Ronald Zehrfeld: "Luxus ist, nicht erreichbar zu sein"
Berlin - Viele nennen "Finsterworld", den ersten Spielfilm von Dokumentarfilmerin Frauke Finsterwalder, ein Märchen. Und tatsächlich werden viele solcher Motive aufgegriffen. Doch vor einer wunderschönen Sommerkulisse erzählt die Regisseurin von Einsamkeit, Unzufriedenheit und sehr viel Ungerechtigkeit. Eine der Episoden handelt von Tom und seiner Freundin Franziska, die zwar zusammenleben, sich aber schon lange aus den Augen verloren haben.
Die Nachrichtenagentur spot on news sprach mit Ronald Zehrfeld (35) über den Film, der inzwischen schon einige Preise bekommen hat. "World Film Festival Montréal": Bester Debütfilm. "Zurich Film Festival": Bester deutschsprachiger Spielfilm. "Cologne Conference": TV-Spielfilm-Preis sowie Preis der Schweizer Filmkritik. Zudem ist "Finsterworld" von der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) mit dem Prädikat "besonders wertvoll" ausgezeichnet worden.
Herr Zehrfeld, kommen Menschen ohne Schein aus?
Ronald Zehrfeld: In unserer Gesellschaft definieren wir uns oft über außen, über Produkte, über Kleidung. Wenn wir das mal weglassen, also zum Beispiel nackt in der Sauna sitzen, dann sind wir alle gleich. Und die Frage ist doch: Was bleibt dann übrig? Manche Menschen sind dann nicht mehr wirklich da. Das Ziel sollte aber natürlich sein, dass noch etwas übrig ist, der Schein also von innen heraus kommt.
Ihre Rolle Tom legt den Schein ja ab, indem sie sich offenbart und der Freundin von dem eigenen Fetisch erzählt. Wie ehrlich sollte man in einer Beziehung sein?
Zehrfeld: Meine Rolle Tom hat diesen Weg gewählt aus einem Mangel an Zärtlichkeit, an Gesprächen und an einander Wahrnehmen mit seiner Frau. Die beiden leben zwar zusammen, sind aber so in ihrer jeweiligen Welt gefangen - sie als Dokumentarfilmerin, er in seinem Beruf als Polizist -, dass er sich einen neuen Raum sucht. Einen Raum, in dem er sich selbst wieder spüren kann. Und das ist eben diese Furry-Community. Es spricht für seine Ehrlichkeit, dass er das seiner Frau irgendwann gestehen will. Es gibt aber natürlich auch einen Fetisch, den jeder für sich behalten soll und auch darf.
Tom und Franziska nehmen sich nicht mehr richtig wahr. Er fragt irgendwann: "Siehst du mich eigentlich noch?" Aber kann man einen anderen Menschen überhaupt wirklich sehen?
Zehrfeld: Hundertprozent sicher nicht. Aber ich glaube, es gibt einen Grad an Wachheit, wenn man miteinander Lebenszeit verbringt. Entscheidend sind die Fragen: Kann ich meine Ängste, meine Wünsche mit meinem Partner teilen? Werde ich wahrgenommen? Im Idealfall ja, dann spricht das für die Beziehung. Im negativen Fall muss man die Beziehung wahrscheinlich beenden, wenn man sich unwohl fühlt.
Es ist aber nicht einfach, die eigenen Ängste und Wünschen zu benennen.
Zehrfeld: Das stimmt. Manche hadern schon so mit sich selbst, dass sie gar nicht erst in die Lage kommen, zu benennen, was sie eigentlich wollen.
Kann man einen Menschen in seinem Wesen nur erkennen, wenn man ausblendet, was er in seinem Vorleben gemacht hat und gleichzeitig keine Erwartungen hat?
Zehrfeld: Ja, das wäre der Idealfall. Normalerweise ist es ja aber so, dass man für den Partner schon mitdenkt, wenn man sich vornimmt, etwas zu beichten oder zu fragen. Indem man die Situation im Kopf durchspielt, gibt man der Realität kaum noch eine Chance. So entstehen Missverständnisse.
Auffallend in dem Film ist ja, dass die Männer besonders liebevoll mit Tieren umgehen. Beispiele: der Mann und sein Rabe, die Furrys, der Junge spricht mit dem Käfer, Tier-Dokus laufen im TV etc. Warum mögen Männer Tiere und Tierfilme so gern?
Zehrfeld: Die Tiere reden nicht. Es gibt Beziehungen, die schaffen sich lieber einen Hund an, weil sie Angst haben vor der Verantwortung für ein Kind. Außerdem stellt ein Kind Fragen, die man beantworten muss. Da ist der Umgang mit Tieren vielleicht eine Ersatzhandlung, damit man sich nicht dem wirklichen Kern stellen muss. Tiere kann man pflegen, sie sind kuschelig. Man bekommt das, was man sich egoistischerweise wünscht. Man kann ein Tier aber auch wieder wegparken. Wenn das Tier ein Problem hat, sagt es nichts. Bei einer Beziehung zwischen Menschen gibt es die Sprache. Sie ist ein großes Geschenk, gleichzeitig aber auch großer Ballast, sodass wir oft Angst haben vor dem echten Miteinanderreden.
Manche Kinder in "Finsterworld" sind verwöhnt und entsprechend unsympathisch. Was ist Ihnen bei der Erziehung wichtig?
Zehrfeld: Ich versuche meinem Kind zu vermitteln, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, dass es in einem Land lebt, in dem es alles gibt. Ich hab das Glück, dass ich durch meinen Beruf meinem Kind ermöglichen kann, in andere Länder zu reisen. Und dass es dadurch einen Eindruck bekommt von anderen Kindern, den es in unserer Gesellschaft nicht bekommen könnte. Wenn es in Asien oder Afrika Kinder mit Reifen spielen sieht, muss ich meinem Kind keinen Vortrag mehr halten. Es sieht einfach, dass es auch eine ganz andere Welt gibt.
Was ist für Sie Luxus?
Zehrfeld: Kein Handy zu haben, nicht erreichbar zu sein. Die technischen Erneuerungen sollen das Leben ja eigentlich erleichtern, inzwischen machen sie aber eher krank.
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