Interview

Rainer Maria Schießler über seine Gunda: "Sie kennen doch das Gerede"

Am 7. Oktober wird Münchens bekanntester Pfarrer 60. Im AZ-Interview spricht Rainer Maria Schießler über seine Familie, sein Privatleben, Gerüchte - und darüber, was er den Jungen mitgeben will.
von  Thomas Becker
Pfarrer Rainer Maria Schießler vor "seiner" Pfarrkirche St. Maximilian.
Pfarrer Rainer Maria Schießler vor "seiner" Pfarrkirche St. Maximilian. © Daniel von Loeper

München – Rainer Maria Schießlers Kirchenlaufbahn begann bereits sehr früh. Nach seinem Abitur am Wittelsbacher Gymnasium in München absolvierte er 1980 ein einjähriges Noviziat in Laufen und studierte katholische Theologie an der LMU München und der Universität Salzburg.

1987 wurde er in Freising zum Priester geweiht. Danach war er mehrere Jahre als Kaplan in Bad Kohlgrub, Rosenheim und München tätig. Seit 1993 ist er Pfarrer in St. Maximilian. Von 2011 bis 2020 war er auch für die Heilig-Geist-Gemeinde am Viktualienmarkt zuständig.

Rainer Maria Schießler: Ein Pfarrer, der eine Frau liebt

Mehrere Jahre arbeitete Rainer Maria Schießler auch als Kellner auf dem Oktoberfest. Von 2006 bis 2012 bediente er Besucher aus aller Welt im Schottenhamel-Zelt. Das Geld, das er auf der Wiesn verdiente, spendete er für wohltätige Zwecke.

Gerüchte und Gerede um Rainer Maria Schießler

Seit mehreren Jahren hat der Münchner Pfarrer bereits eine Partnerin an seiner Seite, über die er auch ganz offen spricht. In einem Interview mit der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt" sprach er 2016 erstmals über die Frau, die er liebt. Dabei bezeichnet er sie allerdings nicht als seine Freundin, sondern als seine Seelenverwandte. Mit Sexualität habe diese Beziehung nichts zu tun. Auch mit der AZ hat er über diese Beziehung gesprochen.

Pfarrer Rainer Maria Schießler im AZ-Interview

AZ: Herr Schießler, nächsten Mittwoch werden Sie 60. Zwei Tage zuvor zeigt der BR in der Reihe "Lebenslinien" ein Porträt. Wie ist das, wenn das eigene Leben verfilmt wird?
RAINER MARIA SCHIESSLER: Ich wusste, wir brauchen einen Bruch in der Sendung. Da muss irgendwas sein, denn was Langweiligeres als mein Leben gibt's ja gar nicht: auf die Welt gekommen, Schule, mit 19 Priesterseminar, Pfarrer geworden, jetzt wird er alt - was ist da toll dran?

Stimmt. Sie sind schon ein brutal langweiliger Typ...
...deshalb spielt es im Film eine große Rolle, dass ich offensiv mit dem Thema, "Wie lebt einer, der Ehelosigkeit versprochen hat?", umgeht.

Sie meinen Ihre Lebensgemeinschaft mit Gunda.
Ich habe einfach die Schnauze voll von diesem saudoofen Gerede: ,Der Pfarrer und die Haushälterin! Die werden schon schnaxeln, weil's nicht anders geht.' Als ob wir alle triebgesteuerte, schwanzorientierte Männer wären, die halt nicht können. Das ist unsere freie Lebensentscheidung gewesen.

Gab's denn so viel Getuschel?
Sie kennen doch das Gerede! Als ob wir hormonpsychisch völlig gestört wären. Für mich war das immer eine Mega-Aufgabe: auf der einen Seite ein solcher Lebensentwurf, auf der anderen Seite nicht zum seelischen Krüppel werden. Dass man genauso Beziehung lebt, fühlt und sensibel ist für einen anderen Menschen, der dir wichtig ist. Aber du musst Verantwortung für ihn und diese Beziehung übernehmen. Wir haben das so sauber hingekriegt, so offen und transparent, dass es mir und meiner priesterlichen Existenz nur förderlich war. Dass wir niemanden und auch nicht die Kirche betrügen.

Schießler: "Zwei Menschen, die sich unersetzlich sind"

Sie kennen sich seit 25 Jahren, leben zehn Jahren zusammen...
Zusammenleben geht nicht, weil sie ordentlich ist und ich gschlampert. Sie hat ihre Wohnung in Haidhausen, ich meine im Pfarramt. Seit ihre beiden Kinder außer Haus sind, habe ich bei ihr ein Zimmer, wo ich schlafe. Wir essen, reisen und arbeiten zusammen, unsere Familien sind befreundet, aber wir leben nicht zusammen wie Mann und Frau. Ich kann abends hier raus gehen und gehe nach Hause - und das ist nicht eine kalte, unbeheizte Dienstwohnung. Bei ihr ist geheizt, da gibt's ein Essen, und die Wäsche für den nächsten Tag ist schon gerichtet. Das ist aber kein Dienstverhältnis, sondern das sind zwei Menschen, die für ihr Leben unersetzlich wichtig geworden sind.

Für die Sendung haben Sie alte Wirkungsstätten besucht, auch Ihr Elternhaus in Laim. Wie war das für Sie?
Ich war lange nicht mehr daheim. Wenn man nach so vielen Jahren zurückkommt, ist alles kleiner, wie in Miniatur. Vielleicht, weil man selber klein war. Es war sehr schön, weil es Begegnungen gab mit Leuten von früher. In unserem Haus gibt es noch eine Frau, die mich gekannt hat. Es ist schon Heimkommen, auch wenn ich keine Heimat mehr habe. Als unsere Eigentumswohnung verkauft wurde, habe ich mich darum beworben. Es wäre ein Stück Heimat gewesen. Schad.

Pfarrer Schießler mit Hund Pia in seiner Kirche.
Pfarrer Schießler mit Hund Pia in seiner Kirche. © imago images/Overstreet

St. Maximilian: Ein starker Ort

Der Pfarrei St. Maximilian stehen Sie seit 1993 vor, davor waren Sie in Obergiesing in der Pfarrei Heiligkreuz. Ihr liebster Platz in der Stadt?
Was mich immer fasziniert: Wenn man die Hochstraße nach Süden geht, sieht man ja St. Maximilian, und durch das Gehen ändert sich die Perspektive. Zuerst sieht man zwei Türme, die dann ineinander übergehen. Als Jugendliche haben wir an Silvester immer auf der Gebsattelbrücke unsere Flasche Sekt getrunken. Jetzt ist St. Maximilian für mich ein Ort, der unheimlich stark ist. Die wenigsten Münchner wissen ja, dass das ein Kriegsdenkmal ist.

Ach ja?
Was in Berlin die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ist, ist in München St. Maximilian. Die abgeschnittenen Türme sind ein Bombenschaden, der nie repariert werden konnte. Und wenn es gemütlich sein soll, ist das der Ort, wo ich meine Jugend verbracht, Fußball gespielt und den ersten Suri gehabt habe: der Hirschgarten. Damals war alles unbebaut, drüben war die Landsberger Straße, mit dem Straßenstrich. Mit 15 habe ich im Postamt 3 gearbeitet und bin abends auf dem Heimweg - obwohl es mir der Vater extra verboten hatte - immer bei den Damen vorbeigeradelt. Das waren die kleinen Fluchten.

Stadtpfarrer mit Radl: Schießler auf der Reichenbachbrücke.
Stadtpfarrer mit Radl: Schießler auf der Reichenbachbrücke. © imago images/Overstreet

Pfarrei statt Fußballplatz

In der fünften Klasse Ministrant, mit 16 Priesterwunsch - haben Sie gar nicht gekickt als Bub?
Nicht im Verein! Durfte ich nicht. Der Papa sagte: "Zu solche Deppen gehst du ned." Im Leichtathletikverein war ich, beim ESV Laim, was gar keinen Spaß gemacht hat.

Löwen-Fan sind Sie trotzdem geworden.
In unserer Siedlung gab's nur Blaue. Als Roter hätte ich jeden Tag Prügel gekriegt. Das prägende Erlebnis war dann das erste Mal im Grünwalder.

Mit dem Vater?
Nein! Mit Freunden und deren Vater. Mein Vater war Beamter, von Kopf bis Fuß.

Ihr erstes Spiel?
Kurz nach dem Meistertitel, so 1967, '68. Jedenfalls als Sechzig noch etwas bedeutet hat. Letztes Jahr habe ich den Meister-Löwen Wilfried Kohlars beerdigt, da waren sie alle in der Kirche, die Helden von früher. Da hab' ich zu ihnen gesagt: "Schaut's, das ist der Unterschied zu den Bayern: Die werden jedes Jahr Meister, und keiner redet mehr davon. Ihr wart ein Mal Meister und seid es immer noch."

Sie sind immer noch Löwe?
Vor drei Jahren habe ich zum 57. Geburtstag blaue Karten verschickt, worauf stand 57, 58, 59, 60 - und jeder dachte, das ist eine Eintrittskarte fürs Stadion. Der Sechzger-Marsch war auch die Fanfare für die Feier.

Schießler: "Mein 50. war mega – mein 60. fällt jetzt leider aus"

Wie feiern Sie den 60.?
Fällt leider alles aus. Vielleicht gehe ich mit der Familie irgendwo in ein Lokal. Ich wollte ja mit der ganzen Gemeinde feiern. Mein 50. war mega! Feier und Messe in der Kirche, mit Goaßlschnalzern, ein tolles Fest. Das wollte ich nicht toppen.

Prost! Schießler beim Kellnern auf der Wiesn - hier im Jahr 2011.
Prost! Schießler beim Kellnern auf der Wiesn - hier im Jahr 2011. © imago/Michael Westermann

Im BR-Beitrag spielt auch Ihr ambivalentes Verhältnis zum Vater eine Rolle.
Als er aus dem Krieg kam, war er ein anderer Mensch. Wenn du da mit 15 hinmusst, mit 17 Bombennächte überstehen und dich in irgendwelchen Gebüschen verstecken musstest, wenn du dann heimkommst, und da, wo dein Elternhaus stand, nur noch eine Grube ist und deine Eltern liegen tot darin, wenn du die ausscharren und begraben musst, wenn du nur noch das Hemd am Leib hast, dein Bruder in Polen gefallen ist - dann passiert da etwas mit einem Menschen.

"Leben heißt aufstehen und weitermachen"

Was bekommt ein Kind da mit?
Was ich, ohne dass ich es kognitiv verstanden habe, realisiert habe: Leben heißt immer neu aufstehen und weitermachen. Aber jeder nimmt seine Geschichte mit. Auch wenn du für diese Geschichte nicht verantwortlich bist: Du bist zuständig. Ich habe es dem Vater nicht übelgenommen, dass er anders war als die Väter meiner Freunde: nicht verspielt, nicht verschmust, nicht kuschelig. Mama hat das ausgeglichen, die Liebenswürdigkeit in Person.

Nach seinem Schlaganfall haben Sie neu zueinandergefunden.
Ich hatte das Gefühl, einen neuen Menschen vor mir zu haben. Eine neue Phase der Beziehung, eine intensive, liebenswerte Gemeinschaft. Deshalb ist mit seinem Tod sozusagen mein Turm zusammengebrochen. Für mich ein Zusammenbruch - weil ich die Annäherung geschafft hatte. Er hatte nichts: kein Fußball, kein Hobby, keine Kneipe, nichts. Für ihn gab's nur uns.

Die Stärke des Vaters fasziniert ihn

Das Adjektiv, das wie Baumharz an Ihnen klebt, ist "unkonventionell". Hat das mit dem Vater zu tun, der sich mit 13 weigerte, der Hitlerjugend beizutreten, mit dem Satz "Lieber lasse ich mich in der Mitte auseinanderbrechen, bevor die Macht über mich bekommen"? Wann haben Sie von diesem mutigen Schritt erfahren?
Erst als Student, von einem seiner ehemaligen Mitschüler. Über den habe ich mehr von meinem Vater erfahren als von ihm selbst. Bis zum Schluss war das Kriegstrauma präsent. Nach dem Krieg hatte er einen Deutschlehrer, ein absoluter Nazi, der sich irgendwie durch die Entnazifizierung gemogelt hatte. Mein Vater trug die Eheringe seiner Eltern an einer Schnur um den Hals, und der Nazi, der von seiner HJ-Verweigerung wusste, rief ihn auf, zeigte auf die Ringe und sagte: "Was soll der Scheiß?!" Mein Vater stand da, schaute ihn an - und hat keinen Ton gesagt. Alle haben darauf gewartet, dass eine Prügelei losbricht. Das hat mich fasziniert, was für eine Stärke da in ihm war.

Wie konnte er mit 13 so entschieden auftreten?
Es gab ein Schlüsselerlebnis. In Freising, wo er am Dom-Gymnasium war, gab es einen stadtbekannten Juden. Der musste vor der Öffentlichkeit mit der Zahnbürste den Marktplatz putzen - und alle Schüler mussten zuschauen, wurden extra vom Domberg runtergebracht.

Was hat das mit Ihrem Vater gemacht?
Das hat in ihm den ganzen Ekel ausgelöst. Er war kein Mitläufer, sondern hat diesen Satz gelebt: ,Wo das Unrecht zum Gesetz wird, wird der Widerstand zur Pflicht.' Kurz vor Kriegsende hatte er auf Heimaturlaub erzählt, wie es bei ihm in Dresden zugeht: nix Endsieg und so - woraufhin ihn jemand wegen Wehrzersetzung hingehängt hat und er zum Unteroffizier zitiert wurde. Der hielt ihm eine Pistole vors Gesicht und sagte: "Sie wissen, ich könnte Sie auf der Stelle erschießen." Da war mein Vater 16!

Schießler ermutigt Jugendliche nie aufzugeben

Heute arbeiten Sie mit Jugendlichen.
Ja, denen erzähle ich das, gerade jetzt mit der Pandemie und der Frage ,Schaffen wir das?' Ich sage dann: "Wisst ihr, was unsere Eltern und Großeltern geschafft haben? Was für Not, Leid, Destruktion und Dunkelheit die haben erleben müssen?

Was sollen die Jungen daraus lernen?
Lasst euch nie entmutigen. Irgendwie schaffen wir das auch mit diesem Klimawandel. Wir schaffen alles, was wir machen müssen, weil unsere Vorfahren noch viel mehr geschafft haben.

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