explosiven Fernsehfilm, der am 15. Januar um 20:15 Uhr im Ersten läuft.
Sarah provoziert ihren Stiefvater, der sie gerne adoptieren möchte stets aufs Neue und er reagiert mal kumpelhaft, väterlich und mal mit heftiger Gewalt. Das Fatale: Teilweise erscheinen seine Reaktionen nachvollziehbar, wirken wie die menschliche Schwäche eines Vaters, der sich einfach nicht mehr zu helfen weiß. Als Zuschauer würde man wahnsinnig gerne Partei ergreifen für eine der Figuren in dieser verzweifelten Konstellation. Doch es will nicht gelingen. Silke Bodenbender (39, "Bis nichts mehr bleibt"), die die hoffnungslos überforderte und zwischen Tochter und Mann zerrissene Birgit spielt, hat vorab mit der Nachrichtenagentur spot on news über den Film, Gewalt in Familien und Herausforderungen in der Erziehung gesprochen.
Können Sie nachvollziehen, dass einem die Hand ausrutscht, wenn man als Mutter oder Vater an seine Grenzen gerät?
Silke Bodenbender: Gewaltfreiheit war für mich von Kindheit an so selbstverständlich, dass mir dafür jedes Verständnis fehlt. Ich kann mir aber vorstellen, dass das anders sein könnte, wenn man selbst Gewalt erlebt hat. Jedem, der ein Kind schlägt, würde ich raten, sich ernsthaft darüber Gedanken zu machen und sich schnellstmöglich helfen zu lassen.
Man liest immer wieder über Sie, dass Sie Ihre Rollen mit viel Bedacht auswählen. Warum haben Sie sich nun für dieses Familiendrama entschieden?
Bodenbender: Das Thema Gewalt an Kindern innerhalb der Familie hat für mich eine enorme gesellschaftliche Relevanz und war so gut und nachhaltig beschrieben.
Als Zuschauer ist man bereits in den ersten zehn Minuten zutiefst betroffen und schockiert. Wie ging es Ihnen beim Lesen des Drehbuchs?
Bodenbender: Bei aller professionellen Distanz war ich fassungslos. Man rutscht mit den Figuren in die Katastrophe hinein, weil man sie alle zumindest ansatzweise verstehen kann. Irgendwie gibt man die Hoffnung nicht auf, dass es einen Ausweg geben könnte, auch wenn man es schnell besser weiß. In dieser Hinsicht ist das Buch sehr nah an vielen realen Fällen.
Wie haben Sie sich dem Thema Gewalt in Familien angenähert?
Bodenbender: Ich habe schon als Schülerin im Rahmen eines Sozialpraktikums mit misshandelten Kindern gearbeitet und bin seitdem extrem für dieses Thema sensibilisiert. Neben den spektakulären Fällen von Verwahrlosung, die es in die Medien schaffen, ist häusliche Gewalt gegenüber Kindern auch heute noch ein Phänomen in der Mitte der Gesellschaft. In Foren und über Opferberatungsstellen habe ich mich intensiv mit solchen Fällen beschäftigt, die sich in vermeintlich "normalen" Verhältnissen zutragen.
Birgit stellt gewissermaßen ihren Mann über ihre Tochter. Können Sie das nachvollziehen?
Bodenbender: Birgit gelingt es nicht, sich klar zu positionieren zwischen ihrer Tochter und ihrem neuen Mann, den sie auf keinen Fall verlieren möchte. Aus Verlustangst schafft sie es nicht, sich diesem Loyalitätskonflikt zu stellen und ihn zu lösen. In erster Linie ist es natürlich nachvollziehbare Angst davor, den Mann zu verlieren, die sie so viel verdrängen lässt, bis gar nichts mehr zu retten ist. Für mich persönlich gilt: Jegliche Form von körperlicher Gewalt an Kindern ist rigoros abzulehnen. In diesem Punkt versagt Birgit als Mutter, die in erster Linie das Wohl des Kindes sehen muss. Zum Glück gibt es seit dem Jahr 2000 ein Gesetz, das Kindern ein Recht auf gewaltfreie Erziehung zusichert.
Oft schaffen es Frauen nicht, aus Gewaltmustern auszubrechen. Wie war es für Sie, eine solche Gewaltspirale in der Rolle zu erleben?
Bodenbender: Die Rolle dieser Frau hat mich in all ihrer Unsicherheit sehr berührt und gleichzeitig unheimlich wütend gemacht. Allerdings blende ich meine persönliche Haltung während des Spiels aus und konzentriere mich nur auf die Empfindungen der Figur in der jeweiligen Situation.
Wie ohnmächtig ist man tatsächlich manchmal als Mutter?
Bodenbender: Wenn man sich ohnmächtig fühlt, sollte man herausfinden, woher das Gefühl kommt, die Dinge nicht mehr in der Hand zu haben. Oft erkennt man dann, dass man mehr Einfluss hat als man zunächst dachte.
Es geht immer wieder um das Stichwort "normale Familie". Was bedeutet das für Sie?
Bodenbender: Normal bedeutet für mich, dass alle Familienmitglieder so miteinander umgehen, dass sich alle auf ihre Art und Weise entfalten können.
Glauben Sie, dass der Film anderen Familien, denen es ähnlich ergeht, helfen kann?
Bodenbender: Zumindest kann der Film dazu anregen, über Dinge zu sprechen, die sonst verschwiegen werden. Wirklich helfen, können aber nur die Betroffenen oder Beobachtenden, die den Mut haben, das Schweigen zu brechen.
Grenzen zu setzen, ist für Kinder ebenso wichtig wie eine freie Entfaltung. Wie findet man die richtige Balance?
Bodenbender: Da gibt es vermutlich kein Patentrezept. Jedes Kind ist anders, jede Mutter, jeder Vater, jede Familie. Trotzdem hilft es sicherlich, sich auszutauschen, mit Freunden und Verwandten.
Sehen Sie sich als autoritäre Mutter?
Bodenbender: Nein.
Graut es Ihnen schon vor der Pubertät Ihres Sohnes?
Bodenbender: Ich glaube nicht, dass man Angst vor der Zukunft der eigenen Kinder haben muss. Ganz im Gegenteil: Jeder Lebensabschnitt ist neu und spannend, und wenn es Probleme gibt, sollte man offen darüber reden und nach Lösungen suchen.
Haben Sie in Ihrer Pubertät ähnlich provoziert wie Sarah im Film?
Bodenbender: Viele Kinder suchen in der Pubertät die Auseinandersetzung mit den Eltern. Schwierig wird das meiner Meinung nach vor allem dann, wenn die Eltern das zu persönlich nehmen. Soweit ich mich erinnern kann, habe ich nichts getan, was meine Eltern mir heute noch nachtragen würden.
Birgit reagiert mit Verdrängung auf die familiären Schwierigkeiten. Wie gehen Sie mit Schwierigkeiten um?
Bodenbender: Das größte Problem ist es, kein Problem haben zu wollen. Man muss Schwierigkeiten ernst nehmen, ohne sich von ihnen lähmen zu lassen. Nachdenken und Reden und dabei nie vergessen, dass die meisten Probleme sich lösen lassen, wenn man sie erst einmal erkannt hat.
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