Ruth Megary: Mit 96 Jahren zieht sie aufs Land

Die Entertainerin ist nach 70 Jahren aufs Land gezogen – weil München für sie zu wenig altersgerecht ist.
Daniela Schwan |
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Ihr altes Zuhause: Ruth Megary vor dem Hauseingang in der Keuslinstraße in Schwabing.
Marille Rüb 2 Ihr altes Zuhause: Ruth Megary vor dem Hauseingang in der Keuslinstraße in Schwabing.
Angekommen: Im Gasthaus Häuslbetz darf Ruth sogar schon am Stammtisch Platz nehmen.
Marille Rüb 2 Angekommen: Im Gasthaus Häuslbetz darf Ruth sogar schon am Stammtisch Platz nehmen.

München - Fünf Wochen ist es jetzt gerade einmal her, dass Ruth Megary ihre Stadtwohnung in Schwabing gegen ein Haus am Land getauscht hat. Jetzt ist sie Teil einer Großfamilie: "I bin jetzt a Haselbacherin, willkommen in meiner Villa", strahlt Ruth Megary beim exklusiven Besuch der AZ.

Auf ihren nagelneuen, edlen Gehstock à la Markus Lüpertz gestützt, im schwarzen Kleidchen mit Spitzenbesatz, Absatzschuhen und roten Lippen steht sie in der Tür. Und zeigt stolz ihr neues Reich. Neben ihr: ihre Seelenfreundin Marille Rüb. Die Künstlerin hatte das Haus letztes Jahr von ihrem verstorbenen Nachbarn Winfried Bucher geerbt. Der Mann, mit dem Ruth Megary übrigens vor fast 90 Jahren die Schwabinger Schwindschule besucht hat.

Früher Münchens stets gut gelaunte Alleinunterhalterin – heute betört Ruth Megary die 1.680-Seelen-Gemeinde Haselbach bei Straubing. Wie geht das?

Nach 70 Jahren Schwabing: Ruth Megary zieht's nach Straubing

Wandern Münchens Senioren-Promis ab? Vor zwei Wochen flüchtete Schauspielerin Ingrid Steeger (72) zu ihrem guten Freund Guido Straßburg nach Bad Hersfeld (AZ berichtete), jetzt hat auch Showlegende Ruth Megary die Isarmetropole Hals über Kopf verlassen. Ist München nicht mehr altersgerecht?

Rückblende: Noch im Sommer 2018 sprang Megary behende die fast 80 Stufen rauf und runter. 70 Jahre lang lebte die Entertainerin und Sängerin in der Keuslinstraße in Schwabing. Vierter Stock. Ohne Aufzug.

Jetzt sagt sie: "München kann man sich doch kaum mehr leisten, die horrenden Mieten fressen fast die ganze Rente auf." 1.100 Euro inklusive Nebenkosten habe sie zuletzt bezahlt – beim Einzug damals waren es gerade mal 140 Mark.

Ihr altes Zuhause: Ruth Megary vor dem Hauseingang in der Keuslinstraße in Schwabing.
Ihr altes Zuhause: Ruth Megary vor dem Hauseingang in der Keuslinstraße in Schwabing. © Marille Rüb

Inzwischen freilich hat sie Pflegegrad drei (schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit), ist auf fremde Hilfe angewiesen und baut – was mit 96 kaum verwunderlich ist – altersbedingt ab. Die letzten Monate war sie immer mal wieder in der Klinik, unter anderem wegen einer Sepsis, musste häufiger Antibiotika nehmen, ihr Rücken ist vom vielen Treppensteigen kaputt, sie ging kaum mehr aus dem Haus.

Jetzt ist sie also Teil einer Großfamilie. Die Lebensfreude, Fröhlichkeit und ihr flirty Charme sind mit ihr nach Haselbach gezogen. Ihre Freundin Marille Rüb (69) hat nicht nur das Herz am rechten Fleck, sie ist auch pflegeerfahren. Erst kümmerte sie sich liebevoll um Ehemann Fridolin Markus Rüb – er war 50 Jahre lang beim "Straubinger Tagblatt" beschäftigt – und pflegte ihn die letzten Monate bis zu seinem Tod vor eineinhalb Jahren, dann ihren Nachbarn Winfried Bucher, dessen Haus sie 2019 geerbt hat.

An München denkt Ruth Megary mit gemischten Gefühlen zurück: "Die Stadt war für mich nicht mehr altersgerecht. Die vielen Stufen in den vierten Stock, bei uns gab es ja keinen Aufzug." Was ihr sonst missfiel: "Im Alter wird man langsamer und kommt bei den schnellen Ampelschaltungen nicht mehr über die Straße, der viele Verkehr, die vielen, oft missmutigen Menschen, die riesigen Supermärkte, in denen man sich verläuft und ewig an der Kasse anstehen muss, die Menschenmassen in der U-Bahn, da findet man sich doch gar nicht mehr zurecht." Ihr Fazit: "Alles überteuert, schlechter Service."

Ruth Megary : "Ich fühle mich hier sicher und angekommen"

Von ihrer neuen Heimat in Niederbayern dagegen schwärmt sie: "Hier ist alles viel überschaubarer, viel persönlicher als in München, jeder ist freundlich, Männer wie Frauen, sogar Fremde grüßen mich auf der Straße."

Und sie schwärmt gleich weiter: "Es gibt tolle bayerische Wirtschaften und schöne Bauten in Straubing. Die Preise sind hier noch human, man sitzt gemütlich zusammen, die Uhren ticken hier irgendwie ein bisserl langsamer, es gibt weniger Hektik, weniger Neid und Falschheit. Ich fühle mich hier sicher und angekommen", sagt Ruth Megary strahlend.

Im Traditions-Gasthaus "Häuslbetz" darf sie inzwischen gar schon am "heiligen" Stammtisch sitzen. "Eine beeindruckende, junggebliebene Persönlichkeit", so die einhellige Meinung. Megary scherzt fröhlich: "Prost die Herren! Ich bin die Ruth, und ich habe keinen Mann und keine Kinder." Schüchtern ist sie noch nie gewesen.

Angekommen: Im Gasthaus Häuslbetz darf Ruth sogar schon am Stammtisch Platz nehmen.
Angekommen: Im Gasthaus Häuslbetz darf Ruth sogar schon am Stammtisch Platz nehmen. © Marille Rüb

Der Beweis: "Ich werde 97, stellt euch das vor!", sagt sie im Vorbeigehen zu einer Gruppe Wanderer, stützt sich auf ihren Stock und wirft ihr schlankes Bein in die Luft. Die Erklärung gibt sie den Staunenden gleich selbst: "Je älter die Geige, desto besser der Klang", flötet sie.

Niederbayern ist für die 96-Jährige also ein Glücksfall: Die Bucher-Villa stand leer, Ruth Megary nahm Marilles Angebot nach ihrem letzten Krankenhausaufenthalt an und zog ein, Rundumbetreuung inklusive. 200 Quadratmeter zum Wohlfühlen mit heimeligem Kamin. Im Badezimmer ein Duschstuhl, im Regal daneben Parfüm, Make-up, Lippenstifte und Nagellack.

Auf der Wohnzimmer-Couch sitzt Barbara Stamm, ehemalige Präsidentin des Bayerischen Landtags, als lebensgroße Puppe. "Wir schauen jeden Tag zusammen fern", lacht Ruth. Und zeigt uns ihren Lieblingsplatz: das gemütliche Gartenhäusl im 1.800 Quadratmeter großen Garten. Daneben ein Teich, Porzellan-Statuen, zwei Terrassen mit Loungemöbeln und Kamin. Im Garten hilft Melchior Dietl, im Haushalt Sabine Straub, eine Perle aus dem Ort.

"Damals lagen mir viele Männer zu Füßen"

Vor 50 Jahren war Megary fast die erste weibliche Conférencieuse bei Travestie-Veranstaltungen in der ganzen Welt. "Das waren noch Zeiten, damals lagen mir viele Männer zu Füßen". Daran hat sich bis heute nichts geändert, wo immer Ruth auftaucht, ist sie strahlender Mittelpunkt: "Ja, ich flirte gern, und Charme habe ich, glaube ich, auch."

Und was waren rückblickend die Highlights in ihrem Leben? "Mein Auftritt 1945 in Schloss Klessheim vor den Alliierten mit dem Gershwin-Lied "Summertime" Und dass ich vor zehn Jahren meine liebe Freundin Marille kennengelernt habe! Heute darf ich ein Teil ihrer zauberhaften Familie mit zwei Kindern und vier Enkeln sein – habe ich nicht ein wahnsinniges Glück?", sagt sie und wischt sich eine Träne aus den Augen.

Für ihren Geburtstag am 7. Mai plant die Entertainerin eine zünftige Einweihungsparty. Mit Schwabinger Künstlerkollegen, ihrer neuen Familie und ihren neugewonnenen einheimischen Freunden.

Lesen Sie hier: Ruth Megary feiert 96. Geburtstag auf der Bühne

Lesen Sie hier: Ruth Megary im AZ-Interview - "Jammern verboten"

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